Mit der Immuntherapie und kombinierten Therapien gibt es nun neue, revolutionäre Therapieansätze, die bestimmte Krebsarten zielgerichteter und für die Patient:innen schonender bekämpfen können. Durch die neuen Möglichkeiten steigt auch die Überlebensrate bei vielen Krebsarten stetig an. Über diese neuesten Erkenntnisse und Forschungsergebnisse tauschten sich vom 7. bis 10. Oktober Hämatologen und Onkologen bei der Jahrestagung der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie im Austria Center Vienna aus.
Dynamisches Forschungsfeld
„Jährlich erkranken in Österreich etwa 42.000 Menschen an Krebs und jeder dritte Mensch leidet im Laufe seines Lebens an dieser Krankheit. Die Onkologie ist daher ein wahnsinnig dynamisches Forschungsfeld, in dem es ständig Entwicklungen gibt und es mehrmals jährlich auch Therapieverbesserungen in Bezug auf die Lebensqualität und Lebenszeit gibt. Mit der Immuntherapie und kombinierten Therapien haben wir neue, revolutionäre Möglichkeiten in der zielgerichteten Bekämpfung der Krebszellen an der Hand. Durch die Gedächtnisfunktion des Immunsystems erhoffen wir uns hier eine besonders langanhaltende Wirkung“, so Matthias Preusser, Leiter der Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Wien und Kongresspräsident der Jahrestagung der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie.
Völlig neuer Ansatz in der Krebsbekämpfung
„Das Immunsystem ist die Körperpolizei, die unseren Körper vor Infektionen und Bedrohungen schützt. In jedem von uns entstehen Krebszellen, die durch dieses Immunsystem zerstört werden. Manchmal gelingt es den Krebszellen jedoch, sich eine ‚Tarnkappe‘ aufzusetzen und das Immunsystem auszutricksen,“ so Preusser.
Konkret gibt es an der Oberfläche der T-Zellen, die für die Immunabwehr wesentlich sind, eigene Checkpoints. Das sind Proteine, die verhindern, dass sich das Immunsystem gegen körpereigene Zellen richtet. Einige Krebsarten können diese Checkpoints hochregulieren und sich so verstecken. „Mit der Entwicklung von Checkpoint-Inhibitoren, also der Mutter der Immuntherapie, eröffnet sich nun ein völlig neuer Ansatz in der Krebstherapie, denn wir nehmen diesen Krebszellen durch speziell entwickelte Antikörper diese ‚Tarnkappe‘ weg und helfen so dem eigenen Immunsystem bei der Besiegung der Krebszellen,“ erklärt Preusser.
Damit dies möglich ist, braucht es ein neues, vertieftes Verständnis der molekularbiologischen und genetischen Hintergründe der Erkrankungen und somit viel Forschung und Weiterentwicklung. „Beim Einsatz von molekularen Antikörpern werden beispielsweise im Labor spezielle Antikörper gezüchtet, die auf ein bestimmtes, einzelnes Merkmal der Krebszellen ‚scharf‘ gemacht werden und so den Tumor bekämpfen können. Erste Erfolge gab es hier bei der Bekämpfung des schwarzen Hautkrebses. Seither sind immer mehr Anwendungen auf weitere Tumorarten hinzugekommen“, so Preusser.
Das Trojanische Pferd im Einsatz
Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes sind „ADCs“, das steht für „Antibody Drug Conjugate“ und meint eine Molekül-Kombination aus Antikörpern und Chemotherapie. Mithilfe des Antikörpers bindet sich das Medikament an die Tumorzelle und wird so von ihr verschluckt. Im Inneren des Tumors werden dann die chemotherapeutischen Wirkstoffe aktiv, die an das Molekül gebunden sind. „Somit gelingt es uns, wie beim Trojanischen Pferd, die Krebszelle von innen zu zerstören,“ betont Preusser „Und wir können auch gezielter vorgehen. Werden bei der klassischen Chemotherapie auch gesunde Körperzellen geschädigt, können diese Kollateralschäden bei der ADC-Methode großteils verhindert werden,“ erklärt der renommierte Onkologe.
