Ungleiche Verteilung des Risikokapitals bei heimischen Start-ups

90% des Finanzierungsvolumens für Start-ups gehen an rein männlich besetzte Gründungsteams.
© Marcella Ruiz Cruz
Ungleiche Verteilung des Risikokapitals bei heimischen Start-ups
Lisa-Marie Fassl, Co-Founder und CEO von Female Founders.

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Nachdem 2021 weltweit alle Rekorde in Hinblick auf Start-up-Finanzierungen geknackt wurden, haben steigende Zinsen, wirtschaftliche Unsicherheiten, Inflation und eine drohende Rezession das Marktumfeld stark eingetrübt. Die Kombination dieser Faktoren und die wirtschaftliche Lage veranlassen Risikokapitalfinanzierer:innen weltweit zu mehr Zurückhaltung und sorgen für ein deutliches Abbremsen am Finanzierungsmarkt für Start-ups und Scale-ups – auch in Österreich. 

In den Zahlen für 2022 lässt sich diese deutliche Eintrübung des Finanzierungsmarkts für österreichische Start-ups im zweiten Halbjahr ablesen. Nach einem sehr starken ersten Halbjahr mit insgesamt 881 Millionen Euro Investments – einer neuen Rekordmarke – ist der Markt im zweiten Halbjahr 2022 deutlich eingebrochen: In den vergangenen sechs Monaten wurden nur noch 125 Millionen Euro investiert – das sind um 83 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.  

Ungleiche Verteilung des Risikokapitals bei heimischen Start-ups

Trotz eines Rückgangs des Finanzierungsvolumens um 18 Prozent im Vergleich zu 2021 wurde 2022 mit 1,0 Milliarden Euro immer noch das zweithöchste Finanzierungsvolumen der Geschichte erzielt.  

Männliche Gründungsteams bevorzugt 

Das in heimische Start-ups investierte Rekordvolumen an Risikokapital kommt aber nach wie vor fast ausschließlich rein männlich zusammengesetzten Gründungsteams zugute: Bei 105 von 130 Finanzierungsrunden 2022 bestanden die Gründungsteams nur aus Männern – das entspricht 81 Prozent. Bei 23 Finanzierungsrunden bestanden die Founding Teams aus männlichen und weiblichen Gründer:innen (18 %). Für rein weiblich besetzte Führungsteams gab es 2022 nur zwei Finanzierungsrunden – das entspricht rund zwei Prozent.  

Ungleiche Verteilung des Risikokapitals bei heimischen Start-ups

Ungleichgewicht bei Gründungen und Finanzierungsvolumen 

Damit erhalten Female Start-ups, also Jungunternehmen mit mindestens einer Frau im Gründungsteam, unterdurchschnittlich viele Investments: Wie eine 2022 veröffentlichte Studie des WU-Gründungszentrums im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft zeigt, werden 36 Prozent aller Start-ups in Österreich von Frauen oder mit Co-Founderinnen gegründet – das ist der höchste Wert in der EU. Demgegenüber stehen aber nur 18 Prozent Female Start-ups mit einem Investment 2022. 

Noch größer ist das Ungleichgewicht beim Finanzierungsvolumen: 87 Prozent des investierten Kapitals flossen in Start-ups und Scale-ups, bei denen das Founding Team nur aus Männern besteht. Das liegt im langfristigen Durchschnitt von 88 Prozent zwischen 2010 und 2021.  

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„Der Venture-Capital-Markt ist nach wie vor überwiegend ein ‚Boys Club‘. Fast neun von zehn investierten Euros in Österreich gingen 2022 an rein männlich besetzte Gründungsteams. Das liegt auch an einem nach wie vor starken strukturellen Ungleichgewicht: Der Anteil an Gründerinnen in Österreich liegt bei nicht einmal einem Fünftel, bei Investorinnen sogar noch niedriger. Wie viele Studien zeigen, investieren männliche Investoren vor allem in männliche Gründer. Diese Zahlen unterstreichen, wie wichtig Initiativen für Female Entrepreneurship und Female Investors sowie insbesondere spezielle Fonds für Investment in gender-diverse Teams sind“, erklärt Florian Haas, Head of Startup bei EY Österreich. 

