„Wir sind zum einen das schnell wirkende ‚Schmerzmittel‘ bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin …“

Exklusivinterview mit Bernd Greifeneder, CTO von Dynatrace.
© Ines Thomsen
„Wir sind zum einen das schnell wirkende ‚Schmerzmittel‘ bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin …“ Dynatrace Bernd Greifeneder
Bernd Greifeneder, CTO Dynatrace

Teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp

Herr Geifeneder, nach der HTL haben Sie Informatik studiert und kurz nach Beendigung des Studiums 2005 mit zwei Partnern Dynatrace in Linz gegründet. Was hat Sie damals angetrieben, diesen Weg als Unternehmer einzuschlagen?

Als wir Dynatrace 2005 gegründet haben, brachen Onlineshops unter der Last von 50 gleichzeitigen Bestellungen zusammen. Klassische Monitoring- und Profiling-Ansätze haben für damalige Anwendungen unter Last nicht funktioniert. Daher habe ich die Idee vom „dynamic tracing“ entwickelt, also das automatische Nachverfolgen eines IT-Fehlers zu dessen Wurzel, um die eigentliche Ursache eines Problems zu analysieren und zu lösen. Damit haben wir einen Nerv getroffen und schnell die ersten Kunden gewonnen. Zuerst im DACH-Raum, bald auch in den USA. Ich denke grundsätzlich global und mir war klar, was es bedeutet, ein Enterprise-Produkt zu entwickeln und zu vermarkten, mit dem wir die 15.000 größten Unternehmen dieser Welt ansprechen. Von Beginn an die globale Perspektive zu verfolgen hat sich bezahlt gemacht. Heute hat Dynatrace sechs Milliarden digitale Transaktionen pro Millisekunde im Blick.

2011 wurde Dynatrace an den US-amerikanischen Softwarekonzerns „Compuware“ verkauft, notiert seit 2019 an der NYSE und betreibt heute weltweit rund 50 Niederlassungen – worauf ist diese rasante Erfolgsgeschichte zurückzuführen?

In den Anfangstagen ging es darum, Onlineshops zum Laufen zu bringen. Heute nutzt jeder die Vorteile der umfassenden Digitalisierung, die so gut wie alle Lebens- und Geschäftsbereiche durchdringt. Man macht Online-Banking, verwendet Apps, kauft Online ein und lässt sich Waren nach Hause liefern. IT-Anwendungen und Infrastrukturen werden immer komplexer und die Datenmengen, die wir produzieren, explodieren. 2021 werden wir 79 Zettabyte an Daten – das sind 79 Billionen Gigabyte – erzeugen. Um das zu speichern, würde man 150 Milliarden handelsübliche Laptops brauchen.

Die Komplexität ist exponentiell so stark gestiegen, dass die IT-Verantwortlichen und die Entwickler ohne intelligente Computerhilfe überhaupt nicht mehr überblicken können, was denn da vor sich geht. Dynatrace hilft, diese Komplexität automatisiert zu bändigen und zu überblicken. Wir erkennen auftretende Probleme und Sicherheitslücken in Software oder IT-Infrastrukturen in Echtzeit und können automatische Heilungsprozesse anstoßen. Wir sind zum einen das schnell wirkende “Schmerzmittel” bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin, mit dem Unternehmen ihre digitale Transformation beschleunigen und Problemen vorbeugen. Darauf verlassen sich heute schon mehr als 3.000 Kunden auf der ganzen Welt, darunter mehr als 70 der 100 größten Unternehmen. Dass Dynatrace im Hintergrund läuft, spürt beinahe jeder von uns, jeden Tag: Bei Banken und Versicherungen, bei DHL – wenn Pakete richtig ankommen, im H&M Online Shop, beim Kauf von Reisetickets, beim Cloud Management von Automobilherstellern, oder zum Beispiel auch bei der Covid-Impfanmeldung in Oberösterreich.

© Mark Senbstbratl
„Wir sind zum einen das schnell wirkende ‚Schmerzmittel‘ bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin …“ Dynatrace
„Digitale Services müssen funktionieren, schnell sein, sicher sein und die User Experience muss eine gute sein, sonst würden die Services nicht genutzt werden.”

Was unterscheidet Dynatrace von anderen Unternehmen der Branche?

Wir hören niemals auf, uns selbst neu zu erfinden. Das betrifft sowohl die Art wie wir arbeiten, als auch unsere Software Intelligence-Plattform. Das ist anstrengend, aber auch sehr zukunftsträchtig und mit ein Grund für unser kontinuierliches Wachstum.

