Für die meisten FinTechs dürfte das vergangene Jahr wohl nicht das brillantestes gewesen sein. Während die Krise die Branche überrollte, wurden einige Start-ups zurück auf den Boden der Tatsachen geholt – abgesagte Finanzierungen, fehlende Mittel, Entlassungen. Doch ist nicht immer alles schlecht: Viele Kunden und einige Investoren setzen weiterhin auf den Sektor und scheinen sein Potenzial trotz des schwierigen Marktumfelds zu erkennen.
„Quo Vadis“ FinTechs?
Dass der Höhenflug der FinTechs gedämpft werden könnte, zeichnete sich bereits 2021 ab, doch war es noch das beste Jahr für die Branche: Laut KPMG stieg das gesamte Investitionsvolumen in den Sektor 2021 auf ein Rekordniveau. Auch McKinsey erkannte kürzlich noch einen insgesamt positiven Trend, wenn auch bereits im Juni letzten Jahres vor einem Rückgang der Bewertungen sowie dem erschwerten Zugang zu Finanzierungen gewarnt wurde.
Nach Massenentlassungen bei Klarna, Bitpanda und Co wurde das Ausmaß der Situation schlussendlich greifbar. Dennoch identifizieren Experten FinTechs als gesellschaftlich und für die Revitalisierung der Finanzbranche relevant. Wie kann das sein?
Selektion durch Insolvenzen
Steigt seit Beginn der Pandemie die Anzahl der Insolvenzen, so werden voraussichtlich auch 2023 um 19 Prozent mehr Konkursmeldungen im Vergleich zum vorpandemischen Niveau vermeldet werden.
Malte Rau, CEO und Co-Founder des FinTechs Pliant, welches 2020 inmitten der Coronakrise erfolgreich gegründet wurde, verweist auf einen weiteren Aspekt, warum das Jahr für die Branche schwierig werden könnte: „Einige der Finanzierungsrunden der letzten ein bis zwei Jahren werden bald abgeschlossen sein. Das zwingt die FinTechs dazu, ihre Geschäftsmodelle nun im Hinblick auf Rentabilität, statt auf Wachstum zu überprüfen. Ich glaube, dass dieses Jahr die wahren Zahlen der Krise bei den Finanzierungsrunden abzulesen sein werden.“
Auch begründet sich die teils Negativentwicklung der Branche aus dem massiven Einbruch der Kryptowährungen: Denn einige FinTechs basierten ihr Geschäftsmodell bislang auf den Digitalwährungen – ein Wertverlust schlägt sich demnach auch auf ihre Rentabilität wieder. Zugleich werden spätestens nach der Pleite der Kryptobörse FTX die Rufe nach einer staatlichen Regulierung immer lauter. Wenn Regierungen nun bislang freiagierende FinTechs verstärkt unter die Lupe nehmen, könnte dies wohl das Aus für einige Anbieter aus dem Sektor bedeuten.
Wachstum nicht mehr um jeden Preis
Bislang lag es in der Natur eines Start-ups, ein überdurchschnittlich schnelles Wachstum verzeichnen zu können. Innovative Geschäftsmodelle sollten binnen kürzester Zeit an diverse Stakeholder gebracht werden – oft möglich gemacht durch hohe Finanzierungsspritzen.
Doch wie Malte Rau anmerkt, achten Investoren aufgrund der gestiegenen Zinsen sowie der wirtschaftlichen Unsicherheit zunehmend auf Renditekennzahlen. In Folge erreichen Start-ups, die bislang ausschließlich ihr Wachstum priorisiert hatten, oftmals ihre Finanzierungsziele nicht mehr. Sich nun weiterhin auf ein schnelles Wachstum zu fokussieren, hält Malte Rau nur bedingt für sinnvoll. Auch, um trotz Krise Investoren überzeugen zu können:
„FinTechs müssen weiterhin wachsen. Aber sie müssen zeigen, dass sie dies zu vernünftigen Kosten tun können und nicht mehr nach dem Motto „Wachstum um jeden Preis“.“
Hinzu kommt die nach wie vor unsichere Lage des makroökonomischen Umfelds. Ist es derzeit noch fraglich, ob Europa in eine Rezession rutschen wird, würde dies erheblich die Unternehmensausgaben schmälern – und somit in weiterer Folge die Einnahmen vieler Finanz-Start-ups mildern.
Umstrukturierung der Finanzbranche
Klar ist, dass weitaus nicht jedes FinTech die Krisenzeit überstehen wird. „Einige Geschäftsmodelle werden einfach nicht mehr funktionieren“, konstatiert Malte Rau. Doch werden insbesondere Start-ups aus der Finanztechnologie großes Potenzial und wichtige Funktionen zugeschrieben. Denn diese fungieren als Innovationsantreiber, greifen Trends und Technologien in der Finanzszene deutlich rascher auf als traditionelle Banken. Sie bringen ihre Produkte schneller auf den Markt und bieten Kunden nicht nur effizientere, sondern meist auch kostengünstigere Alternativen zu klassischen Finanzprodukten.
„FinTechs werden enger mit Banken zusammenarbeiten müssen“, prognostiziert Malte Rau für das bevorstehende Jahr. Dies liegt vor allem im Interesse der traditionellen Bankeninstitute, denn der Trend verläuft dahingehend, dass sich diese an FinTechs beteiligen, mit ihnen kooperieren oder sogar gänzlich aufkaufen, um an den innovativen Geschäftsmodellen teilhaben zu können.
Doch auch Start-ups aus der Finanztechnologie können von der Marktmacht sowie dem Kundenstamm großer Banken profitieren. Auch deswegen sagt man der FinTech-Branche trotz aktueller Schieflage großes Wachstumspotenzial nach. Worauf FinTechs in 2023 achten müssen, um ihr Unternehmen halten zu können?
„Sie müssen jeden Aspekt ihres Geschäftsmodell verstehen und wissen, welche Faktoren sich am stärksten auf Kosten und Einnahmen auswirken. Es ist hilfreich, sich auf einige wenige Dinge zu konzentrieren, anstatt zu viele Dinge auf einmal auszuprobieren“, erläutert Malte Rau abschließend.