„Quo vadis Germania“ – so steht es um die größte europäische Volkswirtschaft

Welchen Herausforderungen muss sich die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren stellen?
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„Quo vadis Germania“ – so steht es um die größte europäische Volkswirtschaft
Peer Hitschke, Risk Experte bei der Wirtschaftsauskunftei Creditsafe.

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Unternehmen wie P&K, Real GmbH, das Traditionshaus Weck oder die zuletzt stark kritisierte Signa Gruppe stehen sinnbildlich für das, was das Jahr 2023 kennzeichnete: Großinsolvenzen.

Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Insolvenzzahlen in Deutschland um mehr als 30 Prozent. Teilweise wurden in einzelnen Quartalen Zuwächse von bis zu 40 Prozent verzeichnet. Doch was heißt das für die deutsche Wirtschaft? War das schon die häufig prognostizierte Insolvenzwelle?

„Trotz des Anstiegs der Insolvenzen im Jahr 2023 „fehlen“ im Vergleich zu einem durchschnittlichen Wirtschaftsjahr immer noch mehr als 60 Prozent der erwarteten Insolvenzen. Seit 2020 hat sich ein erhebliches Minus an Unternehmensinsolvenzen aufgebaut“, konstatiert Peer Hitschke, Risk Experte bei der Wirtschaftsauskunftei Creditsafe.

Der Wirtschaftsexperte hat die aktuelle Lage genau unter die Lupe genommen und beleuchtet Hintergründe der Entwicklung sowie die Strategien unserer europäischen Nachbarn.

Ohne Rückblick, kein Ausblick

Im Mai 2020, nach einem historischen siebenwöchigen Lockdown, stellten sich Ökonomen und Politiker dieselbe Frage: Wie lange braucht die Wirtschaft, um sich von einem Einschnitt wie der Corona-Pandemie zu erholen?

Um eine fundierte Einschätzung zu ermöglichen, analysierte Creditsafe Daten ähnlicher Stressszenarien in westlichen Wirtschaftszonen. Unter anderem wurden hierbei Informationen zur schweren schwedischen Bankenkrise Anfang der 90er Jahre, der Dotcom-Blase oder der globalen Finanzkrise von 2008 analysiert. In Summe rechneten die Risk Experten der Wirtschaftsauskunftei im Mai 2020 – ohne zusätzliche Effekte – mit einem Anstieg zahlungsunfähiger Unternehmen von deutlich über 50 Prozent und einer wirtschaftlichen Normalisierung auf das Vor-Corona-Niveau frühestens 2023.

Doch die Rückkehr zur vermeintlichen Normalität verlief anders:

Die Pandemie zog sich länger als erwartet, Lieferketten erwiesen sich als anfällig und wurden durch den Krieg in der Ukraine zusätzlich unter Druck gesetzt. Die Energiewende, Handelsembargos und Wirtschaftstransformationen erschwerten die Lage zusätzlich. Eigentlich sollte ein exportorientiertes Deutschland aufgrund der gewachsenen Komplexität der globalen Wirtschaft und der Zunahme geopolitischer Risiken nun deutlich reagieren.

Stattdessen sehen wir seit 2020 stark rückläufige Insolvenzzahlen. Während sich die Zahl der Geschäftsaufgaben mit Beginn der Pandemie jährlich signifikant erhöhte, sank die Insolvenzquote mit jedem Jahr deutlich. Trotz eines Anstiegs im Jahr 2023 blieben über 60 Prozent der erwarteten Insolvenzen eines harmonisierten Durchschnittsjahres aus.

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Vergleich mtl. Insolvenzanträge in Deutschland zum Referenzjahr 2018
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Kontraproduktive Corona-Hilfen? Ein unnatürlicher Strukturwandel in der Wirtschaft

Eine Rolle spielten die mehrfache Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im ersten Jahr der Pandemie sowie die staatlichen Hilfen „Wumms“ und „Doppelwumms“. Weitaus weniger Unternehmen als erwartet, meldeten Insolvenz an.

Unterschiede in der Krisenbewältigung

Im Vergleich zu anderen EU-Staaten zeigt sich, dass Deutschland signifikante Unterschiede in der Krisenbewältigung aufzeigt.