Digitale Services müssen funktionieren, schnell sein, sicher sein und die User Experience muss eine gute sein, sonst würden die Services nicht genutzt werden. Wir sind Marktführer, weil wir nicht einfach nur Daten über den Zustand der Systeme liefern, sondern KI-gestützte Antworten aus einer Hand, mit denen unsere Kunden proaktiv ihre Services automatisieren und verbessern. Ständige Innovation und Weiterentwicklung ist unser Treibstoff. Daher sind wir zuletzt auch in den IT-Security Markt eingestiegen. Hier steckt die Automatisierung noch in den Kinderschuhen. Das liegt vor allem daran, dass aktuelle Technologien noch viel zu ungenau sind, was wiederum sehr viel manuelles Eingreifen erfordert, um Fehlalarme zu bearbeiten. Das Risiko von Schwachstellen und Angriffen steigt dabei. Angesichts von 3,5 Millionen offenen Stellen für Sicherheitsexperten besteht ein unerbittlich starker Bedarf an Automatisierung, den wir mit unserer Technologie mit-abdecken können.

Mit dem Tempo der digitalen Transformation können viele Unternehmen offensichtlich nicht mithalten – das bestätigt auch eine international durchgeführte Befragung von CIOs, deren Ergebnisse Dynatrace kürzlich veröffentlicht hat. Was ist vorrangig notwendig, um hier nicht den Anschluss zu verlieren?

IT- und Cloud-Teams verbringen weltweit mehr als 40 Prozent ihrer Zeit mit manuellen Routineaufgaben, die lediglich die Systeme am Laufen halten. Das kostet allein jedes deutsche Unternehmen im Schnitt ungefähr 5 Millionen Euro pro Jahr. Unternehmen müssen ihre Prozesse automatisieren, und das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Business, Softwareentwicklung, Betrieb und Security-Teams müssen verschränkt arbeiten, und nicht mehr in Silos. Teams müssen von unnötigem „Computerbabysitting“ freigespielt werden, damit sie sich wieder um ihre eigentlichen, kreativen Kernaufgaben kümmern können – das Entwickeln neuer Lösungen und Services.

Wir helfen unseren Kunden nicht nur dabei, dass ihre bestehende Software perfekt funktioniert, sondern unterstützen viele von ihnen auch, ihre digitale Transformation durchzuführen. Sprich: bestehende Services zu modernisieren, in die Cloud zu bringen, und vor allem – gerade jetzt durch Covid noch wichtiger – komplett neue Services zu entwickeln, weil man bemerkt, dass vielleicht doch nicht mehr alles so wie bisher funktionieren kann.

Wo orten Sie die Schwachstellen heimischer Unternehmen hinsichtlich Digitalisierung? Welche Maßnahmen wären dringend notwendig?

Wir sehen hier weniger regionale Unterschiede, da ja der Zugang zu Cloud-Technologie sehr globalisiert ist. Vielmehr kommt es auf das „Digitale Verständnis“ der Entscheidungsträger in Unternehmen an. Speziell Hardware-orientierte Firmen denken oft noch gerne, dass Software ein “add-on” ist. Aber Firmen wie Tesla und Apple zeigen uns, dass Software genauso im Mittelpunkt steht. Wenn heimischen Unternehmen im Vergleich zu amerikanischen Mitbewerbern etwas fehlt, dann ist es der starke Wille, die Benutzererfahrung digitaler Services mit großem Aufwand wirklich einfach, intuitiv und performant zu machen. Kunden kaufen “Experience” und nicht nur “Features”. Um das zu erreichen, benötigt man viel engere Zusammenarbeit aus den Fachbereichen, agile Softwareentwicklungsprozesse, und man muss die Experience der Benutzer aktiv messen.

© Ines Thomsen
„Wir sind zum einen das schnell wirkende ‚Schmerzmittel‘ bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin …“ Dynatrace
„Die Ausbildung in Österreich ist gut und wir sind eng mit allen einschlägigen Schulen, FHs und Universitäten vernetzt.”

Wie ist es aus Ihrer Sicht hierzulande um die digitale Kompetenz der MitarbeiterInnen bestellt und sind wir bezüglich Aus- und Weiterbildung auf dem letzten Stand?

Unsere Forschung und Entwicklung ist in Österreich beheimatet, wir haben hierzulande aktuell rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und werden kommendes Jahr wieder um mindestens 300 wachsen. Dieses rasante Wachstum schaffen wir mit ausgezeichneten Experten aus Österreich ganz gut. Die Ausbildung in Österreich ist gut und wir sind eng mit allen einschlägigen Schulen, FHs und Universitäten vernetzt. Ohne internationale Fachkräfte ginge es allerdings nicht. Rund 25 Prozent unserer Mitarbeiter sind hochqualifizierte Internationals.

