Der „European Chips Act“ und die strategische Autonomie Europas

Durch Investitionen in Schlüsseltechnologien sichern wir Stabilität und Demokratie.
© FEEI/APA-Fotoservice/Martin Hörmandinger
Der „European Chips Act“ und die strategische Autonomie Europas
FEEI-Pressegespräch "European Chips Act". V.l.n.r.: Wolfgang Hesoun – FEEI-Obmann, Vorstandsvorsitzender Siemens AG Österreich; Sabine Herlitschka, – FEEI-Obmann-Stellvertreterin, Vorstandsvorsitzende Infineon Technologies Austria AG; Erwin Raffeiner – Geschäftsführer Sprecher Automation GmbH; Andreas Gerstenmayer – Vorstandsvorsitzender AT & S Austria Technologie & Systemtechnik AG; Georg List – Vice President, Corporate Strategy AVL List GmbH.

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Aktuelle weltweite Herausforderungen wie die globale Erwärmung, Folgen der COVID-Pandemie und geopolitische Verschiebungen haben spürbare Auswirkungen – steigende Energiepreise, eine außergewöhnlich hohe Inflation, starke Lieferschwierigkeiten und einen anhaltenden Chipmangel.

Es zeigt sich: Europa ist von anderen Machträumen abhängig. Das gefährdet die Stabilität und damit die Demokratie und den sozialen Frieden.

Halbleitermarkt gehört die Zukunft

Die FEEI-Obmann-Stellvertreterin (FEEI – Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie – Anm. d. Red.), IV-Vizepräsidentin und Vorstandsvorsitzende von Infineon Technologies Austria AG, Sabine Herlitschka, verdeutlichte im Rahmen der heutigen FEEI-Pressekonferenz die Sonderstellung Europas:

„Der European Chips Act befindet sich derzeit in der finalen Verhandlungsphase. Dabei geht es jetzt um zentrale Weichenstellungen für Europa und Österreich, die nicht nur die Chipindustrie allein betreffen, sondern nahezu alle Anwenderindustrien und -märkte. So ist der weltweite Halbleitermarkt ausschlaggebend für bis zu 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts.“

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Der „European Chips Act“ und die strategische Autonomie Europas
Sabine Herlitschka, – FEEI-Obmann-Stellvertreterin, Vorstandsvorsitzende Infineon Technologies Austria AG.

„Ohne Halbleiter geht fast nichts, mit ihnen fast alles – das hat die Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen muss Europa seine bestehenden Stärkefelder weiter stärken, um global wettbewerbsfähig zu sein. Daher muss der Chips Act auf europäischer und nationaler Ebene faire Wettbewerbsbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten – auch für kleine Mitgliedsländer – schaffen“, so Sabine Herlitschka.

Technologische Autarkie

Mikroelektronik („Halbleiter“), Leiterplatten, Elektronik und die damit verbundene Software sind die Basis für eine Vielzahl systemrelevanter Anwendungen – von der stabilen Energieversorgung und der Verfügbarkeit lebensnotwendiger Ressourcen bis hin zu sicheren Anwendungen im Gesundheitswesen, in der Kommunikation oder im Bereich Automotive.

„Technologische Abhängigkeit in kritischen Infrastrukturen gefährdet die Volkswirtschaft. Die Chipkrise hat deutlich gemacht, wie abhängig wir von anderen Machträumen sind. Zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur braucht es die Halbleiterindustrie“, betont Erwin Raffeiner, Geschäftsführer der Sprecher Automation GmbH.

© PantherMedia / Cseh Ioan
Der „European Chips Act“ und die strategische Autonomie Europas

„Digital- and Green-Transformation“

Auch das Erreichen der grünen und der digitalen Wende ist nur möglich durch Innovationen in Schlüsseltechnologien. Energieeffizienz ist weltweit eine der größten Ressourcen, um Energie zu sparen und CO2-Emissionen zu reduzieren.

Ein Beispiel: Bei der Nutzung traditioneller Ansätze wird grundsätzlich mehr Energie benötigt, darüber hinaus gehen rund 70 Prozent der aufgewendeten Energie während der Übertragung bis zur eigentlichen Nutzung verloren. Im Gegensatz dazu sind erneuerbare Energiequellen wie Photovoltaik und Wind initial schon deutlich klimafreundlicher und es können in Kopplung mit intelligenten Technologien zudem rund 70 Prozent der aufgewendeten Energie genutzt werden. Das Potenzial für die grüne Wende ist enorm.

