Vom Manager zum Winzer: Immer mehr Führungskräfte finden ihre zweite Berufung darin, Wein anzubauen. Mit viel Engagement widmen sie sich der Herausforderung – und blühen dabei auf. Vier Manager, die dem Ruf des (Wein-)Bergs gefolgt sind.
Meetings, die bis spätnachts dauern. Ein Termin folgt auf den anderen. Und die nächste Auslandsreise steht auch schon wieder an. Spitzenmanager stehen rund um die Uhr unter Erfolgsdruck. Die Folge: Der Kopf kommt nie zur Ruhe. Die Sehnsucht, sich zu erden, ist entsprechend groß. Eine neue Herausforderung, die auch Freude macht, soll es sein. Was wäre geeigneter, als sich als Winzer neu zu verorten? „Die Früchte meiner Anstrengungen sehen, angreifen und sogar schmecken zu können ist dabei extrem wichtig für mich“, sagt Norbert Walter. Der Tiroler war erst Käsemacher, später Parteimanager der Wiener ÖVP. Heute ist er Direktor des Wiener Bauernbunds und Winzer. Sechseinhalb Hektar Land bewirtschaftet er mit seinem biozertifizierten Weingut Walter in der Hauptstadt, produziert im Jahr 20.000 Flaschen. Dass Weinmachen die Manager anzieht, kann er gut nachvollziehen. Das Produkt sei spannend, das Handwerk interessant. Und das Erleben der Jahreszeiten dabei schlicht einzigartig: „Bei Minusgraden die Reben zurückzustutzen oder im Frühjahr zu erleben, wenn der Saft in die Stöcke schießt, ist wunderschön.“
Das klingt idyllisch, eignet sich aber nicht für jeden. Geduld und Stressresistenz sind laut Walter unabdingbar. Es gäbe zwar wunderbare Momente. Aber in Summe sei es ein harter Beruf. Trotzdem: „Ich wollte wieder mit meinen Händen arbeiten, das hat mir zuvor gefehlt.“ Im Zeitalter der Digitalisierung für Führungskräfte ein außergewöhnlicher Luxus. Und einer, bei dem sie die volle Bandbreite ihres Könnens abrufen können: produzieren, bewerben, verkaufen – alles in Personalunion.
Hans Jörg Schelling
Ex-Finanzminister
Wein macht selig. Fragen Sie Hans Jörg Schelling. Der weiß, wovon er spricht. „Ich genieße es, raus aus der Termin-Tretmühle zu sein“, lacht er. „Ich arbeite nur noch, was mir Spaß macht. Mich hier einbringen zu dürfen bedeutet für mich einen hohen Zugewinn an Lebensqualität.“ Hier – das bezeichnet sein neues berufliches Zweitleben als Winzer. 2009 hat sich der Ex-Finanzminister das Stiftsweingut Herzogenburg zugelegt.
Die Idee dazu kam ihm bei Geschäftsreisen ins italienische Friaul, damals noch als Top-Manager in der Möbelbranche. Viele Produzenten besaßen neben der Fabrik einen Weingarten. Beeindruckt von der Gastfreundschaft dachte er: „Wenn ich später die Zeit und Muße habe, möchte ich das auch.“ Bei einem zufälligen Gespräch mit Prälat Maximilian Fürnsinn ergab sich der nächste Schritt. Schelling pachtete das 13-Hektar-Stiftsweingut. Heute produziert er 70.000 Flaschen pro Jahr, Sterneköche wie Johann Lafer kaufen seine Weine.