Erste zugelassene ADC-Präparate gibt es bereits für Brustkrebs-Varianten. Führt man sich vor Augen, dass 29 % aller Krebserkrankungen bei Frauen Brustkrebs betreffen, ist hier ein wahrer Meilenstein gelungen. „Hinzu kommt, dass wir an der MedUni Wien auch nachgewiesen haben, dass diese Präparate auch bei Hirntumoren, die als Metastasen von Brustkrebserkrankungen entstehen, wirken,“ betont Preusser. Damit wird plötzlich eine schwere Krebskomplikation besser behandelbar. Studien, wie dieses Prinzip auch beim Lungenkrebs angewandt werden könnte, der sowohl bei Männern als bei Frauen die zweithäufigste Krebsart ist, sind gerade im Laufen.
Die Klonkrieger im Kamp gegen Lymphome
Ein weiterer Ansatz der Immuntherapie ist die Car-T-Zellen-Therapie, die bei verschiedenen Blutkrebsarten seit 2019 im Einsatz ist. „Dabei werden Patient:innen mit bestimmten Lymphom- und Leukämiearten T-Zellen des Immunsystems aus dem eigenen Blut entnommen und gentechnisch so verändert, dass sie bestimmte Rezeptoren an der Oberfläche der Krebszellen erkennen. Die so individuell hergestellten „Klonkrieger“ kommen dann in den Körper zurück und zerstören den Krebs,“ erklärt Preusser. Dieser Ansatz wird nun in der Forschung auch für andere solide Tumore, wie dem Darm- und Lungenkrebs, verfolgt. „Die Schwierigkeit besteht hier, dass solide Tumore aus einer Mischung von Tumorzellen bestehen, die sich unterscheiden. Hier maßgeschneiderte ‚Sensoren‘ für die T-Zellen zu entwickeln, die an den Krebszellen andocken, ist viel komplexer als bei Lymphomen“, so Preusser.
Biomarker als Entscheidungshilfe
Derzeit erhalten die Hälfte aller Krebspatient:innen in Österreich eine immun- oder zielgerichtete Therapie. Während sich die Immuntherapie auf das Immunsystem fokussiert, drücken zielgerichtete Therapien durch bestimmte Mechanismen auf die „Wachstumsbremse“ beim Tumor. Wann welche Therapie oder Therapiekombination angewandt wird, wird individuell in so genannten Tumor-Boards entschieden. Um hier zukünftig noch bessere Entscheidungsgrundlagen zu haben, sucht die Forschung nach gezielten Bio-Markern, die auf bestimmte Krebs-Untergruppen schließen lassen und anhand dessen zukünftig die Wahrscheinlichkeit der Wirkung einer Immun oder zielgerichteten Therapie beim jeweiligen Patienten besser vorausgesagt werden soll.
„An der MedUni Wien entwickeln wir gerade einen speziellen Biomarker, der auf DNA-Methylierungsprofilen aus Tumorgewebe und Blutproben basiert. Bei diesen DNA-Methyllierungsprofilen sehen wir uns 850.000 Gene auf einmal an und können hier schon bei HNO-Krebsarten und Sarkomen, das sind seltene Weichteiltumore, starke Korrelationen herauslesen. Jetzt forschen wir daran, über die gleiche Methode mögliche Bio-Marker für Lungenkrebs und Melanome zu finden,“ so Preusser.
Höhere Überlebensraten, länger anhaltende Wirkung
Prinzipiell steigt die Überlebensrate bei vielen Krebsarten durch die neuen Möglichkeiten stark an. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Immuntherapie, die jetzt vom palliativen Setting immer stärker auch im kurativen Setting Fuß fasst. Durch die Gedächtnisleistung des Immunsystems erhoffen sich die Mediziner:innen auch eine sehr lang anhaltende Wirkung, in dem Sinne, dass Krebsarten, die frühzeitig erkannt werden, richtig gute Heilungschancen haben könnten und auch solide Krebsarten in späteren Stadien langfristig in Schach gehalten werden sollten. „Auch wenn wir in der Onkologie schon viele Möglichkeiten haben und täglich Fortschritte machen, bleibt die Prävention durch entsprechende Bewegung und Lifestyle sowie regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen eine der wichtigsten Säulen im Kampf gegen Krebs,“ betont Preusser abschließend.
Über die Jahrestagung
Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO), der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologe (SGMO) und der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie (SGH) ist der größte Kongress zu Blut- und Krebserkrankungen im deutschsprachigen Raum.
https://www.jahrestagung-haematologie-onkologie.com/