Österreich ist Spitzenreiter

Im Bereich der elektronischen Bauelemente ist Österreich in relativen Zahlen und bezogen auf die Größe des Landes, Nummer 1 in Europa hinsichtlich der Anteile an der Gesamtwertschöpfung, der Anteile an der Gesamtbeschäftigung sowie der Anteile in der unternehmerischen Forschung und Entwicklung.

„Österreich ist hier Spitzenreiter! Zahlreiche österreichische Unternehmen sind Weltmarktführer in zentralen Technologiebereichen. Neben den Anwesenden ist z.B. auch AMS Osram Weltmarktführer bei Lichtsensoren. AT&S ist mit seinen Mikroelektronik Packaging Technologien ein in der westlichen Welt einzigartiger Lieferant für High Performance Computing. Für die Mobilfunkbranche, Medizintechnik oder den Automobilsektor liefern wir hochtechnologische Verbindungslösungen“, erläutert Andreas Gerstenmayer, Vorstandsvorsitzender der AT&S AG.

Georg List, Vice President Corporate Strategy von AVL List GmbH, erklärt den Zusammenhang in der Automobilindustrie: „Der Chips Act lässt uns im globalen Wettbewerb unsere Stärken ausspielen – mit in-Software-gegossenem Know-how auf performanten, intelligenten und anwendungsnahen Chips, die wir in der grünen und automatisierten Mobilität dringend benötigen, um unsere Spitzenposition zu halten.“

Halbleiterindustrie wächst rasant

Die Verfügbarkeit und die Beherrschung der Technologien, besonders systemrelevanter Schlüsseltechnologien, sowie technologisches Know-how sind längst zu entscheidenden geopolitischen Faktoren geworden. Das haben viele Teile der Welt bereits erkannt. Die USA und asiatische Länder treiben Schlüsseltechnologien seit vielen Jahren und mit hohen finanziellen Mitteln strategisch voran. Europa gerät immer mehr ins Hintertreffen.

„Um im internationalen Vergleich bestehen zu können, braucht es einen europäischen Schulterschluss und eine gesamteuropäische Strategie, die Stärken stärkt, Lücken schließt und innereuropäische Fairness garantiert. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir vor einem Scheideweg stehen. Entweder rennen wir sehenden Auges in eine zunehmende Abhängigkeit von mittlerweile stark technologisierten asiatischen Staaten oder den USA oder aber wir investieren ernsthaft und nachhaltig in die dafür notwendigen Kompetenzen in Europa und bauen Schritt für Schritt unsere eigene technologische Souveränität aus“, sagt Wolfgang Hesoun, FEEI-Obmann.

Forderungen des Fachverbands

Neben der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung strategischer Autonomie braucht es die Sicherstellung der globalen Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung in Europa sowie ein „gesundes“ Verhältnis von Investoren aus der EU und außerhalb der EU. Zur Erreichung des Kommissionsziels von 20 Prozent Halbleiterproduktion in Europa bis 2030 gehen Schätzungen von einem Gesamtinvestitionsbedarf von 500 Mrd. EUR aus (privat und öffentlich), welcher durch entsprechende F&E Mittel ergänzt werden muss. Design und Produktionskapazitäten in Europa müssen aufgebaut und massiv gestärkt werden.

Eine zentrale Forderung der FEEI-Obleute und Unternehmer ist zudem, dass Bürokratie reduziert und Verwaltungsprozesse deutlich vereinfacht und beschleunigt werden, um global konkurrenzfähig zu bleiben. Für den Standort Österreich braucht es Verhandlungsstärke im europäischen Verhandlungsprozess zur Aufstellung von EU-Mitteln als Ausgleichsmechanismus für kleine EU-Mitgliedsländer, Vorkehrungen für nationale Ko-Finanzierung von Produktionsvorhaben auf EU-üblichem Niveau sowie ein adäquates F&E-Budget, um im europäischen Innovationsökosystem weiterhin erfolgreich zu sein.

https://www.feei.at

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