Kurt Seinitz: So verliert Israel seine Seele – Gaza ist die Hölle auf Erden

Netanyahu bleibt auf blindem Kriegskurs. Sogar Trump geht dies zu weit und warnt vor „Liebesentzug“.
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Kurt Seinitz: So verliert Israel seine Seele – Gaza ist die Hölle auf Erden
Kurt Seinitz, österreichischer Journalist und Buchautor.

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Israels Netanyahu hat den Selbstverteidigungskrieg zum Vernichtungskrieg umfunktioniert. Ziel ist die Vernichtung der Hamas. Opfer ist ein ganzes Volk: die zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen, kleiner als Wien. Der sogenannte Kollateralschaden (Begleitschaden) übersteigt alle Proportionen.

Ach ja, es geht auch um die israelischen Geiseln, sagt Netanyahu. Und: „Wir haben die moralischste Armee der Welt.“

Die Hungerblockade hat Netanyahu nicht aus humanitären Überlegungen, sondern nur auf Druck aus dem Weißen Haus gelockert, sagt er offen als Rechtfertigung gegenüber seinen wild protestierenden faschistischen Koalitionspartnern: „Wir können uns Bilder hungernder Kinder nicht leisten.“ Doch viele der durch die Binnenvertreibungen und Kriegshölle schon geschwächten Menschen haben Schwierigkeiten, die Verteilerzentren der ausländischen Hilfsorganisationen zu erreichen.

Die dreimonatige Hungerblockade ist/war die größte seit der deutschen Belagerung von Leningrad im Zweiten Weltkrieg. Sie sollte die Hamas treffen, aber die wird immer genug zu essen haben.

Frieden? Darüber stritten schon Bruno Kreisky und Golda Meir

Israel erringt letztlich Siege gegen alle Feinde, die es vernichten wollen – läuft aber dabei Gefahr, seine Seele zu verlieren und alternative Chancen nicht mehr zu erkennen. Das sagt sich zwar leicht aus der Ferne, aber ich hatte auf Nahostreisen einen Kronzeugen erlebt, der diese Gefahr schon damals im Blick hatte: den Anti-Zionisten und Agnostiker Bruno Kreisky.

Er galt als Gegner des zionistischen Staates Israel, sorgte sich aber um die langfristige Zukunft des kleinen Volkes in einem Umfeld der Politik der Stärke. Er war überzeugt, dass eine Friedensregelung möglich ist, wenn diese auf Augenhöhe erfolgt. Er kannte die Fehler der Araber, denen der israelische Außenminister Abba Eban 1973 bescheinigt hat: „Die Araber lassen keine Gelegenheit aus, eine Gelegenheit auszulassen.“ Kreisky wollte die Araber, wie Ägyptens Präsident Anwar el Sadat, zu mutigen Schritten überzeugen – mit Erfolg.

Legendär ist sein Konflikt mit Israels „Eiserner Großmutter“ Golda Meir. Sie repräsentierte die zerrissene Seele eines Volkes nach Auschwitz und nach Israels Überleben im Unabhängigkeitskrieg 1948: „Wir werden mit der Zeit vielleicht in der Lage sein, den Arabern zu vergeben, dass sie unsere Söhne getötet haben. Es wird aber schwer für uns sein, ihnen zu vergeben, dass sie uns gezwungen haben, ihre Söhne zu töten.“ Oder: „Frieden wird es erst geben, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen.“

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© PantherMedia / BreakingTheWalls (YAYMicro)

Getötet werden in Gaza nun auch Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen. Und wenn der Gazastreifen vollends unbewohnbar ist, wird den Überlebenden die „freiwillige Ausreise“ angeboten werden. Wohin? Eine neue Flüchtlingswelle zeichnet sich ab. Die Palästinenser wissen aus Erfahrung: Wo sie einmal weg sind, kommen sie nie mehr zurück. Kein arabisches Land will sie aufnehmen dank der Erfahrung, dass sie aus Frust über die verlorene Heimat noch in jedem Gastland (zumindest anfangs) Unruhe gestiftet haben.

Jüngster Vorschlag: Neue Heimat in der libyschen Wüste. Solche Ideen kommen aus dem Weißen Haus, denn auch Donald Trump hat bisher keinen Ausweg aus dem nahöstlichen Labyrinth gefunden.

Trumps Triumphzug durch Saudi-Arabien und die Golfstaaten sowie seine Super-Deals dort waren nichts anderes als die Krönung seiner völlig moralbefreiten, ideologiebefreiten und von Empathie befreiten Politik des maximal pragmatischen Profits. Trumps Ansage an die arabischen Gastgeber (in den Worten seiner Redenschreiber): „Amerika wird ihnen keine Vorträge mehr halten, wie sie zu leben haben. Die sogenannten Nation-Builder haben mehr Länder zerstört als aufgebaut. Die Interventionisten griffen in komplexe Gesellschaften ein, die sie nicht einmal verstanden.“

Damit stellt sich zugleich die Frage, was ihm Israel nützen soll, außer Kosten zu verursachen. Früher war die Israelpolitik der USA, wegen der israelischen Lobby, eng an Israel gebunden. Die folgt aber nicht mehr blind Netanyahus Extremistenregierung.

Früher hatte Israel auch einen einzigartigen strategischen Wert für die USA als der „unsinkbare Flugzeugträger“ in der arabischen Hexenküche. Der Wert ist dramatisch gesunken. Heute hat Trump seine „Abraham Accords“, also der Koexistenzbereitschaft der Golf-Araber sowie die Friedensverträge Ägyptens und Jordaniens mit Israel. Keiner dieser Staaten machte die Lösung des Palästinenserproblems zur Vorbedingung. Das Prinzip heißt Pragmatismus und Geschäft.

So fiel es Trump auch leicht, auf Drängen des saudischen Machthabers Mohammed bin Salman die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben und den syrischen Revolutionspräsidenten al-Scharaa zu empfangen, auf dem noch während Trumps erster Präsidentschaft ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt war. Al-Scharaa war damals noch islamistischer Terrorchef.

Israel kann sich keinen einzigen Fehler leisten

Pragmatismus möchte man auch Israels Führungselite wünschen. Ihr Argument aber: Israel hat kein strategisches Hinterland und muss daher auf Vorwärtsverteidigung setzen. Das heißt: Im Zweifelsfall Angriff, um jegliche Bedrohung aus dem Nachbarraum im Keim zu ersticken. Der 7. Oktober 2023 hat bewiesen, wie tödlich es sein kann, Wachsamkeit zu vernachlässigen. Israel kennt die Erfahrung: „Die Araber können sich hundert Fehler leisten, wir keinen einzigen.“

Wenn Trump auslässt, heißt das auch: Israel gegen den Rest der Welt. Das stört israelische Patrioten nicht wirklich, denn sie kennen die Ignoranz der Welt seit der Verfolgung der Juden im Nazi-Reich. Auch die Staatengemeinschaft in der UNO überschlägt sich seit Jahrzehnten in scheinheiligen Verurteilungsritualen gegen Israel. Netanyahu handelt lieber nach dem Prinzip von Friedrich Schillers Wilhelm Tell: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“

Erstveröffentlichung Kronen Zeitung

Autor: Kurt Seinitz

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