„Wer vertraut, stellt anderen einen mentalen Kredit aus auf zukünftiges Verhalten. (…) Ohne Gründe, warum man ihm vertrauen kann, ist kein gesellschaftliches System und auch kein Teilsystem dauerhaft überlebensfähig, schon gar nicht eine liberale Demokratie“, schreiben Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem aufsehenerregenden Buch „Die vierte Gewalt“ (2022).
Die Autoren bewegen sich damit mitten hinein in ein Thema, das Medienhäuser weltweit beschäftigt und fordert. Sie prangern den Vertrauensverlust in die von ihnen durchwegs so genannten „Leitmedien“ an. „Wenn unsere Leitmedien maßgeblich daran beteiligt sind, zwischen Politik und Gesellschaft zu vermitteln, und wenn sie auf diese Weise eine demokratische Öffentlichkeit gewährleisten sollen, so ist der Vertrauensverlust in sie eine Katastrophe. Egal, wie sie sich selber sehen. Je stärker die Leitmedien sich der Wirkungsmechanismen von Direktmedien bedienen, um ihrem Publikum möglichst nahe zu sein, umso mehr schwindet dessen Vertrauen in sie.“
Das Vertrauen in „die Medien“, oft gleichgesetzt mit Glaubwürdigkeit, ist aktuell also in aller Munde. Michael Prock schreibt dazu im Magazin PR-Report (01/2023): „Die These, dass die Glaubwürdigkeit der Medien sinkt, ist populär. Allerdings stimmt sie so nicht. Die Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter.“
Genau das macht die Sache umso spannender – denn, wie auch Prock meint: Differenzierung ist das A und O. Wenn es um Umfragen rund um das Thema „Vertrauen“ oder die „Glaubwürdigkeit“ „der Medien“ geht: Welche Medien genau sind sowohl in der Fragestellung als auch in der individuellen Beantwortung der Studienteilnehmer:innen gemeint? Wovon spricht man hier? Klassische Vertrauensfragen bringen oft ein sehr oberflächliches Ergebnis. Etwa im „Digital News Report“ (Reuters Institute) wird hier schon etwas differenziert: Indem man nicht schlicht das „Vertrauen in die Medien“ abfragt, sondern die „Vertrauenswürdigkeit des Großteils der Nachrichten“. Auch dort geht es darum, zusätzlich konkret das Vertrauen in die bevorzugte Nachrichtenquelle zu erfragen. Prock: „,Die Nachrichten‘ oder ,die Medien‘ können eine unbestimmte Summe an unterschiedlichen Quellen sein, die jeder Befragte anders interpretiert.“
Es wäre schön, jetzt behaupten zu können, dass es also gar kein Vertrauensverlustthema für Medien gibt, dass alles in Ordnung ist – aber dem ist nicht so. Selbstverständlich stehen wir (nicht nur) in dieser Frage vor großen Herausforderungen. Wie können wir also das Vertrauen in uns Qualitätsmedien, als die wir uns verstanden wissen wollen, weiter stärken?
Ein großer Schritt wäre mit dem „Enablen“ unseres Publikums, jeder und jedes Einzelnen, gemacht. Aber wie funktioniert das? Indem wir die Menschen in vielerlei Hinsicht befähigen, ihr (Selbst-)Vertrauen stärken, Ratgeber:in sind, indem wir aufklären statt anprangern. Wir brauchen viel mehr Lösungsbewusstsein, das Aufzeigen von Möglichkeiten. Wir müssen die individuelle Handlungsfähigkeit betonen und den Menschen Mut machen, Verantwortung für sich und ihr Umfeld zu übernehmen. Weil sie es können. Weil das in der Natur des Menschen liegt.
Hier gehe ich mit Precht und Welzer konform, wenn sie schreiben: „Das vermehrte Berichten über Wirksamkeit proaktiven politischen Handelns trüge weit mehr zum demokratisch wichtigen Systemvertrauen bei als die permanente Orientierung des Berichtens an Problemen und Skandalen.“ In dieser neuen Welt der Reizüberflutung schreiben Psychologen und Wissenschafter wie etwa Gerd Gigerenzer: „Die Lebenskunst in einer Welt der Informationsüberflutung besteht heute darin, intuitiv zu wissen, was sich nicht zu wissen lohnt.“ Schon vor Jahrzehnten schrieb auch Soziologe Niklas Luhmann: „Vertrauen erhöhte das, Systempotenzial für Komplexität‘ und ermöglicht, ganz neue Arten von Handlungen.“ Und genau das brauchen wir von dieser unserer Gesellschaft – und erst recht von der Gesellschaft von morgen.
Doch was erwartet die Gesellschaft von den Medien? Prock: „Vielleicht müssen sie sich weniger fragen, ob ihnen ihr Publikum vertraut, sondern mehr damit beschäftigen, was es von ihnen erwartet.“ Das ist gut auf den Punkt gebracht. Und das gilt sowohl in unserer Haltung, im Inhaltlichen, in den Nachrichten an sich, als auch in unserem Handwerk, dem Schreiben, der Sprache. Hier haben alle Medienmarken sich tagtäglich neu zu beweisen. Das ist nicht einfach. Denn zusätzlich ist die Vorherrschaft von Medienhäusern, als sie noch bestimmen konnten, was morgen für Welt und Mensch wichtig ist, spätestens durch die so genannten Social-Media-Plattformen gefallen. Das ist Fakt. Was damit aber gewachsen ist und auch für uns traditionelle Medien gilt, ist der Wunsch der Leser:innen und User:innen nach Beteiligung, nach Wahrnehmung, auch nach Transparenz unserer Arbeit: Wie sieht Journalismus heute aus? Was geschieht hinter den Kulissen einer Redaktion? Auch das sind die Themen, die wir immer wieder aufzeigen müssen. Wir haben noch viel zu tun.
Autor: Markus Mair