„Wir müssen auf vielen Ebenen echte Reformen anstoßen und umsetzen“

Exklusivinterview mit Harald Breit, CEO von Deloitte Österreich, über die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich, den Themenkomplex Arbeitsmarkt u.v.m.
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„Wir müssen auf vielen Ebenen echte Reformen anstoßen und umsetzen“
Harald Breit, CEO von Deloitte Österreich.

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Herr Breit, wie würden Sie die derzeitige Situation des Wirtschaftsstandortes Österreich, im positiven wie auch im negativen, charakterisieren und welche zentralen Herausforderungen prägen die aktuelle Debatte?

Der Wirtschaftsstandort Österreich steht an einem Wendepunkt. Die Volkswirtschaft befindet sich das dritte Jahr in Folge in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt, das Budgetdefizit explodiert, die Energiepreise sind zu hoch und die überbordende Bürokratie hemmt Innovation sowie Unternehmertum.

Zudem sind die Aussichten aufgrund globaler Verwerfungen und Handelskriege getrübt. Zwar verfügen wir hierzulande noch über Wohlstand und Sicherheit, doch angesichts der genannten Entwicklungen sind diese Faktoren stark bedroht. Hier gilt es jetzt dringend gegenzusteuern.

Welche fundamentalen strukturellen und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen halten Sie für essenziell, damit Österreich sich als zukunftsorientierter und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort nachhaltig positionieren kann?

Was es hierzulande braucht, ist mehr Mut und das Mindset Veränderungen als etwas Positives zu sehen. Wir müssen auf vielen Ebenen echte Reformen anstoßen und umsetzen.

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An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang die nachhaltige Sanierung des Staatshaushaltes. Um Innovation und Unternehmertum voranzutreiben, ist auch die Entlastung des Faktors Arbeit durch eine Senkung der Einkommensbesteuerung unbedingt notwendig. Der Arbeitsmarkt gilt zudem weiterhin als das Sorgenkind der österreichischen Wirtschaft. Hier braucht es ebenfalls tiefgreifende Veränderungen und strukturelle Initiativen, um das Arbeitskräftepotenzial zu heben. Dazu zählen beispielsweise Qualifizierungsoffensiven für Mangelberufe, steuerliche Erleichterungen der Zuverdienstmöglichkeiten in der Pension oder den flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung.

Aus Ihrer Sicht, welche Faktoren führen zu dem beobachteten Trend einer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit in Österreich und inwiefern spielen dabei externe Rahmenbedingungen versus interne Dynamiken eine Rolle?

Österreichs Wettbewerbsfähigkeit hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.

Im globalen „Competitiveness Report“ des IMD (International Institute for Management Development – Anm. d. Red.) ist das Land von Platz 16 im Jahr 2020 auf Platz 26 zurückgefallen. An der Spitze liegen Singapur, die Schweiz, Dänemark, Irland und Hongkong. Im innereuropäischen Vergleich liegt Österreich nur auf Platz 12, hier führen Länder wie die Schweiz, Dänemark, Irland und Schweden das Ranking an – allesamt Länder, die Österreich sehr ähnlich sind und mit ähnlichen externen Rahmenbedingungen umgehen müssen.

Interne Problemfelder wie überbordende Bürokratie, zu hohe Steuern, explodierende Energiepreise, Schwächen im Bildungssystem und fehlende Zukunftsprojekte sind hingegen wesentliche Gründe für die sinkende Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.

Wo liegen Stärken aber auch Potenziale des österreichischen Standorts, im Vergleich zu anderen europäischen sowie internationalen Wirtschaftsstandorten?

Neben aller Schwächen ist festzuhalten, dass der Wirtschaftsstandort Österreich, in der internationalen Ökonomie, eine zentrale Funktion als Drehscheibe zwischen Ost und West einnimmt, die Unternehmen Stabilität, moderne Infrastruktur und eine hochqualifizierte Belegschaft bietet.

Auch das Niveau der Industrieproduktivität ist in Österreich traditionell hoch. Viele internationale Unternehmen schätzen zudem die Besonderheit des österreichischen Ausbildungssystem, das eine enge Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Bildung sicherstellt.

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Ebenso die hochwertige Verkehrs- und Telekom-Infrastruktur ermöglicht zudem schnellen Transport von Waren und Informationen.

Welche konkreten Reformansätze und strukturellen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach auch schnell umsetzbar, um Österreich langfristig zu stärken?

