Christa Quarles arbeitet seit über zwanzig Jahren in diversen Tech-Unternehmen und leitet seit drei Jahren das Softwareunternehmen Alludo. Zu Beginn ihrer Laufbahn hatte sie nicht das Ziel im technischen Bereich Fuß zu fassen. Erst ein Ausflug als Finanzanalystin im Tech-Bereich sollte die Karriere dann aber nachhaltig verändern.
Wie beschreiben Sie Ihren beruflichen Werdegang? War es ein reibungsloser Übergang oder ein eher steiniger Weg?
Mein beruflicher Werdegang war interessant. Das viele Lernen und Ausprobieren in verschiedenen Unternehmen und Branchen hat sich gelohnt, war aber nicht immer leicht – vor allem als Frau. Meine erste Karriere begann Mitte der 1990er Jahre im Bankwesen an der Wall Street. Als Finanzanalystin für den Tech-Bereich erlebte ich den Boom und die Pleite der Dotcom-Ära und arbeitete mit Unternehmen, die an die Börse gingen.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich nicht länger an der Seitenlinie sitzen wollte. Ich wechselte von einem Angestellten an der Wall Street zu einem vollwertigen Mitglied eines Technologieunternehmens. Ich starte als Chief Financial Officer bei Playdom und kam anschließend als Chief Business Officer zu Nextdoor und als CEO zu OpenTable. Diese Reise führte mich schlussendlich zu meiner jetzigen Position als CEO von Alludo.
Ich habe auf meinem Weg viel über mich selbst gelernt. Ich habe meine Karriere in einem hyperaggressiven Umfeld begonnen, das dem im Film „Wolf of Wall Street“ sehr ähnlich ist. In dieser Welt hatte ich oft das Gefühl, dass es nur ein einziges akzeptables Modell von Führung gibt. Und durch meinen Wunsch, dazuzugehören, war ich nie in der Lage, mich bei der Arbeit vollkommen einzubringen. Jeder, der schon einmal in dieser Position war, wird Ihnen sagen, wie anstrengend es ist, sich selbst verstellen zu müssen, um im eigenen Wirkungskreis akzeptiert zu werden.
Welchen spezifischen Herausforderungen müssen sich Frauen in der Branche stellen?
Man kann nicht über Frauen in der Technologiebranche sprechen, ohne das ernste Problem der mangelnden Vertretung anzusprechen. Selbst im Jahr 2019 lag der Anteil an Frauen in MINT-Berufen laut Statista immer noch bei nur knapp 11 Prozent.
Von Anfang an gab es Hindernisse, die Frauen zurückhielten: mangelnde Ermutigung in der Schule bis hin zum Kampf gegen die Vorurteile gegenüber Frauen in bestimmten Branchen und Positionen sowie dem Mangel an Vorbildern in der lokalen Wirtschaft und dem eigenen privaten Umfeld.
Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, Mentor:innen und Vorbilder zu haben, an denen man sich orientieren und zu denen man aufschauen kann. Wenn man sieht, dass mehr Frauen in MINT-Berufen vertreten sind, beteiligen sich auch mehr junge Frauen daran. Wenn sich Mädchen und junge Frauen für Technik interessieren, empfehle ich ihnen, sich unterstützende, gleichgesinnte Freund:innen, Kolleg:innen und Verbündete zu suchen, die sie auf ihrem Karriereweg begleiten können. Mein Umfeld hat mir ungemein dabei geholfen meine Karriere bis hierhin zu bringen.
Was ist der beste Ratschlag, den Sie anderen für ihre Karriere geben können?
Es ist wichtig, sich selbst zu kennen und zu wissen, was man gerne tut. Menschen sollten sich nicht davor scheuen, den Job zu wechseln, wenn die Ihre Leidenschaft für neue Themen und Positionen entdecken wollen. Gerade Frauen sollten herausfinden, was ihnen Spaß macht, und danach streben, eine Expertin in dieser speziellen Sache zu werden – sei es privat oder beruflich. Denn mit Leidenschaft und Wissen kann man andere Menschen mitreißen und vom eigenen Können überzeugen.
Dabei hilft es, wenn man in einem Unternehmen arbeitet, das Vielfalt und Meinungsaustausch schätzt und sich um die Mitarbeiter:innen als Individuen kümmert und sie nicht als bloße Arbeitsressource sieht. Jede:r Einzelne bietet ein großes Potential für innovative und kreative Ideen, dass es anzuhören und zu nutzen gilt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Vielfalt der Schlüssel zu einer besseren Entscheidungsfindung und letztlich zu besseren Ergebnissen ist. Ich würde nicht zu einem Unternehmen gehören wollen, das die Diversität der Ansichten, der Persönlichkeiten und der Erfahrungen nicht zu schätzen weiß.
Ein wichtiger Schritt dazu ist, eine Übersicht über den eigenen Wert und die erzielten Leistungen zu führen. Sie dienen als Argumentationsgrundlage vor Vorgesetzten und Menschen, die den Wert einer Frau nicht einzuschätzen wissen. Es ist notwendig, unbestreitbare Fakten zu präsentieren, die den eigenen Wert belegen.
Was kann getan werden, um mehr Frauen für die Tech-Branche gewinnen zu können?
Diese Frage wird mir häufig gestellt, und es gibt keinen Zauberstab, der dies über Nacht Wirklichkeit werden lassen kann. Aber es gibt Dinge, die Unternehmen jetzt tun können, um etwas zu bewirken:
- Anerkennen, dass Vielfalt und Integration nicht nur “nice to have” sind – sie sind von grundlegender Bedeutung. Ein Bericht von McKinsey hat ergeben, dass Unternehmen, die bei der Geschlechtervielfalt im obersten Quartil liegen, mit 15 % höherer Wahrscheinlichkeit Finanzerträge erzielen, die über dem jeweiligen nationalen Branchendurchschnitt liegen. Es ist an der Zeit, dass Technologieunternehmen nicht mehr nur sagen, dass sie sich für Frauen in der Technologiebranche engagieren, sondern tatsächlich etwas unternehmen, diese auch in die Führungspositionen zu bringen.
- Eine weitere Maßnahme ist zum Beispiel blinde Bewerbungs- und Einstellungsprozesse einzuführen. So entscheidet weder Ethnie, Alter noch Geschlecht über die Einstellung oder Beförderung.
- Ebenso sinnvoll sind flexible Arbeitsregelungen zu Ort und Zeit. Remote-Mitarbeiter:innen sollten keine Nachteile durch die Wahl ihres Arbeitsorts erlangen.
- Und zuletzt ist es besonders wichtig, eine Kultur der psychologischen Sicherheit zu etablieren, in der jeder das Gefühl hat, dass er oder sie seine Meinung offen aussprechen und sich bei der Arbeit voll und ganz einbringen kann.
Welchen grundlegenden Tipp haben Sie für alle jungen Frauen da draußen?
Findet heraus, wer ihr seid, was euch interessiert und was euch antreibt! Schämt euch nicht, für eure Interessen, „unüblichen“, „nicht-weiblichen“ Vorlieben oder Ansichten. Diese Dinge gehören der Vergangenheit an. Allein euer Wissen und eure Leistung entscheiden darüber, in welchen Branchen und Positionen ihr arbeiten könnt und wollt.
Alludo ist zur Hälfte mit Frauen besetzt (49 Prozent) und liegt damit bei einem höheren Anteil als die großen Tech-Companies der USA. Frauen machen einen wichtigen Teil (43%) des C-Levels aus – mit einer weiblichen Chief Marketing Officer, Chief Legal Officer, angeführt von Christa Quarles als CEO.