Steckt die europäische Automobilbranche tatsächlich in der Krise?

Weltweiter Umsatz der Hersteller stagniert – gleichzeitig steigt aber auch der Wettbewerbsdruck.
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Steckt die europäische Automobilbranche tatsächlich in der Krise?
Henning Rennert, Studienautor und Partner bei Strategy& Deutschland.

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Die europäische Automobilbranche und mit ihr das Rückgrat der Industrie, die Zulieferer, kämpfen mit der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation. Der Umsatz der zehn größten Automobilhersteller der Welt blieb mit rund 1,8 Bio. Euro gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert.

Steckt die europäische Automobilbranche tatsächlich in der Krise?
© Bloomberg, Strategy& Analyse, Datenstand 2019-2024

Unter Berücksichtigung der Inflation und gestiegener Produktionskosten ergibt sich sogar ein Rückgang um 0,6%. Insbesondere europäische Zulieferer spüren die Absatzschwäche ihrer Kernkunden deutlich: Seit 2019 haben die zwei größten europäischen Automobilhersteller bis zu 30% ihres Produktionsvolumens eingebüßt. Das entspricht in Summe etwa 4,3 Mio. Fahrzeugen – und damit einem erheblichen Verlust an potenziellen Zulieferumsätzen.

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© Bloomberg, Strategy& Analyse, Datenstand 2019-2024

Immerhin konnten die 100 größten Zulieferer ihren Umsatz trotzdem noch um 1,2% steigern – von 1,14 Bio. Euro im Jahr 2023 auf 1,15 Bio. Euro im Jahr 2024.

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© Bloomberg, Strategy& Analyse, Datenstand 2005, 2015 und 2024

Doch dieses Wachstum geht vor allem auf chinesische Anbieter zurück. So lag der Weltmarktanteil europäischer Zulieferer 2024 bei 13% und sank damit auf ein historisches Tief (2015: 14%; 2005: 16%). Auch der Weltmarktanteil deutscher Zulieferer reduzierte sich auf 23% und erreichte damit nur noch das Niveau von 2005. Chinesische Zulieferer dagegen konnten ihren Anteil im gleichen Zeitraum aus dem Stand auf 12% steigern.

Das bedeutet: Der Markt wird nicht signifikant größer, aber immer mehr Zulieferer wollen daran teilhaben, vor allem aus China.

Strategie als Schlüssel zum Erfolg

Zulieferer aus China sind der Studie zufolge nicht nur schneller, sondern auch strategisch besser aufgestellt. Sie nutzen ihren großen Heimatmarkt als Sprungbrett in den globalen Wettbewerb und investieren gezielt in Zukunftstechnologien wie Batterien, Software und Fahrzeugelektronik.

Inzwischen zählen acht chinesische Zulieferer zu den Top-100 weltweit, ein deutliches Zeichen für den Einfluss dortiger Wettbewerber. Europäische Zulieferer geraten dagegen zunehmend ins Hintertreffen: Neben rückläufigen Absatzmengen und steigendem Wettbewerbsdruck kommt der Druck hinzu, Innovationen rasch zur Marktreife zu bringen.

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© Bloomberg, Strategy& Analyse, Datenstand 2019-2024

Denn in Schlüsseltechnologien wie Batterie und Software haben chinesische Hersteller laut Studie teils einen Preis- und Technologievorsprung von bis zu 50% gegenüber westlichen Wettbewerbern.

Besonders mittelständische Anbieter leiden unter ihrer engen Spezialisierung, die in der Ära der Elektromobilität oft an Relevanz verliert. Zusätzlich verschärfen sich die Finanzierungsbedingungen, ausgerechnet in einer Phase, in der hohe Investitionen in neue Technologien nötig wären. Das Ergebnis: Der Nachholbedarf im Vergleich zur asiatischen Konkurrenz wächst – technologisch, strukturell und finanziell.