Angesichts der aktuellen Lage des Wirtschaftsstandortes ist ein „Weiter wie bisher“ nicht mehr möglich – so viel steht fest. Was es braucht, ist die Zusammenarbeit von Expert:innen und Entscheider:innen auf allen Ebenen und ein Sofortprogramm als Signal für den Aufbruch.

Dieses sollte unter anderem eine Erleichterung bei den Unternehmensgründungen, die Förderung von Risikokapital und die Senkung der Lohnnebenkosten bereits ab 2026 beinhalten.

Auch die Reform des Arbeitsmarktes mit einem Augenmerk auf Flexibilisierung, Aus- und Weiterbildung, Arbeiten in der Pension sowie der Anpassung des realen und gesetzlichen Pensionsantrittsalters ist dringend notwendig.

Außerdem gilt es jetzt einen Fokus auf Digitalisierung und Artificial Intelligence (AI) in allen Bereichen zu legen. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung von Leuchtturmprojekten besonders wichtig. Auch die Entbürokratisierung und Budgetsanierung inklusive einer Gesundheits- und Föderalismusreform darf keinesfalls vernachlässigt werden.

Die Bundesregierung hat hier einige wichtige Ansätze geliefert, es braucht aber mehr „Drive“ und vor allem schmerzhafte Reformen – für neues Wachstum und die Bewahrung des Wohlstands.

Können Sie anhand ausgewählter Best-Practice-Modelle erläutern, wie internationale Unternehmen und Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit gezielt gesteigert haben und inwiefern diese Ansätze in den österreichischen Kontext transferierbar wären?

Im Rahmen des diesjährigen Deloitte Radar haben wir einige vielversprechende Leuchtturmprojekte anderer Länder, an denen sich Österreich orientieren könnte, analysiert.

Ein Beispiel dafür ist etwa Dänemark mit seinem Flexicurity-Modell. Dieses beinhaltet zwei wesentliche Elemente, nämlich die Flexibilität am Arbeitsmarkt mit einerseits liberalen Kündigungsgesetzen, aber andererseits gleichzeitiger Sicherheit durch eine sozial abgesicherte, aber zeitlich begrenzte Form der Arbeitslosenunterstützung, die den Jobwechseln im Idealfall sozial friktionsfrei gestaltet. Hinzu kommen noch Komponenten einer aktiven Gestaltung der Arbeitsplatzsuche, die das Erfolgsmodell komplettieren.

Mit diesem Modell ist Dänemark in der Lage, den vermeintlichen Widerspruch von sozialer Sicherheit und wettbewerbsfähiger Arbeitsmarktpolitik zu lösen.

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Die Niederlande wiederum fördern ihre Start-up-Szene durch eine zielgerichtete Visapolitik für ausländische Spitzenkräfte. Dabei garantiert das sogenannte „Start-up Visum“ Nicht-EU Bürger:innen eine Arbeitserlaubnis und das Bleiberecht für ein Jahr, wenn eine Tätigkeit bei innovativen Produkteinführungen durchgeführt wird. Ergänzt wird dieses noch durch das „Highly Skilled Migrant Visum“. Dieses ist für Talente aus dem Nicht-EU Raum konzipiert, die über einem Zeitraum von fünf Jahren unter bestimmten Rahmenbedingungen in den Niederlanden arbeiten dürfen, wenn sie gezielt gebraucht werden.

Mit der Rot-Weiß-Rot-Karte hat Österreich zwar ein Modell mit einem vergleichbaren Ziel, die teilweise langen Wartezeiten und der hohe bürokratische Aufwand erleichtern die Situation – trotz Reform – jedoch weder für Arbeitskräfte noch für Unternehmen.

Ein weiteres Beispiel liegt im Bereich Digitalisierung, AI und Big Data und kommt aus Schweden. Mit der öffentlich finanzierten Plattform „AI Sweden“ zeigt das Land vor, wie man die AI-Technologie rasch in möglichst vielen Bereichen und Unternehmen in Anwendung bringt und könnte damit auch ein Vorbild für Österreich sein.

Der Arbeitsmarkt wird oft als das ‚Sorgenkind‘ der Wirtschaft bezeichnet – auf welchen Ursachen beruht diese Problematik und welche Lösungsansätze halten Sie für zielführend, um hier nachhaltig positive Impulse zu setzen?

