Die Inflation ist hoch, die Konjunktur lahmt. Dennoch planen Industriefirmen rund um den Globus, ihre Ausgaben für Engineering, Forschung und Entwicklung (Engineering, Research & Development – ER&D – Anm. d. Red.) und damit Innovationen im weiteren Sinne in den kommenden Jahren zu erhöhen.
Die ER&D-Ausgaben umfassen die Ausgaben für Forschung, Produktentwicklung, den Einsatz neuer Technologien, die Entwicklung von Software und Content, Produkttests, die Klärung regulatorischer Fragen, klinische Versuche und andere in diesem Zusammenhang anfallende Kosten.
Fokus auf Innovationen
Dass trotz schwacher Konjunktur die Investitionsbereitschaft hoch ist, überrascht Bain-Partner und Studienautor Daniel Suter nicht: “Ausgaben für Innovationen stehen inzwischen oft im Zentrum strategischer Überlegungen. Sie dienen nicht länger nur der Entwicklung und Optimierung von Produkten, sondern bereiten zugleich den Boden, um Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln oder in Teilen sogar neu zu erfinden.”
Auch vor diesem Hintergrund wollen 60 Prozent der im Rahmen der Studie befragten deutschen Führungskräfte in den kommenden Jahren die ER&D-Budgets für ihre Unternehmen nach oben hin anpassen.
Der höhere Stellenwert von Innovationen hängt eng mit der fortschreitenden Digitalisierung zusammen. Der Bain-Studie zufolge werden die ER&D-Ausgaben für digitale Produkte und Services bis 2026 weltweit um durchschnittlich 19 Prozent pro Jahr steigen – und damit nahezu doppelt so schnell wie die Gesamtinvestitionen.
“Auch Industrieunternehmen in der DACH-Region sollten ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet forcieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Investitionen in Innovation während eines Abschwungs oft in einen nachhaltigen Wettbewerbsvorsprung münden. Und der jüngste Stellenabbau im Technologiesektor erleichtert es, digitale Talente zu rekrutieren“, betont Daniel Suter.
Investitionen in Personal
Zusätzlich zu innovativen Produkten und Services gilt es vor allem in Personal zu investieren. Damit Industrieunternehmen ihre ER&D-Aktivitäten vorantreiben können, benötigen sie hoch qualifizierte Fach- und Führungskräfte. Doch daran mangelt es mittlerweile weltweit. Laut Bain-Studie sprechen 73 Prozent der Befragten von Personalengpässen. Und die Pensionierungswelle der Babyboomer hat gerade erst begonnen. Zudem wechseln Ingenieurinnen und Ingenieure mit zunehmendem Alter häufig in andere Funktionen, wodurch die Personalnot in der Entwicklung noch größer wird.
Bain-Partner Michael Staebe, der die Praxisgruppe Industriegüter und -dienstleistungen in der DACH-Region leitet, fordert ein Umdenken: “In einer Zeit globalen Fachkräftemangels reicht es nicht aus, mit aufwendigen Kampagnen, um rare Talente zu werben. Mindestens ebenso wichtig ist es, attraktive Rahmenbedingungen für die bestehende Belegschaft und vor allem für Ingenieurinnen und Ingenieure zu schaffen, damit diese sich kontinuierlich weiterentwickeln können.”
Ergebnisorientierte Lösungsansätze
Nur wer sich dieser Herausforderung stellt und entsprechende Angebote macht, wird den veränderten Anforderungen des Markts gerecht werden können. Im Fokus stehen dabei immer weniger die Produkte an sich, sondern vielmehr ergebnisorientierte Lösungen, für die die Kundschaft je nach Verfügbarkeit zahlt.
Industrieunternehmen müssen sich neue Formen der Wertschöpfung erschließen. Investieren sie weder in Innovationen noch in ein verbessertes Kundenerlebnis, riskieren sie, von flexibleren Wettbewerbern an den Rand gedrängt zu werden“, erläutert Michael Staebe.
Die an der Bain-Studie Beteiligten sind sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Auch von daher gehört die Verkürzung der Entwicklungszeiten für drei von vier Befragten zu den Maßnahmen, die Top-Priorität haben. Eine nahezu ähnlich große Bedeutung messen sie der Integration neuer Technologien bei. Dazu zählt nicht zuletzt künstliche Intelligenz. Für deutsche Führungskräfte ist darüber hinaus der Umgang mit dem hohen Kostendruck ein dringliches Thema.
Partnerschaften essenziell
Um mit knappen Personalressourcen schnelle Entwicklungserfolge zu erzielen, arbeiten immer mehr Firmen mit externen Partnern zusammen. 60 Prozent der Fertigungsbetriebe planen der Bain-Studie zufolge, einen größeren Teil ihrer Innovationstätigkeit in den kommenden Jahren auszulagern. Bislang liegt die Outsourcing-Quote großer Unternehmen im Durchschnitt bei 18 Prozent.
Im Vergleich zur IT-Branche beispielsweise ist das eher niedrig. Dort beläuft sich der Outsourcing-Anteil inzwischen auf 46 Prozent. Bei der Wahl des externen Partners spielt dessen Expertise die zentrale Rolle.
Dass Fertigungsbetriebe weltweit ER&D-Aktivitäten zunehmend auslagern, ist aus Sicht von Daniel Suter ein fundamentaler Wandel: “Traditionell haben Industriefirmen alles darangesetzt, Entwicklungen für das Kerngeschäft im eigenen Haus voranzutreiben und lediglich vor- oder nachgelagerte Wertschöpfungsstufen outzusourcen. Nun ist auch das Kerngeschäft in dieser Hinsicht nicht länger tabu.”
Die Kooperationen der Automobilhersteller mit Chipproduzenten und Internetgiganten seien nur ein Vorbote. Für Daniel Suter steht fest: “Die Industrie in der DACH-Region kann ihre Technologieführerschaft nur im Schulterschluss mit Partnern verteidigen.”
Dies sind Ergebnisse des ersten “Global Engineering and R&D Report” der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company, für den weltweit mehr als 500 hochrangige Führungskräfte aus wichtigen Industrieländern befragt wurden.
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