Herr Melcher, Sie sind seit über 35 Jahren erfolgreich in der heimischen Energiewirtschaft aktiv. Welche unmittelbaren und strategisch langfristigen Ziele verfolgen Sie bei der Weiterentwicklung der Kelag Energie & Wärme?
Wer langfristig Ziele entwickelt – und ich bin nun seit 35 Jahren im Energiebereich tätig, muss den Entwicklungen stets einen Schritt voraus sein. Es reicht nicht, sich vom Mainstream treiben zu lassen oder reflexartig auf kurzfristige Trends zu reagieren. In der Energiekrise wollte plötzlich jeder einen Fernwärmeanschluss. Hätten wir unsere Struktur einem kurzfristigen Boom angepasst, wären unsere Kapazitäten überfordert gewesen.
Heute werden Themen rund um erneuerbare Energien oder die Gasabhängigkeit differenzierter diskutiert. Das ändert nichts an unserem strategischen Ziel: Erneuerbare Energien sind und müssen der entscheidende Hebel für Europas Unabhängigkeit sein.
Wesentlich ist, einen klaren, im eigenen Denken verankerten Pfad zu definieren und diesem über Jahre konsequent zu folgen. Seriös kann man zwei bis fünf Jahre vorausschauen, darüber hinaus wird es spekulativ. Die Kunst ist, robuste strategische Linien zu entwickeln, die auch bei veränderten Rahmenbedingungen tragen.
Die Kelag investiert bis 2034 rund 3,8 Milliarden Euro in die erneuerbare Energiezukunft.
Schwerpunkte sind die nachhaltige Strom- und Wärmeerzeugung, E-Mobilität sowie Strom- und Glasfasernetze. Mit jedem Euro, den wir investieren, sorgen wir für Versorgungssicherheit, Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Region und leisten einen Beitrag zu Lebensqualität und Wohlstand.
Unter Ihrer maßgeblichen Beteiligung sank der Anteil fossiler Brennstoffe in Villach von 100 % auf deutlich unter 20 %. Heute liegt der Anteil erneuerbarer Energien bei über 90 %. Was war der schwierigste Schritt, um die Transformation in Gang zu bringen – und ab wann lief diese „von selbst“?
Bemerkenswert ist neben der Ökologisierung auch der verzehnfachte Wärmeabsatz. Zu Beginn lag er bei rund 30 bis 40 GWh. Heute entspricht dieses Volumen ungefähr jenem Rest, der noch fossil abgedeckt wird, das zeigt die Dimension.

Die Transformation war kein einzelner großer Schritt, sondern das Ergebnis vieler konsequenter Entscheidungen über rund 35 Jahre.
Erfolgsentscheidend waren mehrere Säulen:
- Abwärme nutzen: Alle verfügbaren Abwärmequellen im Raum Villach (Arnoldstein) und Gummern wurden identifiziert, bewertet und technisch eingebunden, unter anderem die Restmüllverwertung in Arnoldstein, ABRG, OMYA, 3M sowie eine Ökostromanlage.
- Biomasse ausbauen: Mit der Inbetriebnahme eines 12‑MW‑Kessels haben wir die Biomasse-Erzeugungskapazitäten zuletzt nahezu verdoppelt.
- Ergänzung durch Solarenergie: Im Vergleich kleiner, aber ein sinnvoller Baustein.
Auf der Zeitleiste gab es etwa alle drei bis vier Jahre substanzielle Investitionen für Absatzwachstum und weitere Dekarbonisierung. Diese Kontinuität macht Villach heute zu einem der innovativsten Wärmeprojekte Österreichs und im europäischen Vergleich besonders relevant.
Vor dem Hintergrund globaler Klimaziele: Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der laufenden Transformation – und wie positioniert sich die Kelag Energie & Wärme?
Ich zitiere Aurélie Alemany, Vorstandsvorsitzende von EnerCity Hannover: „Die Wärmewende gehört ins Rampenlicht, ohne sie bleibt Klimaneutralität eine Illusion.“ Das bringt es auf den Punkt.
Wärmewende heißt Unabhängigkeit – für Europa und Österreich. Der Ausstieg aus teuren Energieträgern wie Atom, Kohle, Gas und Öl ist entscheidend für Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Die Wärmewende stärkt unsere Resilienz und reduziert externe Abhängigkeiten, gerade, weil Europa nicht über ausreichend fossile Ressourcen verfügt. Gleichzeitig ist der Ausbau der Energieinfrastruktur ein starker wirtschaftlicher Impuls, genau das, was Europa jetzt braucht. Doch Bürokratie und Überregulierung dürfen uns nicht ausbremsen. Was wir heute entscheiden, prägt die Zukunft, vor allem für kommende Generationen.
Unser Anspruch: „Deine Energie ist unsere Leidenschaft.“ Die Energiezukunft braucht Menschen, die mehr tun als ihre Pflicht, mit Mut und strategischem Weitblick.
