Kurt Seinitz: Chinas Kindergärten werden Seniorenheime

Drittes Jahr Bevölkerungsrückgang, 300 Mio. Rentner und 14.800 Kindergärten geschlossen.
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Kurt Seinitz: Chinas Kindergärten werden Seniorenheime
Kurt Seinitz, österreichischer Journalist und Buchautor.

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Zeitenwende nun auch für das Reich der Mitte: ein Rentnerboom statt Babyboom. China gehen die Kinder aus. Chinas Bevölkerung schrumpft das dritte Jahr in Folge. (Indien hatte schon 2023 China mit knapp 1,5 Milliarden Menschen China überholt).

Die Folgen der sinkenden Geburtenrate belasten die chinesische Volkswirtschaft. Die Überalterung schreitet rasch voran. Ist heute ein Viertel der Bevölkerung über 60, so werden es 2035 zwei Drittel sein. Ende des Jahrhunderts wird die chinesische Bevölkerung von 1,4 Milliarden auf 800 Millionen gesunken sein.

Während Staatschef Xi Jinping die militärischen Muskeln spielen lässt, kämpft China mit den Folgen einer galoppierenden Überalterung seiner Bevölkerung. Dieses gesellschaftliche Problem reiht sich ein in eine Reihe negativer wirtschaftlicher Entwicklungen.

So wie Chinas kommunistische Führung 2016 viel zu spät das Ende der Ein-Kind-Politik beschlossen hatte, erkannte sie viel zu spät die Folgen für das Renten- und Gesundheitssystem sowie die finanzielle Belastung des Budgets. Eines fällt jedenfalls in allen Ländern mit fallender Geburtsrate auf: Als noch alle arm waren, spielten die Kosten für Kinder keine Rolle bei der Familienplanung. Heute wird der Kostenfaktor berechnet.

Dass in China Kindergärten zu Seniorenheimen umfunktioniert werden, weil kaum noch Kinder angemeldet werden, ist zu einem landesweiten Trend geworden. Eine „rationale Entscheidung des Marktes“, titelte die staatliche Zeitung Beijing News. Demnach schlossen allein 2023 rund 14.800 Kindergärten.

Überalterung als massives Problem für Chinas Wirtschaft

Die rapide Überalterung stellt die Volksrepublik vor gravierende Herausforderungen. China verliert zunehmend Arbeitskräfte, was die Wirtschaftsleistung erheblich beeinträchtigen könnte. Experten warnten daher schon lange, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters unausweichlich sei. Doch die kommunistische Führung ließ diese Regelung jahrzehntelang unangetastet.

Kurt Seinitz Chinas Kindergärten werden Seniorenheime
© PantherMedia / AndrewLozovyi

Unpopuläre Rentenreform wird Realität

2024 entschloss sich die Regierung schließlich zu dem erwartbar unpopulären Schritt und hob das Renteneintrittsalter an. Ab dem 1. Januar 2025 steigt das Rentenalter nun schrittweise über die folgenden 15 Jahre für Männer von 60 auf 63 Jahre. Bei Frauen, für die bislang je nach Berufsgruppe zwei Renteneintrittsalter galten, erhöht sich die Grenze entweder von 50 auf 55 Jahre oder von 55 auf 58 Jahre.

Es habe sich nun das Fenster für die Reform geöffnet, sagte Demografie-Experte Du Peng bei einem Vortrag Ende September in Peking. Ihm zufolge erlebt das Land mit rund 1,4Milliarden Einwohnern jetzt einen Rentenboom. In den kommenden Jahren werden die „Babyboomer“ – jene Menschen der geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er Jahren – in Rente gehen. Bis 2050 dürften dem Experten zufolge 520 Millionen Menschen in China 60 Jahre oder älter sein – und das bei einem erwarteten Bevölkerungsschwund.

Längere Lebenserwartung verschärft das Problem

Zudem belastet die Alterung zunehmend die öffentliche Kasse. Jeden Monat erhielten derzeit 300 Millionen Menschen eine Rente, sagt der Experte. 1951 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei ungefähr 44 Jahren und damit unter dem Renteneintrittsalter. Mittlerweile werden die Chinesen allerdings im Schnitt 78 Jahre alt.

Parallel kommen in China immer weniger Kinder auf die Welt, und dass, obwohl vor knapp zehn Jahren die Ein-Kind-Politik endete, mit der Peking über Jahrzehnte das Bevölkerungswachstum kontrollierte. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass 2022 1,1 Neugeborene auf eine Frau im gebärfähigen Alter kamen.

Offizielle Statistiken geben die Geburtenrate für 2023 mit 6,39 Geburten je 1.000 Einwohner an. Ein Jahr zuvor lag der Wert noch bei 6,77 Geburten. China zählt damit zu Staaten wie Japan oder Südkorea mit den weltweit niedrigsten und stark fallenden Quoten.

Die Gründe sind vielschichtig: Viele junge Menschen sind arbeitslos oder verdienen wenig. Zudem bröckelt das traditionelle Familienbild. Viele Paare entscheiden sich lieber für ein Haustier anstelle eines Kindes. Denn die Kosten für Bildung in den Städten steigen seit Jahren deutlich. Immer weniger Paare können oder wollen sich deswegen Kinder leisten.

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© PantherMedia / Paylessimages

„Wenn man in China sein Kind auf eine gute Schule schicken will, muss man Beziehungen haben und Geld ausgeben“, sagt Altenheim-Leiterin Zhao.

Die Kosten dafür müsse jeder selbst tragen.

Partei greift aktiv in Familienplanung ein

Peking versuchte es mit Propaganda: Ende Oktober 2023 verlangte Staats- und Parteichef Xi Jinping, „die Perspektiven junger Menschen zu Heirat, Kinderkriegen und Familie“ zu stärken, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua damals berichtete. Die Politik zur Unterstützung von Geburten sollten Frauenverbände umsetzen. Für Kritiker hieß das: Frauen sollen lieber zu Hause bleiben und Kinder bekommen.

Ein Jahr später äußerten sich Frauen öffentlich, von Behörden angerufen und gefragt worden zu sein, ob sie schwanger seien. Die Beamten hätten mitunter sogar Vorschläge für einen passenden Empfängniszeitraum gemacht, berichteten mehrere Medien.

Pekings neue Strategie

Was sicher besser ankam, war die Ankündigung der Regierung Ende Oktober, die Kosten für Geburten, Erziehung und Bildung zu senken. Peking wolle eine „neue Kultur des Kinderkriegens und Heiratens“ schaffen und eine positive Einstellung zu Ehe und Familie fördern, teilte die Regierung mit. Steuervorteile und Zuschüsse bei Geburten sollten Paare dazu animieren, Kinder zu bekommen.

Doch ob diese Maßnahmen reichen, um Chinas demografischen Abwärtstrend aufzuhalten, bleibt fraglich. Länder wie Japan zeigen, dass finanzielle Anreize allein nicht ausreichen. Der Geburtenrückgang scheint ein tief verwurzeltes gesellschaftliches Phänomen zu sein – und China hat viel Zeit verloren, um gegenzusteuern.

Erstveröffentlichung Kronen Zeitung

Autor: Kurt Seinitz

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