„Internationale Studien zeigen, dass genderdiverse Teams weniger stark von der zurückgehenden Investitionsfreudigkeit von Venture Capital Fonds betroffen sind. Die Gründe dafür sind sehr naheliegend: Gemischte Teams zeigen eine deutlich höhere Resilienz, was besonders in unsicheren Zeiten ein Erfolgsfaktor ist. Andererseits hatten es gemischte Teams historisch gesehen immer schwerer im Fundraising und mussten noch überzeugender auftreten als ihre rein männliche Konkurrenz. Das heißt gemischte Teams sind es gewohnt, bessere Performance hinsichtlich Produkt- und Unternehmensentwicklung zu zeigen und lassen sich daher von der aktuellen Situation weniger abschrecken. Zusätzlich bauen gender-diverse Teams oft Unternehmen auf, die einen starken Impact-Gedanken verfolgen und sind somit genau die Art von Unternehmen, in die man jetzt investieren sollte. Mit Fund F setzen wir aus diesen Gründen auf gender-diverse Teams plus Impact-getriebene Geschäftsmodelle, vor allem in den Bereichen Healthtech, Fintech, Climate Tech und HR Tech“ so Lisa-Marie Fassl, Managing Partner des Zwölf-Millionen-Euro-schweren Venture Capital Fonds Fund F. 

Jede:r elfte Gründer:in ist eine Frau 

Insgesamt schlossen 130 Start-ups mit 294 Gründer:innen 2022 zumindest eine Finanzierungsrunde ab. Nur 26 dieser 294 und damit jede:r elfte Gründer:in war weiblich. Damit liegt der Anteil bei einer Investitionsrunde mit neun Prozent deutlich unter dem jährlichen Durchschnitt (17 %). Am höchsten ist der Frauenanteil in den Gründerteams in den Sektoren AgTech (40 %), Hardware (18 %) und Mobility bzw. Health (je 16 %). In sechs der 14 untersuchten Sektoren sind keine Frauen in den jeweiligen Gründerteams.  

Ungleiche Verteilung des Risikokapitals bei heimischen Start-ups

„Österreich hat EU-weit den höchsten Anteil an Start-ups mit mindestens einer Gründerin. Gerade in den letzten Jahren gab es hier sehr positive Entwicklungen in Richtung einer stärkeren Gender Diversity und mehr Female Entrepreneurship. Allerdings gilt nach wie vor: Je höher die Wachstumsphase und je höher das Finanzierungsvolumen, desto geringer wird der Frauenanteil. Die Millionen-Investments gehen fast ausschließlich auf das Konto von rein männlich zusammengesetzten Führungsteams. Ein Grund dafür ist auch die extreme Männerdominanz bei Business Angels und Venture Capitalists mit jeweils rund 90 Prozent – das gilt international genauso wie in Europa. Es ist wichtig, hier eine positive Spirale in Gang zu setzen: Wenn Gründerinnen Finanzierungen bekommen und einen erfolgreichen Exit machen, erhöht das den Anteil an weiblichen Kapitalgeberinnen, was wiederum die Chance für Investments für Gründerinnen erhöht“, erläutert Florian Haas. 

© EY-Studie: Female Start-up Funding Index Österreich 2022
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„Mit Fund F adressieren wir die schwierige Finanzierungssituation von gender-diversen Teams auf zwei Ebenen: Einerseits investieren wir in Unternehmen mit mindestens einer Frau im Founding Team, die auch entsprechend ‚decision-making power‘ hat. Andererseits sprechen wir auch in unserem Fundraising gezielt Frauen an, die die finanziellen Möglichkeiten haben, in Venture Capital Fonds zu investieren. Mit 36 Prozent weiblichen Investorinnen, die direkt in Fund F investiert haben und Investmentmanagerinnen bei unseren größten institutionellen Kapitalgeber:innen, ist es uns gelungen, Frauen für diese Asset Klasse zu motivieren. Viele von ihnen nutzen ihr Investment auch als Möglichkeit, die Tech- und Start-up-Szene kennenzulernen und potenziell selbst als Angel Investorin aktiv zu werden“, konstatiert Lisa-Marie Fassl abschließend. 

Das sind Ergebnisse des Female Funding Index 2022 von Female Founders, Fund F und der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt. 

https://www.ey.com

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