Ab März 2020 mussten wir uns mit der Coronapandemie und ihren Auswirkungen auf den Immobilienmarkt auseinandersetzen. Ganz durch sind wir in diesem Fall noch nicht, da noch sehr viele Probleme schlagend werden, doch schon sind wir gezwungen, uns mit der nächsten systemrelevanten Krise zu beschäftigen.
Es ist derzeit nicht ein Ereignis allein, das auf die Immobilienmärkte einwirkt. Die Herausforderung ist, dass es eine ganz unangenehme Mischung aus mehreren Problemen gibt – und das macht die Situation so unberechenbar. „Die Zeiten der Planbarkeit und der Sicherheit sind vorbei“, hält Dietmar Reindl, COO der IMMOFINANZ, fest: „Wir müssen deutlich flexibler werden.“
Betrachten wir einmal das Kriegsszenario. Die Möglichkeit einer Ausweitung des Kriegs wird von den Menschen in den östlichen Ländern tatsächlich stärker befürchtet. Dietmar Reindl registriert bei seinen Arbeitsterminen in Polen und Rumänien eine „negative Stimmung, da die Menschen näher am Krieg dran sind“. Auch Markus Arnold, Geschäftsführer von Arnold Immobilien, sagt Ähnliches: „Es leben die alten Ängste wieder auf, die die Menschen samt der russischen Besatzung schon verdrängt hatten.“ In den weiter entfernten Ländern wird aber der Krieg – auch wenn wir alle die Auswirkungen sehen – in vielen Fällen gar nicht angesprochen. Zu unreal ist die Bedrohung durch einen europaweiten militärischen Konflikt.
Die aus dem Ukraine-Krieg resultierenden Probleme sind allerdings sehr real, findet Michael Ehlmaier, Geschäftsführer von EHL Immobilien: „Der Krieg verursacht wirtschaftliche Verwerfungen, keiner weiß, wie lange es noch dauert, und es ist auch nicht absehbar, welche Auswirkungen das in weiterer Folge haben wird.“ Energiepreise, Lieferketten, Rohstoffversorgung – das sind im Moment große Sorgenkinder. „Die Abhängigkeit von Gas und Öl wird uns noch Probleme bereiten“, so Daniel Riedl, Vorstand von Vonovia, „spätestens bei der Betriebskostenabrechnung im nächsten Jahr.“ In Deutschland sieht der Vonovia-Vorstand noch ein weiteres Problem, nämlich die teilweise sehr schlechte Infrastruktur, deren Verbesserung schon längst überfällig ist, inklusive der verschlafenen Digitalisierung.
Wegen der steigenden Energiepreise und der Inflation „müssten die Eigentümer die Mieten erhöhen, und dann kommen auch noch die höheren Betriebskosten dazu“, meint Reindl: „Da wird es noch zu großen Diskussionen kommen.“ Wie schon bei Covid werden sich das wohl oft Mieter und Vermieter untereinander ausmachen müssen, wobei diejenigen Vertragsparteien im Vorteil sind, die bereits in den letzten zwei Jahren gelernt haben, miteinander gut und ohne Rechtsstreitigkeiten auszukommen.
Die Projektentwickler haben derzeit ganz andere Sorgen: die steigenden Baukosten und die Materialverfügbarkeit. Wobei sich die größeren Developer etwas leichter tun, eine Lösung zu finden, so Dietmar Reindl: „Die Verfügbarkeit von Materialien ist schwierig. Wir bündeln unsere Bestellungen und bekommen eine Materialgarantie. Aber da sprechen wir noch nicht vom Preis.“ Die Zulieferer wollen jedenfalls auf Nummer sicher gehen und schließen lieber mit größeren Unternehmen ab, bei denen sie „die größeren Volumen mit höherer Sicherheit bezahlt bekommen“. Das ist auch der Grund, warum innerhalb kürzester Zeit kleine Developer „links und rechts weggebrochen sind“.
Derzeit bleiben zahlreiche Projekte „on hold“, sie werden in dieser unsicheren Phase gar nicht erst angegriffen. Projektentwicklern, die ohnehin bereits Risiko auf sich nehmen, wäre eine Fortsetzung dann doch zu unberechenbar. „Die Nachfrage nach Grundstücken ist allerdings weiterhin ungebrochen“, erklärt Michael Ehlmaier: „Das Interesse ist enorm und wird nicht sinken.“ Die Frage ist, welche Prozesse nach einem Kauf in Gang kommen, ob überhaupt Immobilien errichtet werden.
An der Nachfrage nach Immobilien ändern die derzeitigen Verhältnisse nichts. „Wer Geld hat, der geht in Immobilien“, erklärt Markus Arnold: „Ich wüsste auch nichts Besseres.“ Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa: „In den jeweiligen Hauptstädten in Europa wird sich nichts ändern. Es ist auf den Märkten so viel Geld unterwegs, dass sie nicht kurzfristig leiden werden.“ Je weiter ein Land von der Ukraine entfernt ist, desto höher ist die Nachfrage, wie etwa in Italien, Spanien oder Portugal. „Richtung Süden wird ukrainisches Geld investiert“, so Markus Arnold. Dafür ist aber auf der anderen Seite eine starke Käuferschicht weggebrochen: „Wir haben eine wunderbare russische Kundschaft gehabt, die flächendeckend in Europa investiert hat.“ Investitionen aus Russland waren von einem auf den anderen Tag vorbei.
Solange die Zinsen niedrig blieben, wird sich an der aktuellen Situation nichts ändern, sind die Profis überzeugt. Wann die Zinsen wieder steigen werden, lässt sich kaum abschätzen, aber Daniel Riedl meint: „Eine Zinsanhebung wird wohl erfolgen, aber nur behutsam und in kleinen Etappen. Dass sich die Zinsen gar nicht bewegen werden, glaube ich nicht.“
Hier geht es zur Podiumsdiskussion der Immobilien-Redaktion.com: Gipfeltreffen nach, während, in der Krise – Immobilienwirtschaft im neuen Europa.