Alle reden jetzt von Resilienz und Widerstandsfähigkeit. Aber kann sich ein Unternehmen auf eine solche Krise wirklich vorbereiten, wenn praktisch über Nacht der gesamte Umsatz wegbricht?
Karim Taga: Nein, natürlich nicht. Denn für eine solche Situation hat es kein historisches Vorbild gegeben. Selbst im Krieg waren die Kirchen noch offen, hat Kultur stattgefunden. Neu war an COVID-19 auch, wie rasant schnell sich dieses Virus ausgebreitet hat.
Sie und andere Partner von Arthur D. Little haben in der aktuellen Krise 25 CEOs weltweit befragt, wie sie mit der Krise umgehen. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?
Asiatische Unternehmen hatten einen gewissen Erfahrungsvorsprung durch SARS, insofern hatten sie konkrete Krisenpläne und Schutzmasken in Reserve. Entscheidend war, sämtliche Kompetenzen auf jeweils zwei separate Teams aufzuteilen. Dadurch konnten auch im Fall einer Infektion alle wesentliche Unternehmensfunktionen aufrechterhalten werden, weil dann ein Team isoliert wurde und das andere die Aufgaben übernommen hat. Und dann hat in der Krise die Kommunikation eine ganz zentrale Bedeutung. Die Verunsicherung ist groß, da muss sehr intensiv mit den Beschäftigten, mit den Kunden, mit den Stakeholdern gesprochen werden.
Was ist beim Hochfahren der Wirtschaft wichtig?
Ich kann wirklich empfehlen – und das bestätigt auch unsere CEO-Befragung –, die Aufgaben klar zu trennen: Die Mannschaft, die sich um das Krisenmanagement kümmert, kann nicht gleichzeitig die Zukunft planen, das kann nicht funktionieren. Denn um Chancen zu erkennen, die bei aller Dramatik auch diese Krise bietet, muss man einen freien Kopf haben.
Was sind aus Ihrer Sicht die Learnings aus dieser Krise? Was wird anders sein?
Die Digitalisierung hat einen großen Schub erlebt, das wird unser Arbeiten auch in Zukunft beeinflussen. Wir haben selber als Berater viele Meetings und Workshops Online abgehalten und dabei auch erlebt, wie unglaublich effizient das sein kann. Das wird für die Zukunft bleiben. In vielen Unternehmen sind in den vergangenen Wochen Entscheidungen in Rekordzeit getroffen worden – sie mussten getroffen werden, weil es um Menschenleben gegangen ist. Dadurch hat sich in den Unternehmen eine Dynamik und Agilität entwickelt, die erhalten bleiben soll, auch wenn man langsam zum Normalbetrieb zurückkehrt. Für die Manager ist das eine neue Herausforderung. Denn sie waren bisher gewohnt, Entscheidungen auf Basis umfangreicher Analysen und fundierter Daten zu treffen. Jetzt muss Verantwortung übernommen werden, ohne alle Parameter zu kennen. Das erfordert auch einen neuen Typus von Manager.
Die weltweit vernetzten Lieferketten haben sich in der Krise als Achillesferse erwiesen. Wird sich dort etwas ändern?
Bei diesem Aspekt muss man die staatliche und die unternehmerische Perspektive unterscheiden. Aus Sicht des Staates ist es wichtig, sicherzustellen, dass kritische Produkte wie Medikamente oder auch wichtige Teile für die Infrastruktur im Land produziert werden, auch wenn das 10 Cent pro Stück mehr kostet. Unternehmen sind jahrelang auf Kosteneinsparung und Reduktion von Komplexität getrimmt worden, auch von Beratern. Das hat dazu geführt, dass große Konzerne von ein oder zwei Lieferanten abhängig sind, die meistens in Asien sitzen. Das ist ganz klar auf Kosten europäischer Anbieter gegangen. Hier wird ein radikales Umdenken notwendig sein. Unternehmen müssen sich ein Portfolio mit verschiedenen Lieferanten schaffen, damit sie wieder eine Auswahl haben. Dabei darf es dann nicht mehr nur um den Preis gehen, sondern um langfristige strategische Perspektiven, also um das Geschäft von übermorgen.
Einer der von Ihnen befragten CEOs sagt, dass in jeder Krise die Starken stärker und die Schwachen schwächer werden. Gilt das auch für COVID-19?
Ja, denn jede Krise ist auch ein Bereinigungsprozess. Insofern bieten sich für starke Unternehmen mit entsprechenden Cash-Reserven in den nächsten Monaten sehr interessante Übernahmemöglichkeiten.
Das Interview führte Arne Johannsen.