Der Brexit hat hohe Wellen geschlagen und viele Diskussionen ausgelöst. Für Österreich ist das Nichtzustandekommen eines Rahmenabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union jedoch von viel gravierenderer Bedeutung, ist doch die wirtschaftliche Verbindung zwischen der Schweiz und Österreich ungleich intensiver als zwischen Großbritannien und Österreich.
Während das bilaterale Handelsvolumen mit Großbritannien im Jahr 2020 6 Milliarden Euro betragen hat, waren dies im selben Jahr mit der Schweiz 15 Milliarden Euro. Dies allein zeigt die massive Betroffenheit Österreichs.
Natürlich besteht zwischen beiden Exits ein wesentlicher Unterschied: Während der Brexit praktisch über Nacht zu massiven Störungen gewachsener wirtschaftlicher Relationen geführt hat, wird dies im Fall der Schweiz schleichend der Fall sein. Neue Abkommen mit der Schweiz und der EU werden nicht mehr erfolgen, bestehende Abkommen nicht mehr erneuert. Ein Swiss-Exit auf Raten. Diese Verzögerung erleichtert die Sache zwar, bleibt dennoch im Kerneffekt dramatisch.
Ich habe selbst in der Schweiz mit vielen Involvierten im Bereich der Wirtschaft gesprochen. Dort ist man entsetzt, kann jedoch dem politisch antreibenden Populismus nichts entgegensetzen. Wie so oft: Emotionen siegen über die Vernunft.
Worauf muss sich nun die österreichische Wirtschaft einstellen?
Vordergründig passiert derzeit nichts. Die Abkommen sind weiter aufrecht, die Unternehmen können weiterhin so agieren wie bisher. Insofern ist es für die Schweiz auch nachvollziehbar, dass man das institutionelle Rahmenabkommen nicht unterfertigt. Einzig bei Veränderungen der Regeln innerhalb der EU oder bei Auslaufen befristeter Vereinbarungen (Forschungskooperation Horizon) kann es dazu kommen, dass bisherige bilaterale Abkommen obsolet werden und einer neuen Adaptierung bzw. eines Neuvertrags bedürfen. Die EU hat aber erklärt, dass man dazu ohne einen institutionellen Rahmenvertrag nur mehr in Einzelfällen bereit sei. Es könnte also zu einer schleichenden Aushöhlung des bilateralen Wegs mit der Schweiz kommen.
Die Schweiz hat Dank etwa 200 bilateraler Verträge einen weitestgehend ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt, partizipiert an einer Vielzahl von Programmen der EU und nimmt oft eine einem EU-Mitglied vergleichbare Stellung ein. Viele dieser sogenannten „Bilateralen Verträge“ wurden noch zu einem Zeitpunkt geschlossen, als die Schweiz noch als potenzieller Beitrittskandidat galt. Mittels dieser geschickt und substantiell gut verhandelten Verträge erhielt die Schweiz praktisch vollen Zugang zur „Infrastruktur des EU-Clubs“ ohne allerdings wie die formellen Mitglieder die gemeinschaftlichen Regeln verpflichtend umsetzen zu müssen. So steht der Vorwurf im Raum, dass die Schweiz einige dieser bilateralen Verträge einseitig und zumeist zum Nutzen der Schweiz auslegt/interpretiert und nationale Umsetzungs- und Implementierungsmaßnahmen nicht der EU-Sichtweise entspreche.
Nachdem aber gleiche Voraussetzungen und Spielregeln für alle Teilnehmer im Binnenmarkt ein wesentliches Element ist, forderte die EU schon vor 14 Jahren den Abschluss eines sogenannten „Institutionellen Rahmenvertrags“ ein, welcher die vielfältigen Beziehungen in einen rechtlich verbindlichen Rahmen setzt inklusive einem Streitbeilegungsmechanismus, der für beide Vertragsteile verbindlich sein muss. Nur so kann gewährleistet werden, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten.
Die Schweiz und die Europäische Union verhandelten ab dem Frühling 2014 über ein „Institutionelles Abkommen“. Nach 5 Jahren lag im Dezember 2018 ein ausverhandeltes Abkommen auf dem Tisch. Der Bundesrat (Regierung) brachte aber nicht den Mut auf, diesen Vertrag zu unterfertigen, sondern begann mit Konsultationen bei Parteien und den Sozialpartnern, obgleich diese ja schon in den 5-jährigen Vertragsverhandlungen immer wieder eingebunden waren. Im Juni 2019 teilte der Bundesrat der EU mit, dass er das Abkommen über weite Strecken als im Interesse der Schweiz erachte, zu gewissen Punkten aber weitere Klärungen/Nachverhandlungen als erforderlich erachte. Ein Aufschnüren des mühsam über Jahre bereits mit vielen Konzessionen der EU versehenen Vertragstextes kam für die Kommission aber nicht mehr infrage. Klärungen zu Einzelfragen könnten zwar erfolgen, aber für substantielle Änderungen war man nicht mehr bereit. Der Brexit trug dazu wohl auch seines bei. Am 26. Mai 2021 hat nun die Schweizer Seite eine Weiterführung der Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenvertrag aufgekündigt.
Die Schweiz könnte damit ihren privilegierten Status als Drittland in der EU schleichend verlieren. Der Leidensdruck dieser Erodierung ist aus Sicht der Schweizer jedoch zu gering, als dass man eigene autonome Gestaltungsmöglichkeiten einem Schiedsgerichtsverfahren mit der EU als Gegenpartei unterwerfen möchte. Die Strategie der Schweizer scheint also darauf hinauszulaufen, zuzuwarten. Als österreichische Unternehmen sollten wir in Gesprächen mit unseren Schweizer Gesprächspartnern immer wieder auf die langfristige Notwendigkeit einer geregelten Beziehung zwischen der Europäischen Union und der Schweiz hinweisen, denn aus meiner Sicht ist nur ein laufender Dialog und die damit verbundene Bewusstseinsbildung imstande, den Schweizer Standpunkt zu verändern. Die Schweizer denken prinzipiell pragmatisch, daher ist eine Veränderung ihres Standpunkts durchaus nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz zum Brexit lebt also beim Swexit die Hoffnung!