Zeit zu handeln für den Handel!

Die transkontinentale Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok ist nicht mehr realistisch.
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Christoph Leitl: Optimismus oder Pessimismus – Krisen auch als Chance?
Europa-Experte Christoph Leitl.

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Um so wichtiger für Europa, andere Freihandelsabkommen mit anderen Ländern und Kontinenten zu verstärken. Die EU hat dazu mehrere Möglichkeiten:

EU-US-Trade and Technology Council 

Eine intensivere Zusammenarbeit mit den USA könnte vor allem auf den Gebieten der Sicherung von Lieferketten, in einer Kooperation einer digitalen Infrastruktur sowie in der Festlegung von Technologiestandards erfolgen. Letztere könnten Barrieren im bilateralen Handel reduzieren bzw. beseitigen. Weitere Kooperationsgebiete: Künstliche Intelligenz, Cybersecurity vor allem für KMUs, Zusammenarbeit in Klimafragen und wechselseitiger Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. 

EU-Chile

Die EU strebt an, in der Batterieproduktion Weltführer zu werden. Dazu ist ein Zugang zu den großen Lithium-Vorkommen in Chile ganz wesentlich, insbesondere für die Autoindustrie und ihre Schwerpunktverlegung auf elektrische Fahrzeuge.

EU-China

Das EU-China-Investmentabkommen wurde fertiggestellt, ist aber nicht in Kraft getreten. Grund dafür waren wechselseitige Sanktionen zwischen China und EU, deren Ursache der Streit berzüglich der Uiguren-Frage ist. Diese wechselseitigen Sanktionen aufzuheben ist nunmehr eine politische Entscheidung. 

EU-Mexiko

Ein diesbezügliches Abkommen wurde 2020 abgeschlossen und würde in fast allen Bereichen Zollfreiheit im wechselseitigen Handel beinhalten. Die EU wollte das Abkommen aufsplittern, um einen Teil rascher durch die Mitgliedsstaaten ratifizieren zu können.

EU-MERCOSUR

Die EU hat mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay und somit mit einem Wirtschaftsraum von 780 Millionen Menschen eine Vereinbarung erziehlt, die einen wechselseitig leichteren Marktzugang durch reduzierte Zölle im Ausmaß von vier Milliarden Euro pro Jahr bewirkt. Auch dieses Abkommen wurde 2020 abgeschlossen, einige EU-Mitglieder haben jedoch Sorgen bezüglich ihrer Landwirtschaft und dem Regenwald in Brasilien geäußert. Die Tatsache, dass der Schutz der Regenwälder durch den Beitritt zum Pariser Klimaabkommen besser gesichert werden kann und die Landwirtschaft nur ein gewisses Kontingent an zusätzlichen Importen und diese auf der Basis europäischer Qualitätsstandards vereinbart hat, konnte bisher nicht zu einer Änderung der Haltung dieser Länder führen. Nunmehr beabsichtigt die Kommission, ein Extraprotokoll zu Nachhaltigkeit mit den MERCOSUR-Staaten zu vereinbaren. Wichtig in diesem Zusammenhang wird der Ausgang der brasilianischen Präsidentenwahl im Oktober sein.

EU-Indien

Indien ist das zwischenzeitlich bevölkerungsreichste Land der Welt und es wird ein starkes Wirtschaftswachstum erwartet. Die Europäische Union möchte daher mit diesem Land ein Freihandelsabkommen, zugleich aber auch über Indien einen größeren strategischen Zugang für den indo-pazifischen Raum erhalten. Der Kontakt mit der größten Freihandelszone der Welt wäre für Europa von substantieller Bedeutung. Allerdings haben die Verhandlungen noch nicht offiziell begonnen, es sind jedoch beide Seiten daran interessiert, damit auch ein Gegengewicht zur derzeit übermächtigen chinesischen Position zu schaffen.

EU-Australien

Dieses Land ist sehr europäisch orientiert und würde ein Abkommen mit der Europäischen Union sehr begrüßen. Politische Probleme mit Frankreich haben die Verhandlungen jedoch unterbrochen. Auch in diesem Fall geht es um Landwirtschaftsprodukte als Knackpunkt. Andererseits wäre für die EU der Zugang zu Rohmaterialien eine wichtige Priorität. Ähnliches gilt für ein EU-Neuseeland-Abkommen. Wenn ein politischer Wille vorhanden ist, könnten im laufenden Jahr in beiden Fällen wesentliche Fortschritte erzielt werden.

EU-Türkei

Die Modernisierung des jahrzehntelangen Zollabkommens zwischen der EU und der Türkei steht an und wäre aus wirtschaftlicher Sicht für beide Seiten vorteilhaft. Hindernis auch hier: politische Differenzen. Angesichts der schon bisher außerordentlich intensiven Handelsverflechtung zwischen der Türkei und der Europäischen Union sowie des sehr hohen Investitionsvolumens von EU-Unternehmen in der Türkei wäre auch in diesem Fall rascher Handlungsbedarf gegeben. 

EU-Schweiz

Die EU ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz, die Schweiz für die EU der viertwichtigste. Bisher haben beide Partner über hundert bilaterale Vereinbarungen getroffen, einige von ihnen mit Ablaufdatum versehen. Nunmehr haben die Schweiz und die EU ein Rahmen-Agreement vereinbart, das jedoch im Mai des letzten Jahres von Seiten der Schweiz aufgrund innenpolitischer Diskussionen auf Eis gelegt worden ist. Die Wiederaufnahme der Gespräche im November brachte keine Fortschritte, Konfliktpunkt ist eine angedachte Schiedsstelle bei möglichen Konflikten. Die Verhandlungen befinden sich daher an einem toten Punkt, obwohl eine Lösung im beiderseitigen Interesse höchst sinnvoll wäre.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die Europäische Union gerade in diesen Zeiten der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Umbrüche Freihandelsabkommen mit allen Teilen der Welt sinnvoll, notwendig und wünschenswert wären. In den meisten Fällen sind es jedoch politische Komplikationen, die solche Abkommen bzw. deren Umsetzung in die Praxis behindern. Europa muss daher seine außerwirtschaftlichen Beziehungen neu definieren und Partnerabkommen schließen, die nicht nur die Handels- und Investitionsbeziehungen betreffen, sondern auch in den Bereichen Energie und Umwelt, Rohstoffe, internationale Lieferketten, Digitalisierung, Wissenschaft und Forschung, Aus- und Weiterbildung, Sicherheit sowie im kulturellen Bereich neue Möglichkeiten eröffnen, die für Europa mehr denn je lebensnotwendig sein werden. 

Und nicht zu vergessen: Wer europäische Werte transportieren will, kann dies nicht durch Zurufe von außen machen sondern nur im Rahmen von tragfähigen Partnerschaften bewirken. 

Autor: Christoph Leitl

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