Der flächendeckende Ausbau der Netzinfrastruktur gilt als Schlüssel der Energiewende. Welche Rahmenbedingungen und Innovationen braucht es für reibungslose Netzerweiterungen in Österreich?
Der Netzausbau betrifft primär das Stromnetz. Wir als Kelag Energie & Wärme sind kein Netzbetreiber, sehen aber die Bedeutung:
Dezentral erzeugte Energie aus Wind, PV und Wasserkraft muss intelligent integriert werden. Es geht nicht nur um Leitungen, sondern um Steuerungs- und Regelungslogiken, Digitalisierung, Speicher und intelligentes Energiemanagement. Am Ende braucht es Systeme, die netzdienliches Verhalten bonifizieren, für Stabilität und Zukunftsfähigkeit.
Die Kelag Energie & Wärme investiert hohe zweistellige Millionenbeträge in den Ausbau der Fernwärme. In Lustenau entsteht das modernste Biomasseheizwerk des Unternehmens. Was macht dieses Projekt besonders – und welche Expansionsschritte planen Sie?
Wir sind stolz, in Vorarlberg aktiv zu sein. Mit unserem ersten Greenfield-Projekt in Lustenau und dem Engagement in Lauterach setzen wir ein starkes Zeichen. Das Heizwerk nutzt Biomasse und wird im Sommer durch Wärmepumpen ergänzt, so vermeiden wir bei geringem Bedarf Verbrennung und schonen Ressourcen. Rauchgaskondensation, große Speicher und eine intelligente Steuerung sorgen für hohe Effizienz.

Wir setzen konkrete Projekte um, regional und partnerschaftlich. Parallel zur strategischen Arbeit treiben wir Industrieprojekte voran. Zwei davon befinden sich bereits im Genehmigungsverfahren:
In Spittal an der Drau wird die Produktion der Kärntnermilch vollständig auf ökologische Energie umgestellt, mit einem Biomasse-Dampfkessel. In Pinkafeld versorgen wir künftig einen großen Industriebetrieb mit Dampf und stellen das Fernwärmesystem nahezu komplett auf nachhaltige Energie um. Auch in Saalbach-Hinterglemm und Zell am See entstehen neue Fernwärmesysteme, in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern.
In Summe planen wir bis 2040 Investitionen von rund 1 bis 1,5 Mrd. Euro in Ausbau und Ökologisierung, denn ohne Wärmewende bleibt Klimaneutralität Illusion.
Welchen Stellenwert hat die digitale Transformation im Unternehmen und welche Prozesse optimieren Sie besonders?
Digitalisierung ist bei uns gelebter Alltag. Unsere Heizwerke werden zentral gesteuert und überwacht. Kunden können online Verfügbarkeiten prüfen, Anschlussoptionen vergleichen und Zählerdaten digital einsehen. Auch interne Abläufe und Genehmigungen laufen weitgehend digital. So machen wir komplexe Prozesse effizient und transparent, nicht als Selbstzweck, sondern als echter Mehrwert.
Wo sehen Sie konkrete Einsatzfelder von KI bei der Kelag Energie & Wärme und kann Künstliche Intelligenz Nachhaltigkeit profitabel machen?
KI ist längst Teil unseres Alltags, oft im Hintergrund. Sie hilft bei der Analyse von Texten, der Erstellung von Inhalten und der Optimierung administrativer Abläufe. Ihre volle Stärke zeigt sich in komplexen Prozessen wie der Energieeinsatzplanung, der vorausschauenden Wartung oder der Kundenkommunikation.
Gleichzeitig stellt KI neue Anforderungen: Datenqualität, Verantwortung und Erklärbarkeit werden zentral. Entscheidend ist nicht, ob KI kommt, sondern wie wir sie gestalten – oder von ihr gestaltet werden.
Was kann jede:r Einzelne im Alltag tun, um den Klimaschutz aktiv zu unterstützen?
Klimaschutz beginnt bei uns selbst, in kleinen Entscheidungen, die Großes bewirken. Wer sein Zuhause gut dämmt, spart Energie und Geld. Moderne Heizsysteme wie Fernwärme oder Wärmepumpen senken den CO₂-Ausstoß und sorgen für saubere Wärme. Auch die Sonne kann dabei helfen: Mit einer Photovoltaikanlage oder gemeinsamem Mieterstrommodellen wird klimafreundliche Energie direkt vor Ort erzeugt.
Wirklicher Wandel entsteht aber im Kopf, durch Bewusstsein, Verantwortung und Mut, neue Wege zu gehen. Jede Entscheidung zählt. Und ganz wichtig ist auch, für die Energiewende, den Klimaschutz, Nachhaltigkeit und unsere zukünftigen Generationen öffentlich einzutreten. Nur wenn wir gemeinsam Haltung zeigen, können wir die Zukunft aktiv gestalten – Schritt für Schritt, mit Herz und Überzeugung.