Manchmal muss Schelling achtgeben, dass sein Ehrgeiz nicht überhandnimmt. „Nämlich wenn meine Frau mich fragt, warum ich mir eigentlich Arbeit zugekauft habe“, lacht er. Tochter Julia, die in seiner Zeit in der Politik alle Agenden übernahm, führt das Gut mit ihm. Die Marke weiß er hervorragend zu positionieren. Etwa mit auffälligen Etiketten, die einem priesterlichen Hemdkragen nachempfunden sind. Auch Preise wie die AWC-Goldmedaille helfen. Flaggschiff ist der Grüne Veltliner, auch Schaumwein wird hergestellt. Das Ziel für die Zukunft: weiter zu wachsen und zu einem Leitbetrieb für das Traisental zu werden. Doch am meisten genießt Schelling die Expertengespräche mit seinem Kellermeister. Wenn er im herrlichen Barockkeller aus dem 18. Jahrhundert an Geschmäcken tüftelt, ein Glaserl verkostet. „Die Côte d’Azur mit einer Yacht entlangzuschippern würde mich rasch langweilen“, so Schelling, „hier lebe ich auf.“
Hans Schmid
Unternehmer (Kaufhaus Steffl Wien, Präsident der Vienna Capitals, Werbe-Legende)
Der Mann hat ein Motto: „Ich muss zuerst Emotion spüren, und erst dann mach ich einen Business-Plan.“ Am Weinbau reizten Hans Schmid auch die familiären Wurzeln. „Ich komme ja dank der Großeltern sowohl seitens der Mutter als auch des Vaters aus dem Bauernstand. Diese landwirtschaftlichen Gene kann man nicht kappen. Meine Eltern wären stolz auf mich.“ Andere besitzen eine Yacht oder einen Privatjet, er stelle eben Wein her. Und wie: 450.000 Flaschen produziert er im Jahr, ist mit 74,2 Hektar Wiens größter Winzer.
Alles fing an mit dem Kauf des „Roten Hauses“ am Nussberg. Als der befreundete Klaviervirtuose Rudolf Buchbinder den hauseigenen Wein kritisierte, packte Schmid der Ehrgeiz. Dann bot ihm noch Winzer-Ikone Franz Mayer den Traditionsheurigen „Mayer am Pfarrplatz“ samt Weingut an – und flugs war Schmid im Wein-Business gelandet. Am Atz-berg in Spitz in der Wachau gehört ihm ebenfalls ein Weinberg. Und im Kremstal hat Schmid mit sechs Partnern das Weingut Stift Göttweig gepachtet. Auch der Export in ausländische Restaurants läuft gut. „Als Student war das mein Traum“, lacht er, „egal wo ich hinkomme, ich bin bereits da.“
Alfred Riedl
Jacques-Lemans-Chef
Er gilt als kühler Rechner. Immerhin kennt man Alfred Riedl als jenen Unternehmer, der mit seinem Bruder in St. Veit an der Glan die Uhrenmarke Jacques Lemans gegründet hat, in China produzieren lässt und weltumspannend agiert. Doch dann wurde es Zeit für Wein. „Ich bin ein sehr geerdeter Mensch und liebe es, mich in der Natur aufzuhalten“, sagt Riedl, „meine Idee vom eigenen Wein liegt daher schon lange zurück.“ Bereits vor 25 Jahren hat er die ersten Rebstöcke gepflanzt und seitdem das Anbaugebiet kontinuierlch erweitert auf inzwischen 55 Hektar und eine Jahresproduktion von 200.000 Flaschen.
Ein großer Schritt war der Kauf der Burgruine Taggenbrunn in St. Veit an der Glan samt Weingut. 2011 erwarb Riedl die Anlage aus dem 12. Jahrhundert und investierte 35 Millionen („ohne Kredit“, wie er betont) in die Restaurierung. Zum Gut gehören zudem ein riesiger Nobelheuriger für 2.000 Gäste sowie ein Hotel mit 32 Zimmern und Seminarräumlichkeiten. Auch ein Uhrenmuseum und Konzerte sind hier auf 636 Meter Höhe geplant.
Hans Bichler
Wirtschaftsanwalt und Vorstandsdirektor des Wiener Städtischen Versicherungsvereins
Hans Bichler ist Vorstandsdirektor im Wiener Städtischen Versicherungsverein. Und er ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Bichler Zrzavy. Was er noch ist? Richtig, Winzer. Und zwar aus Leidenschaft. Im burgenländischen Purbach kaufte er bereits 1986 einen kleinen Weingarten. Vier Hektar umfasst das Gut heute, gelegen an den Südosthängen des Leithagebirges. Vor allem Pinot Gris, Pinot Noir oder Chardonnay gedeihen hier prächtig, was an der Bodenbeschaffenheit liegt. Durch den harten Glimmerschiefer-Boden müssen die Reben besonders tiefe Wurzeln schlagen und bilden nur wenige Trauben aus. Der Kalk sorgt für eine spezielle mineralische Note. Wert legt Bichler auf die besonders schonende Verarbeitung der Trauben. Die Weine werden 15 bis 18 Monate im Barrique gereift. Mehr als 7.000 Flaschen lässt Hans Bichler hier jährlich produzieren, davon 30 Prozent Weißwein und 70 Prozent Rotwein. Ein Quereinsteiger. Aber einer, der Preise gewinnt.