Als Nachkommen baumbewohnender Primaten, deren Überleben von ihren Sinnen und Instinkten abhing, leben die meisten Menschen heute in einer hochentwickelten künstlichen Umgebung, die mindestens genauso so stark von Daten wie von der Natur geprägt ist. Daten sind überall: in unseren Smartphones, Autos und Häusern, am Arbeitsplatz und in den Medien. Daten bestimmen unsere Entscheidungen und Überzeugungen, unser Verhalten, unsere Emotionen und unsere Identitäten.
Einigen Schätzungen zufolge werden täglich mehrere Trillionen Bytes Daten erzeugt. Eine Trillion ist eine 1 mit 18 Nullen, eine DVD fasst etwa 5 Gigabyte und ein Gigabyte ist eine 1 mit 9 Nullen. Das täglich von Menschen erzeugte Datenvolumen würde also auf rund 1.000.000.000 DVDs passen.
Informationsüberlastung bezeichnet eine Entscheidungssituation, in der ein Zuviel an Informationen zu einer Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung führt. Eine 2023 von der US-Notenbank veröffentlichte Studie stellte fest, dass die Informationsüberlastung sowohl das Informationsrisiko als auch das Schätzungsrisiko erhöhen kann.
Irrationale Verhaltensmuster
Wie können wir so viele Daten bewältigen? Unsere Gehirne sind keine Computer, sie arbeiten anders. Wir vereinfachen. Wir erzählen Geschichten. Wir verlieben uns in ein Narrativ.
Die Neigung, Geschichten zu glauben, könnte in unseren Genen verankert sein, da der Mensch die Fähigkeit, Geschichten zu erschaffen und zu verstehen, als Überlebensstrategie entwickelt hat. Das Erzählen von Geschichten half unseren Vorfahren, wichtige Informationen zu übermitteln, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich abzustimmen, den sozialen Zusammenhalt und die Gruppenidentität zu stärken und Zukunftsszenarien zu simulieren und zu planen. In der Evolution des Menschen dienten Geschichten dazu, Sinn und Zweck zu vermitteln, Emotionen zu regulieren und Fähigkeiten zur Bewältigung von Herausforderungen zu erlangen.
Der Glaube an Geschichten könnte den Menschen der Frühzeit einen adaptiven Vorteil verschafft haben. In der Wildnis mag dies gut funktioniert haben. Wenn es um die richtigen Anlageentscheidungen in der modernen Welt geht, kann es dagegen ein Nachteil sein. Geschichten bestätigen oft die Gruppenmeinung, sind einprägsam und überzeugend, können aber auch zu Fehlentscheidungen verleiten.
Unsere Vorliebe für Narrative kann uns anfällig für irrationale Verhaltensmuster machen, wie zum Beispiel die folgenden:
- Anfällig für den sogenannten Confirmation Bias – die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu deuten und zu gewichten, dass sie in unser eigenes Weltbild passen. Confirmation Bias kann dazu führen, dass wir Geltung und Zuverlässigkeit unserer eigenen Meinung überschätzen und alternative Erklärungen oder Perspektiven außer Acht lassen.
- Irrationales Verhalten ist in der Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristic) begründet – der Neigung, Informationen stärker zu gewichten, die für uns leicht verfügbar sind. Dadurch wird die Einschätzung der Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses unbewusst davon abhängig gemacht, wie leicht es fällt, entsprechende Ergebnisse aus dem Gedächtnis abzurufen und wie viele Ergebnisse abgerufen werden können. Die Verfügbarkeitsheuristik kann dazu führen, dass wir die Wahrscheinlichkeit seltener oder dramatischer Ereignisse überschätzen und die Wahrscheinlichkeit gewöhnlicher oder alltäglicher Ereignisse unterschätzen.
- Framing-Effekt – das heißt die Tendenz, uns stärker von der Art und Weise, wie eine Information präsentiert wird, beeinflussen zu lassen als von der Information selbst. Der Framing-Effekt führt dazu, dass unsere Entscheidungen und Präferenzen durch die Formulierung, Anordnung oder Betonung von Optionen beeinflusst werden können. Beispielsweise lassen wir uns vielleicht eher auf eine Wette ein, wenn der potenzielle Gewinn hervorgehoben wird und nicht der potenzielle Verlust, auch wenn beide gleich groß wären.
Viele Investoren zeigen ein derart irrationales Verhalten, was unserer Ansicht nach Auswirkungen auf die Märkte hat. Beispielsweise kommt es zum Herdenverhalten, wenn Anleger dem Beispiel anderer folgen, wozu es insbesondere dann kommen kann, wenn der Ausgang einer Entwicklung sehr unsicher ist. Herdenverhalten kann ein Grund für Boom-Bust-Zyklen sein.
Herdenverhalten?
Gibt es an den Märkten derzeit Hinweise auf irrationales Verhalten? Die globalen Aktienmärkte haben sich in den letzten Monaten insgesamt sehr stark gezeigt, da die Anleger optimistischer in Bezug auf den Ausblick für die US-Wirtschaft und vor allem den Technologiesektor geworden sind. Der Hype um das Potenzial künstlicher Intelligenz (KI) hat die Schlagzeilen bestimmt. Chat GPT hat sich nicht nur als wachstumsstärkste Anwendung aller Zeiten erwiesen, sondern auch neuen Zukunftsfantasien Anschub gegeben.
Das erste Motorflugzeug wurde 1903 gebaut. In einer Zeit, in der man nur Drachen und Ballons kannte, mag die Vorstellung, dass ein Objekt mit Metallflügeln und einem Benzintank fliegen kann, verrückt erschienen sein. Bis vor kurzem galt das wohl auch für Behauptungen, dass andere Objekte aus Metall und Silizium – Computer – intelligent denken könnten. Inzwischen glauben viele, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird.