„Die europäische Zulieferindustrie, vor allem in Österreich und Deutschland, steht vor enormen Herausforderungen. Aber sie ist nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage. Bereits in den 1990er-Jahren zwang eine tiefgreifende Strukturkrise die Branche zum radikalen Wandel. Damals drängten südkoreanische Wettbewerber mit massiven Kostenvorteilen auf den Weltmarkt und deutsche Volumenautomobilhersteller gerieten in existenzielle Schwierigkeiten. Als Antwort auf die angespannte Situation wurde die Arbeitsteilung in der Industrie grundlegend neu gedacht: Es entstanden neue Geschäftsmodelle wie der Systemlieferant, ganze Unternehmensbereiche wurden ausgelagert, fusioniert oder geschlossen – und viele Zulieferer fanden so zurück zu Stärke und globaler Wettbewerbsfähigkeit. Heute stehen wir erneut an einem solchen Wendepunkt. Der Druck ist hoch. Aber die Branche hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Krisen nicht nur bewältigen, sondern an ihnen wachsen kann“, sagt Henning Rennert, Studienautor und Partner bei Strategy& Deutschland.

Wettbewerbsfähigkeit durch Innovationen

Der Weg zurück an die Spitze erfordert laut Studie eine klare strategische Neuausrichtung der europäischen Automobilindustrie.

Zulieferer müssen gezielt auf technologische Zukunftsfelder setzen, statt Bestehendes zu verbessern. Dass die Branche nach wie vor über die nötigen Kompetenzen verfügt, zeigt sich bei der Analyse der Patentanmeldungen im Jahr 2024:

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© PATEV, Strategy& Analyse

So liegen vor allem deutsche Zulieferer mit einem Anteil von 32% an der Gesamtanzahl der Patentfamilien mit erster Veröffentlichung weltweit auf Platz eins. Insbesondere sind deutsche Anbieter führend bei der Hardware- und Software-Entwicklung für Fahrerassistenzsysteme (ADAS; 1.370 angemeldete Patentfamilien mit erster Veröffentlichung). Auch bei batterieelektrischen Technologien zählt Deutschland zu den Innovationstreibern – mit 2.560 angemeldeten Patentfamilien mit erster Veröffentlichung liegt das Land auf Platz zwei hinter Spitzenreiter China (5.300 angemeldete Patentfamilien mit erster Veröffentlichung).

Europäische Zulieferer (ohne Deutschland) liegen mit einem Anteil von 14% an der Gesamtanzahl der Patentfamilien mit erster Veröffentlichung global auf dem vierten Platz.

Für eine erfolgreiche Zukunft als Technologieführer brauchen deutsche und europäische Zulieferer gleichermaßen aber wieder mehr Geschwindigkeit und Flexibilität: Lange Entwicklungszyklen, komplexe Prozesse und starre Strukturen bremsen viele Unternehmen aus. Gefragt sind schnellere Entscheidungen, schlankere Abläufe und neue Modelle der Zusammenarbeit, etwa mit Blick auf die Belegschaft. Flexible Schichtmodelle, auch in den indirekten Bereichen wie der Produktentwicklung, könnten helfen, mit dem Tempo aus China Schritt zu halten.

Zudem sollten Zulieferer ihre Wertschöpfung gezielter steuern – nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Statt das Produktportfolio in die Breite zu erweitern, gilt es, sich auf jene Bereiche zu konzentrieren, in denen langfristige Wettbewerbsfähigkeit möglich ist, etwa durch Übernahmen, Partnerschaften und strategische Kooperationen.

„China ist es gelungen, ein eng verzahntes System entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzubauen: von der Rohstoffgewinnung über die Batteriefertigung bis hin zur Fahrzeugmontage und zum Vertrieb. Europa hingegen hat bei der Transformation den Anschluss verloren. Um wieder auf Erfolgskurs zu kommen, braucht es jetzt mutige und vorausschauende Strukturentscheidungen. Die Innovations- und Leistungsdividende muss für die Zukunft erneut verdient werden. Zudem dürfen die Innovationen von morgen nicht als Einzelaufgabe verstanden werden, sondern als kollektive Verantwortung. Denn eines ist sicher: Die nächste Konsolidierungswelle kommt – es ist zu riskant, nichts zu riskieren“, ergänzt Henning Rennert abschließend.

Nähere Informationen zur vollständigen Studie finden Sie hier.

https://www.strategyand.pwc.com

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