Markus Mair: News oder Journalismus – von der Lust an der anderen Meinung

Klarheit durch Verständnis – wer klug führen will, muss vor allem eines: zuhören können.
© Marija Kanizaj
Markus Mair: News oder Journalismus – von der Lust an der anderen Meinung
Die TOP LEADER-Stimme der Medien: Markus Mair.

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Von außen sieht es aus wie ein Gespräch. Wenn man aber genauer hinsieht, ist es oft nur ein bloßes gegenseitiges Sagen der eigenen Meinung. Ja, die Gesellschaft hat das Zuhören verlernt.

Die Lust und das Interesse an der Meinung der oder des anderen hat radikal abgenommen. Ist man mit anderen Ansichten als der eigenen konfrontiert, ist es am einfachsten, mit Rückzug oder Aggression zu reagieren. Aber: Dann gibt es keinen Austausch. Denn Austausch funktioniert letztendlich mittels Argumente. Um argumentieren zu können, muss ich aber zuerst einmal aufmerksam zuhören und wahrnehmen, verarbeiten und überlegen.

Das ist unseren Diskussionen, den öffentlichen wie den privaten, weitgehend abhandengekommen. Denn dazu braucht es Verständnis, und das haben wir heute kaum noch – für nichts, was nicht uns selbst und dem, was wir mit- und einbringen, entspricht. Wir sind offenbar kaum noch in der Lage, uns überzeugen zu lassen bzw. uns überzeugen lassen zu wollen. Es geht zu schnell, das Gedanken- und Nachrichtenkarussell dreht sich unaufhörlich und unaufhaltsam.

Vom Hören zum Zuhören

Jetzt können wir – als Gesellschaft und speziell als Medienbranche – natürlich Social Media und die dementsprechende neue Kommunikationskultur dafür verantwortlich machen. Doch das wäre zu kurz gegriffen.

Gehen wir zurück zu den physiologischen Ursprüngen des Zuhörens. Denn Zuhören kommt von Hören, einem Vorgang, der tief im menschlichen Körper verwurzelt ist. Doch hören allein reicht nicht aus. Zuhören ist mehr als die bloße Wahrnehmung von Schallwellen. Es ist vielmehr eine bewusste, aktive Handlung, bei der das Gehirn selektiert, interpretiert und Bedeutung zuordnet. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass beim aktiven Zuhören verschiedene Hirnareale miteinander reagieren. Darunter das Sprachzentrum, aber auch Regionen für Empathie und emotionale Verarbeitung.

Zuhören ist also – wie schon vermutet – nicht nur ein biologischer, sondern ein hochkomplexer kognitiver und sozialer Prozess. Dieser kurze Ausflug in die Wissenschaft macht deutlich: Wer wirklich zuhört, nutzt weit mehr als nur das Gehör. Zuhören erfordert Konzentration, emotionale Offenheit und die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Die stille Stärke

Genau diese Fähigkeiten sind auch für den Journalismus essenziell. Bei all dem Drang nach Geschwindigkeit und dem Kampf um Aufmerksamkeit droht dieses zentrale Asset des Zuhörens aber in den Hintergrund zu geraten. Dabei ist Zuhören nicht nur ein Werkzeug zur Informationsgewinnung. Es ist ein Grundpfeiler journalistischer Integrität, Empathie und Qualität.

Markus Mair News oder Journalismus – von der Lust an der anderen Meinung
© smarterpix / orson

Ich möchte sagen: Das Zuhören ist die stille Stärke des Qualitätsjournalismus. Wer also Qualitätsjournalismus nutzt und unterstützt, stärkt also nicht nur die Pressefreiheit. Sondern auch den gesellschaftlichen Dialog – und das wirtschaftliche Fundament.

Was Journalismus und alle anderen Branchen eint

Ich gehe also so weit, zu sagen, dass Zuhören aber nicht nur im seriösen Journalismus, sondern auch in der Wirtschaft insgesamt – unabhängig von der Branche – ein essenzieller Wert sein muss.

Medienwissenschafter Bernhard Pörksen sagt: „Wirkliches Zuhören kann das eigene Leben umstülpen.“ Das gilt sicherlich in jeder Hinsicht. In seinem neuen Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ betont der Kommunikationswissenschafter, dass echtes Zuhören die Voraussetzung dafür ist, andere Perspektiven zu erfassen und die Welt differenziert wahrzunehmen.

Gut zuhören – gut führen

Daraus folgt: Zuhören ist für den Journalismus überlebenswichtig. Für uns als Gesellschaft unverzichtbar. Ebenso für generell alle Führungskräfte eine strategische Fähigkeit.

Zuhören ist nicht nur ein Akt des Respekts – es ist ein Instrument der Führung, der Strategie und der Innovation. Im Job gilt oft: Wer als Erster spricht, führt. Aber kluge Führung beginnt genau andersherum: mit stillem Wahrnehmen und gelassener Aufmerksamkeit.

Philosoph Hans-Georg Gadamer sagte: „Ein gebildeter Mensch hört, was der andere sagen will.“ Gilt das nicht auch für gute Führungskräfte? Nicht sofort antworten. Nicht sofort urteilen. Sondern Raum geben. Und auch: Zuhören und damit hören, was nicht gesagt wird – in Märkten, Teams, Gesellschaften.

Aufruf zur Offenheit

Was Qualitätsjournalismus und Wirtschaft in dieser Hinsicht grundsätzlich gemeinsam haben? Gut recherchierte und aufbereitete Nachrichten helfen dabei, frühzeitig gesellschaftliche Signale zu deuten: Welche Themen bewegen die Menschen aktuell? Welche Konflikte schwelen oft unter der Oberfläche? Wo entstehen neue Bedürfnisse – oder Widerstände?

All das ist ein Aufruf zur Offenheit. Den wer gut zuhört – auch den Leisen, den Widersprüchlichen, den Irritierenden – hat die besseren Informationen. Und damit die besseren Entscheidungen. Zuhören ist kein Luxus, sondern Führungsqualität. Es braucht Geduld, es verlangt Haltung, es fördert Vertrauen. Und es verbindet, was oft getrennt scheint: Wirtschaft und Gesellschaft.

Journalismus und Führung. Mensch und Markt. Manchmal liegt in der Stille die lauteste Wahrheit.

Autor: Markus Mair

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