ChatGPT wurde 2022 veröffentlicht, fast 120 Jahre nach dem Jungfernflug der Gebrüder Wright. ChatGPT und andere große Sprachmodelle zeichnen sich nicht durch künstliche allgemeine Intelligenz (AGI) aus. Im Wesentlichen machen sie Vorhersagen dazu, welche Wörter in einem Satz wahrscheinlich als nächstes folgen, und können diese selbst erzeugen. Große Sprachmodelle sind im Wesentlichen brillante Nachahmungen der menschlichen Sprache. Sie verfügen nicht über die Fähigkeit, die Welt selbst wahrzunehmen oder über sie zu reflektieren. Sie haben kein eigenes Bewusstsein, auch wenn ihre Fähigkeit zur Spracherzeugung mitunter zu dieser Illusion verleiten könnte.
Der KI-Hype ist ein Grund, warum Technologiewerte die Aktienmarktperformance in den letzten Monaten dominiert haben. Der Aktienkurs von Nvidia, dessen Chips von elementarer Bedeutung für viele KI-Anwendungen sind, hat sich seit Anfang 2023 vervierfacht. Die Magnificent Seven (Apple, Nvidia, Microsoft, Amazon, Google, Meta, Tesla) machen mittlerweile 28% der Marktkapitalisierung des S&P 500 aus. Ein Beispiel für Herdenverhalten?
Bei einer Investition in einen passiven Fonds, der einen kapitalisierungsgewichteten Index (wie den S&P 500) abbildet, wird nicht gleich viel Geld in jede Aktie im Index investiert, sondern mehr Geld in die höher kapitalisierten Aktien. Wenn diese Aktien ihre Outperformance fortsetzen, ist daran nichts auszusetzen.
In der Vergangenheit konnte man darauf jedoch nicht zählen. Die größten Large-Cap-Aktien im S&P 500 im Jahr 1990 waren Exxon, IBM, Loews, Raytheon und Bristol-Myers Squibb. Welche werden es im Jahr 2035 sein? Vielleicht nicht die gleichen wie heute.
„Big Players“ im S&P 500
1990 | Exxon (63 Mrd. USD), IBM, Loews, Raytheon, Bristol-Myers Squibb |
2000 | Microsoft (604 Mrd. USD), General Electric, Cisco, Walmart, Exxon |
2010 | Exxon (322 Mrd. USD), Microsoft, Walmart, Google, Apple |
2020 | Apple (1,3 Bio. USD), Microsoft, Google, Amazon, Meta |
2024 | Apple (3 Bio. USD), Microsoft, Google, Amazon, Nvidia |
Die zuletzt auseinanderlaufende Performance der Magnificent Seven verdeutlicht, wie wichtig es ist, jedes Unternehmen für sich zu durchleuchten und nicht einfach mit der Herde zu laufen.
Wir raten zu Vorsicht. Die wirtschaftlichen Aussichten sind weiterhin sehr unsicher. Wie die Daten der US-Notenbank (Fed) zeigen, liegt der Global Economic Policy Uncertainty Index immer noch deutlich über seinem 20-jährigen Durchschnitt.
Es besteht große Unsicherheit über Anzahl und Zeitpunkt etwaiger künftiger Zinssenkungen. Die US-Notenbank (Fed) will sich erst sicherer sein, dass die Inflation dauerhaft abwärts tendiert, bevor sie die Zinsen senkt, aber das Beschäftigungswachstum ist stark und die Dienstleistungspreise steigen immer noch. Es ist unklar, wo die Zinssätze Ende 2024 liegen werden, wie die Zinsprognose der Fed („Dot Plot“) zeigt.
Die Unsicherheit ist zum Teil geopolitischer Natur – Stichwort Kriege in der Ukraine und Gaza. Im Jahr 2024 werden in Ländern, die zusammen mehr als die Hälfte des weltweiten BIP ausmachen, Wahlen abgehalten. Seinen Höhepunkt erreicht der Wahlkalender 2024 mit den US-Wahlen. Diese werden wahrscheinlich zwischen Biden und Trump entschieden, aber das Ergebnis könnte leicht in die eine oder andere Richtung kippen, je nachdem wie viele Stimmen die Hauptkandidaten an einen Außenseiter wie Robert F. Kennedy Jr. verlieren.
Wird der Populismus wieder aufflammen? Falls ja, könnte das erhebliche Folgen für den Welthandel und die globale Stabilität haben. Zu den potenziellen Risiken gehören der anhaltende russische Expansionismus und Chinas Pläne für Taiwan.
Angesichts dieser Ungewissheiten halten wir eine breite Diversifikation für sinnvoll. Unsere marktneutrale Strategie ist darauf ausgelegt, eine echte Diversifikation zu bieten – durch Renditen, die weder mit Aktien noch mit Anleihen korreliert sind. Sie gründet auf einem großen Anlageuniversum und einem wiederholbaren, objektiven Ansatz. Wir lassen uns nicht von Geschichten leiten. Wir bevorzugen harte Daten.
Um Fehlentscheidungen durch irrationales Verhalten entgegenzuwirken, haben wir einen sehr disziplinierten, systematischen Investmentprozess entwickelt. Anstelle traditioneller Methoden wie der manuellen Durchsicht von Geschäftsberichten und Analysen von Drittanbietern oder Gesprächen mit Managementteams bevorzugen wir computerbasierte Methoden, um riesige Mengen öffentlich verfügbarer Informationen zu analysieren. So können wir ein großes globales Aktienuniversum anhand unserer Selektionskriterien filtern, die wir selbst entwickelt und im Verlauf der Jahre kontinuierlich verfeinert haben.