Zwei Faktoren, sind für den Standort enorm wichtig: MINT Ausbildung forcieren, und das so früh wie möglich – vor allem auch bei Mädchen. Und Österreich als offenes, attraktives Technologieland positionieren, um die weltweit besten Köpfe hierher holen zu können. Internationale, englischsprachige Schulen mit MINT-Schwerpunkten sind hier ebenfalls ein wichtiges Puzzleteil.

Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf Ihr Business?

Am Anfang sind natürlich alle einmal kurz auf die Bremse gestiegen. Als sich dann herausgestellt hat, dass es wieder weiter geht, haben viele Unternehmen investiert und die Zeit genutzt, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Covid war ein Katalysator für die digitale Transformation in vielen Bereichen. Auch dort, wo man vielleicht nicht gerade als erstes an Investitionen während Covid denken würde, wie in der Kreuzfahrtbranche. Dort haben wir einen großen Kunden, der jetzt die Zeit genutzt hat, um sich mit seinen digitalen Angeboten auf die Zukunft nach der Pandemie vorzubereiten und dann wieder – mit Konkurrenzvorteil – Vollgas durchstarten zu können.

Seit 15 Jahren als CTO an der Spitze beraten Sie auch Start-ups, halten Vorträge und unterstützen die Technologieforschung – kann man daraus schließen, dass Ihr Beruf gleichzeitig Berufung ist?

Auf jeden Fall. Es steckt eine gute Portion Selbstverwirklichung darin. Jeder möchte doch seine geistigen Gene weitergeben, um die Welt mit dem, was man gut kann, ein wenig zu besser machen.

© Ines Thomsen
„Wir sind zum einen das schnell wirkende ‚Schmerzmittel‘ bei IT-Problemen und zum anderen das nachhaltige Vitamin …“ Dynatrace Bernd Greifeneder
„Es gibt eigentlich nur wenige wichtige Prinzipien, die man verstehen, und vor allem leben muss.”

Wir würden Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönliche Fragen:

Wie wichtig sind Mentoren/Förderer und welche waren das bei Ihnen?

Jede Zeit braucht Menschen, die an einen glauben und an einem Strang mitziehen. In der Gründerzeit hatten wir tolle Mentoren bei der FFG/AWS. In der Internationalisierungsphase, als wir das US-Office gegründet haben, war es der Venture Capital Geber, später dann unser CEO und auch der Private Equity-Investor, der sehr geholfen hat.

Persönlich hab ich für meinen Management Stil die vielen dicken Bücher, die es da draußen gibt, schnell verworfen. Es gibt eigentlich nur wenige wichtige Prinzipien, die man verstehen, und vor allem leben muss. So gesehen hat mich die “One Minute Manager”-Buchreihe am meisten geprägt.

Welches berufliche Erlebnis hat sie am meisten geprägt?

Vor Dynatrace hatte ich in meiner Rolle als CTO bei einer früheren Nasdaq-notierten Firma mit meinem Team (davon sind heute einige bei Dynatrace in wichtigen Führungspositionen) eine neue Software entwickelt, die nachweislich den erwarteten Kundenwert gebracht hat. Jedoch war dieses Unternehmen nicht in der Lage, ein neues Produkt mit neuen Zielgruppen in den Markt einzuführen. Das hat mich sehr geprägt und ich habe mir gesagt: „Ok, ich kann es besser, die nächste Erfindung bringe ich selber in den Markt.” Und zwei Jahre später wurde Dynatrace gegründet.

Gibt es ein Lebensmotto, das Sie verfolgen?

Jeden Tag die Situation reflektieren, und dann das Beste geben.

Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen?

Mit Jacques Cousteau, um den Marianengraben zu besuchen, aber der ist leider schon verstorben. Oder mit dem neuseeländischen Segler Peter Burling, um mit der AC75 Rennjacht über das Wasser zu jagen.

Was inspiriert, was entspannt Sie und worauf sind Sie besonders stolz?

Inspiration hole ich mir in der Natur, am Wasser und in den Bergen. Ich versuche auch privat, Performance mit Technologie zu verbinden. Eines meiner Hobbies ist, mit meinem Hydrofoil-Katamaran über den Attersee zu fliegen.

Stolz bin ich auf die vielen einzigartigen Menschen, die mich im Leben privat wie beruflich begleiten.

Bewegt hat mich sehr, 2019 am NYSE Parkett den Dynatrace Börsegang zu verfolgen.

Sie können EIN Weltproblem lösen – welches wäre das?

Den massiven Energieverbrauch, den digitale Services global verursachen, zu senken. Denn je besser Software entwickelt und gemonitored wird, umso effizienter kann sie betrieben werden, und umso weniger Energie benötigt diese.

Das könnte Sie ebenfalls interessieren:

Melden Sie sich hier an

Sie sind noch nicht registriert?