Es stimmt, der österreichische Arbeitsmarkt kann seit einigen Jahren als Baustelle bezeichnet werden.

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Ein struktureller Fachkräftemangel trifft hierzulande auf ein generelles Qualifikationsdefizit, ein überfordertes, nicht mehr zeitgemäßes Bildungssystem und eine mangelhafte Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Hinzu kommen Fehlentwicklungen wie eine zu hohe Teilzeitquote, insbesondere bei Frauen, sowie eine sinkende Erwerbsquote der Generation 50+.

Hinzu kommt auch noch der rezessionsbedingte Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, braucht es neben der gezielten Qualifizierungsoffensiven für Zukunfts- und Mangelberufe auch gezielte Zuwanderungsprojekte für Schlüsselbranchen und die Förderung von Aus- und Weiterbildung im Bereich Digitalisierung und KI. Zudem würden auch die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten sowie die steuerlichen Erleichterungen bei Zuverdienstmöglichkeiten in der Pension für nachhaltig positive Impulse am Arbeitsmarkt sorgen.

Abschließend: Welche Visionen sowie strategische Prioritäten möchten Sie in den kommenden zwei Jahren, realisiert sehen, damit Österreichs Wirtschaftsstandort eine Revitalisierung erlebt?

Was uns bisher fehlt, um zu den Besten Europas aufzuschließen, ist nicht das Wissen, sondern der Wille, sich der Realität zu stellen und vernünftige Maßstäbe anzulegen.

Was es jetzt braucht, ist eine klare Vision für den Standort und ein entschiedener Umsetzungsplan. Unser Ziel muss es sein, den Standort langfristig unter die Top 5 in Europa zu bringen.

Dafür ist ein Sofortprogramm mit spürbaren Entlastungen für die Wirtschaft und grundlegenden Reformen notwendig. Wir brauchen einen gesellschaftspolitischen Dialog, der nicht Probleme verwaltet, sondern neue Standards setzt und Wirtschaft als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht. All das würde dazu beitragen, Österreichs Wirtschaftsstandort endlich zu revitalisieren.

Herr Breit, wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen – daher noch ein paar persönliche Fragen:

Welches berufliche Erlebnis hat sie am meisten geprägt?

Die Covid-Krise hat mich im beruflichen Kontext am meisten geprägt.

Wir mussten praktisch über das Wochenende 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice transferieren, was eine große technische und organisatorische Leistung war. Die Folgezeit war ebenso herausfordernd: Wir wussten über Wochen nicht, wie es mit dem Beratungsgeschäft weitergeht, ob wir die Mitarbeiterschaft halten können, wie lange der Krisenmodus dauern wird.

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© smarterpix / AndreyPopov

In dieser Zeit hat mich die professionelle Partnerschaft im Führungsteam wirklich beeindruckt.

Was sind die großen Herausforderungen, vor denen die Leader der nächsten Generation stehen?

Die größten Herausforderungen sind aus meiner Sicht politische, aber auch technologische Disruptionen, verbunden mit generell steigender Unsicherheit und immer geringerer Planbarkeit.

Flexibilität und das Denken in Szenarien werden für Führungskräfte entscheidend sein, um auch in diesem unsicheren Umfeld erfolgreich sein zu können.

Gibt es ein Lebensmotto, das Sie verfolgen?

“Per aspera ad astra” – Auf rauen Wegen zu den Sternen.

Mit welcher Person, aus der Gegenwart oder Vergangenheit, würden Sie gerne einen Tag verbringen und wie würde sich dieser Tag gestalten?

Ich würde gerne mit Donald Trump einen Tag im Oval Office verbringen. Dieser Mann ist so unfassbar für mich – vielleicht würde es mir dann gelingen, ihn ein wenig besser zu verstehen. Sicher bin ich mir allerdings nicht.

Bei Personen aus der Vergangenheit fällt mir Hugo Portisch ein. Seine präzisen Analysen und seine Begeisterungsfähigkeit haben mich immer beeindruckt. Ich hätte gerne gehört, wie er die politische Situation der Gegenwart einschätzt.

Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?

Ich würde die Lösung des Klimawandels in Angriff nehmen. Vielleicht ist das nicht besonders originell, aber letztendlich ist der Klimawandel jenes Problem, welches uns und unsere Kinder am meisten beschäftigen wird.

Herr Breit, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.

Vielen Dank!

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