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COVID – Recovery Simulation – Schweden
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Schweden und Dänemark setzten stärker auf Digitalisierung und Selbstheilung und weniger auf direkte Unternehmensförderung. In Schweden beispielsweise konnten während der Pandemie aufgrund des hohen Digitalisierungsgrades beinahe sämtliche Unternehmensprozesse weiterlaufen. Zudem war man im Umgang mit Unternehmenshilfen in Skandinavien wesentlich restriktiver, während die Hälfte der in der EU ausgeschütteten staatlichen Hilfen an deutsche Unternehmen ging.

Diese Effekte spiegeln sich in den Insolvenzzahlen seit Beginn der Pandemie wider: Im Vergleich war die Insolvenzquote in Dänemark zwanzigmal höher als in den Niederlanden und immer noch mehr als sechsmal so hoch wie in Deutschland.

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Kumulation der ausgebliebenen Insolvenzen seit 2020 (im Vergleich zum harmonisierten Durchschnittsjahr) – Europa
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Insgesamt führten die Pandemiejahre in Dänemark zu einem Plus von 59 Prozent an Insolvenzen. Im Vergleich: Unser skandinavischer Nachbar hatte von 2018 zu 2023 einen Zuwachs von 78 Prozent. Für Deutschland lagen die Insolvenzen im letzten Jahr immerhin 11 Prozent höher als noch im Jahr 2018. In den Niederlanden wiederum lag man mit -12 Prozent sogar weit unter den Insolvenzzahlen von 2018.

Worauf sollten Unternehmen achten?

Aktuell befindet sich hinter der deutschen Wirtschaft ein großes Fragezeichen. Sie ist im Vergleich zu anderen Wirtschaftsregionen überdurchschnittlich stark abhängig, erhielt gleichzeitig aber überproportional hohe Staatshilfen.

Klar ist, die Welt befindet sich inmitten einer wirtschaftlichen- und auch geopolitischen Transformation. Weg von fossilen Energien, hin zu mehr Digitalisierung und Eigenverantwortung mit höheren Anforderungen an Lieferketten.

Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Die überdurchschnittlich starke Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsräumen, kombiniert mit hohen Staatshilfen, wirft Fragen über die langfristige wirtschaftliche Stabilität auf. Zudem wurde die Zeit der staatlichen Eingriffe nicht genutzt, um notwendige Strukturwandel einzuleiten Reformen in Richtung Digitalisierung und nachhaltiger Transformation voranzutreiben. Stattdessen wurden Förderungen breit gestreut und auch überholte Geschäftsmodelle am Leben erhalten. Hier fehlen klare Vorgaben und eine strategische Ausrichtung seitens der Politik

Viele notwendige Ressourcen sind aktuell schlichtweg nicht im benötigten Maß vorhanden oder sind in nicht-zukunftsfähigen Unternehmen gebunden. Zudem gibt es einen klaren Nachholbedarf in Sachen Transparenz und Veröffentlichungsfristen.

In den meisten europäischen Ländern sind Unternehmen jeder Größe gesetzlich verpflichtet, ihre wirtschaftliche Lage samt Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) zeitnah offenzulegen. In Deutschland sind jedoch weniger als 2 Prozent der im Unternehmensregister geführten Betriebe eine GuV. Ein Drittel ist von den Veröffentlichungspflichten gänzlich befreit oder scheut nicht die verhältnismäßig geringen Folgen der Versäumnis. Auch bestehende Fristen werden oft nicht eingehalten: Durchschnittlich wird die Veröffentlichungsfrist von 12 Monaten nach Abschluss des Wirtschaftsjahres um mehr als fünf Monate überschritten.

Unternehmen im europäischen Ausland wären bei solchen Verstößen vermutlich längst liquidiert oder zumindest geschlossen worden. Hier braucht es eine gemeinschaftlichere Haltung der EU.

Um sein Unternehmen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten zu schützen, sollten langfristige Risiken genau bewertet und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Damit können potenzielle Gefahren frühzeitig erkannt und negative Auswirkungen auf das Geschäft minimiert werden. Insbesondere internationale Krisen erfordern eine ausgeteilte Strategie und eine aktuelle Datengrundlage, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Nur so lassen sich die anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen meistern und nachhaltiges Wachstum ermöglichen.

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