Die Kelag Energie & Wärme engagiert sich als Partner im „Mini Educational Lab“ in Villach. Welche Bedeutung hat dieses Projekt?
Bildung ist die Währung der Menschen und der Gesellschaft. Wir wollen Kinder früh für Zukunftsthemen begeistern. Mit dem Mini‑Education‑Lab machen wir Energie sichtbar und erlebbar, wecken Neugier, stärken Interesse an MINT und fördern Forschergeist, getragen von Lehrlingen des Kelag‑Konzerns. Das Projekt verbindet Generationen, ein Schulterschluss zwischen Heute und Morgen.
Ab 1. Oktober verstärkt Andrea Domberger als dritte Geschäftsführerin die Leitungsebene. Welche Überlegungen stehen dahinter?
Unsere Langfriststrategie ist ambitioniert: Bis 2040 rund 1 bis 1,5 Mrd. Euro investieren, den Wärmeabsatz nahezu verdoppeln, mit Fokus auf Ökologisierung, neue Heizwerke, Netzausbau und moderne Anlagen. Dafür brauchen wir technologische Kompetenz und starke operative Führung.

Andrea Domberger bringt Industrieerfahrung und Expertise aus Geschäftsführungs- und technischen Leitungsfunktionen. Sie verantwortet künftig Produktion und Betrieb von etwa 85 Fernwärmenetzen und rund 900 Heizzentralen sowie die operativen Investitionen und das Thema Innovation.
Was sind die wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre?
Die Energiezukunft braucht mehr als Technik, sie braucht Vertrauen, Tempo und ein ganzheitliches Systemverständnis. Damit der Umbau gelingt, müssen drei Bereiche zusammenspielen:
- Vertrauen schaffen: Wir erklären den Wandel, zeigen Chancen auf und stärken die Akzeptanz.
- Rahmenbedingungen klären: Schnelle Genehmigungen, verlässliche Förderungen und technologieoffene Regeln fördern Investitionen.
- Systemisch denken: Energie, Wärme, Mobilität, Speicher und Netze müssen als Einheit funktionieren, mit robuster und wirtschaftlicher Technik.
Nur wenn wir diese Bereiche gemeinsam angehen, entfalten gute Technologien ihre volle Wirkung.
Herr Melcher, wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen – daher noch ein paar persönliche Fragen:
Viele nennen Sie „Adi“. Wer darf das – und warum?
Sprache und Umgangsformen haben sich verändert. Für mich zählt Augenhöhe. Dass mich viele Kolleg:innen „Adi“ nennen, ist kein Privileg, sondern Zeichen von Vertrauen. Entscheidend sind Respekt, Wertschätzung, Vertrauen, Klarheit und Verlässlichkeit, nicht die Anrede.
Soziale Anliegen liegen Ihnen am Herzen – gibt es ein Projekt, auf welches Sie besonders stolz sind?
Mir ist wichtig Mitarbeitenden Lebensphasenmodelle anzubieten: Flexible Arbeitszeitmodelle oder generell auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu achten.
Mein Herzensprojekt: Menschen mit Beeinträchtigung eine Umgebung schaffen, in der sie ihre Stärken entfalten. Darüber hinaus engagieren wir uns für Kinder, Sport und Kultur und unterstützen im Wärmebereich über eine eigene Sozialsäule Menschen in Notlagen.
Wie beschreiben Sie ihr Leadership‑Verständnis?
Management organisiert Prozesse, Leadership gibt Orientierung, vermittelt Haltung, befähigt Menschen und prägt Kultur. Echte Leader sind präsent, wenn Kraft und Haltung gefragt sind. Leadership schafft den Raum, in dem andere glänzen und übernimmt in Schlüsselmomenten Verantwortung.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Zuletzt wieder Goethes „Faust I“. Das Werk stellt eine zeitlose Frage: „Was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Es ist für mich ein Spiegel unserer Gegenwart, von KI über fossile Energieträger bis zu politischen Entscheidungen.
Worüber haben Sie zuletzt gelacht?
Lachen gehört zu meinem Alltag. Zuletzt, beim Dreh eines Videos mit Andrea und Christoph. Der Filmer meinte schmunzelnd, ich würde zu viel und zu lange sprechen. Ich habe gelacht und erwidert: Wenn ich weniger reden würde, wäre ich wohl nicht Sprecher der Geschäftsführung, sondern eher der Schweiger. (lacht)
Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Es gab nicht den einen Wunsch. Irgendwo zwischen Winnetou, Franz Klammer und Fernsehtechniker, Charakter, Mut, Entschlossenheit und Begeisterung für Technik und gute Ergebnisse.
Mir geht es bis heute darum, nicht nur Resultate zu erzielen, sondern gute Geschichten zu schreiben, Entwicklungen anzustoßen, die Bestand haben und Spuren zu hinterlassen.
Herr Melcher, wir wünschen Ihnen viel Erfolg, Glück sowie Gesundheit für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.
Danke Ihnen!
