Der italienische Ex-Regierungschef Enrico Letta hat im Auftrag des Europäischen Rates einen umfassenden Bericht zur Lage des europäischen Binnenmarktes veröffentlicht.
Das Fazit: Der europäische Binnenmarkt, der langsam aus verschiedenen Krisen herauswächst, gleichzeitig die Hürden der grünen und digitalen Transformation bewältigen muss und dessen Anteil an der Weltwirtschaft merklich geschrumpft ist, muss neu erfunden werden.
„Made in Europe“
„Ich denke nicht, dass unser Binnenmarkt gänzlich neu erfunden werden muss. Vielmehr braucht es eine Renaissance jener Werte, die den Wirtschaftsstandort Europa in den vergangenen Jahrzehnten so erfolgreich und verlässlich gemacht haben. ‘Fähigkeiten, Talente, Forschung, Innovation, Integrität der Behörden, sichere Umgebungen und faire Steuersysteme – das sind diese Elemente, die die Marke ‘Made in Europe’ prägen. Unser Fokus sollte darauf liegen, diese Elemente zu stärken, anstatt auf die fortwährende Subventionierung durch die Steuerzahler:innen zu setzen’, so hat es EU-Kommissarin Margrethe Vestager einmal überaus treffend formuliert“, unterstreicht Barbara Thaler, Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol.
Kurz gesagt: Wir brauchen einen Binnenmarkt dort, wo es noch keinen gibt, wir müssen die eigenen Regeln einhalten und auch durchsetzen und der Wirtschaft müssen entsprechende Freiheiten gelassen werden.
Bürokratie und Praxis
Enrico Letta empfiehlt in dem Bericht gleichsam die Vereinfachung der Binnenmarktregeln, den Abbau bürokratischer Hürden sowie die praxisorientierte Anwendung des bestehenden Rechtsrahmens.
Diese Erkenntnis hat auch für Österreich eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Denn für die heimische Wirtschaft ist der europäische Binnenmarkt der wichtigste Exportmarkt: Zum Beispiel gehen mehr als 60 % der Tiroler Exporte in andere EU-Mitgliedsstaaten.
„Für eine kleine und offene Volkswirtschaft wie Österreich ist die enge wirtschaftliche Verflechtung mit der EU essenziell. Wir sind bei den Pro-Kopf-Exporten weltweit an 8. Stelle. Eine wirtschaftsfreundlichere Ausgestaltung des Binnenmarkts birgt große Potenziale und ermöglicht enormen Antrieb für Wohlstand und Arbeitsplätze in Österreich“, betont die Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol.
Forderungen an die europäische Agenda
Vorrangig muss der KMU-Sektor in der EU gestärkt und die Rahmenbedingungen speziell für Klein- und Mittelbetriebe verbessert werden.
„Im europäischen Binnenmarkt muss Bürokratie abgebaut und die Belastung für Unternehmen reduziert werden. Der Dienstleistungssektor ist im Vergleich zum Warenverkehr mit deutlich mehr bürokratischen Hürden verbunden. Der Aufwand beim Arbeiten über die Grenze ist enorm. Ein erster wichtiger Schritt sollte zumindest Erleichterungen für kurze und spontane Auslandseinsätze bringen“, verdeutlicht Barbara Thaler.
Der Letta-Bericht fordert auch im Bereich der Industriepolitik konkrete Instrumentarien, um den Strategien anderer Länder entgegenzuwirken, wie z.B. dem „US Inflation Reduction Act“, der viele europäische Unternehmen in die USA lockt.
„Hier muss die EU ansetzen und eine Industriestrategie entwickeln, die die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärkt, der Wirtschaft eine Zukunft bietet und somit das Abwandern europäischer Betriebe verhindert“, fordert Barbara Thaler.
Schwerpunktthemen
Aus regionaler Perspektive sind nachhaltiges Wirtschaftswachstum und der Umweltschutz wichtige Schwerpunktthemen. Die Rahmenbedingungen dafür müssen auf EU-Ebene so geschaffen werden, dass der hiesige Wirtschaftsstandort nicht geschwächt wird.
„Die Ausgestaltung des europäischen Green Deals, aber auch der Energiethemen insgesamt dürfen unsere Position nicht gefährden. Lieferkettengesetz, CBAM, EU-Entwaldungsverordnung, Nachhaltigkeitsberichterstattung und vieles mehr stellen eine Flut an Regulierung dar. Die Strategie zu einer nachhaltigeren und wettbewerbsfähigeren Transformation des Binnenmarktes sollte verstärkt Anreize bieten, anstatt Regelungen mit Strafandrohungen zu schaffen“, ergänzt die Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol abschließend.