Herr Kapsch, die Kapsch-Gruppe gehört zu den ältesten Industriekonzernen Österreichs, wurde 1892 als Werkstätte für Feinmechanik in Wien-Neubau gegründet. In den 1990er Jahren hat sich das Unternehmen, unter maßgeblichen Anteil Ihrerseits, neu erfunden. Heute konzentriert man sich im Wesentlichen auf Produkte im Verkehrs- und Mobilitätsmanagement. Welche unmittelbaren, aber auch strategisch langfristigen Ziele haben Sie sich gesetzt?
Nach einigen schwierigen Jahren haben wir es geschafft, wieder auf die Erfolgsspur zurückzufinden. Die Ziele sind aber die gleichen: Durch Innovationen und Technologie den Markt anführen, wachsen und nachhaltige Mobilität unterstützen.
Der Straßenverkehr ist einer der globalen Emissionshauptverursacher, weshalb wir mit unseren Produkten und Lösungen dazu beitragen, Mobilität effizient, sicher und mit minimalen Umweltauswirkungen zu ermöglichen.
Die Reduktion von Stau sowie „Stop & Go-Verkehr“ und damit verbunden die Reduktion schädlicher Treibhausgase und Feinstaub, von welchem im Übrigen Elektrofahrzeuge mehr produzieren, sind zentrale Elemente unseres Angebots und ein wichtiger Baustein, nachhaltige, effiziente und nützliche Mobilität zu gewährleisten. Kurzfristig geht es uns weiterhin darum, unsere Profitabilität und Effizienz zu steigern, um nachhaltig investieren und wachsen zu können.
Sie sind seit den frühen 1990er Jahren Vorstand im Familienunternehmen, sind bekannt für Ihre „Hands on“-Mentalität und pflegen, im Unternehmen, den unkonventionellen aber sicherlich zukunftssicheren Führungsstil des „Servant Leadership“. Haben Sie spezifische Erfahrungen aus ihrer beruflichen Anfangszeit, die Ihnen, retrospektiv betrachtet, speziell geholfen haben, um ein so großes Unternehmen zukunftsfit zu machen?
In meiner beruflichen Anfangszeit habe ich die wesentlichen Grundprinzipien gelernt:
Zuhören können, nicht nur die Worte der Menschen hören, sondern auch fühlen, was sie mir wirklich sagen wollen – Einfühlsamkeit und die Bedeutung analytischen und deduktiven Denkens.
Ich bin seit 2001 CEO der Kapsch TrafficCom – also ungefähr zeitgleich mit der Ankunft des Internets in der Mitte von Wirtschaft und Gesellschaft, kenne es aber noch aus seiner Zeit, als es ein Netzwerk von Universitäten und weit weg vom „World Wide Web“ war. Damit kam ein Technologieschub, der sowohl Art als auch Inhalt von Arbeit komplett verändert hat. Zusätzlich gab es auch in den 90ern weitreichende geopolitische Veränderungen. Wenn ich diese Erfahrungen mit den Herausforderungen vergleiche, mit denen wir heute konfrontiert sind, waren die damaligen dagegen harmlos.
Für mich ist damals wie heute das Erfolgsrezept, auf Innovation zu setzen, dem Markt voraus zu sein und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Im Mittelpunkt meines Handelns stand immer der Mensch, was mir von Einigen bisweilen zum Vorwurf gemacht wurde. Aber was ist denn ein Unternehmen anderes als ein Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsam Erfolg haben wollen? Mit starren Führungskonzepten kann man keinen Erfolg mehr erwarten.
Energiewende, Bio-Diversität oder generell Nachhaltigkeit, dann noch der Krieg in der Ukraine sowie der aufkochende Nahost-Konflikt – grundsätzlich alles Aspekte die tatsächlich, aus ökonomischer, aber auch geopolitischer Sicht, zu einer Deindustrialisierung Europas führen könnten. Glauben Sie, dass dies der nationalen und/oder der europäischen Politik bewusst ist?
Geopolitische Konflikte, auch solche mit globalen Auswirkungen, hat es immer schon gegeben, das ist nichts neues. Die Deindustrialisierung ist bereits Realität – das liegt aber weniger an diesen Konflikten, sondern mehr an bürokratischen Vorschriften, die überborden und gleichzeitig am Ziel vorbeischießen.
Von DSGVO über Lieferketten hin zu Nachhaltigkeitsbedingungen werden Dinge erwartet, die viele Unternehmen gar nicht erst erfüllen können. Gemeinsam mit dem gestiegenen Wettbewerbsdruck kann es dann schnell passieren, dass wichtige Industriezweige absterben oder absiedeln. In Österreich haben wir zusätzlich noch die Thematik, dass die Arbeitskosten pro Stunde, also was eine durchschnittliche Stunde Arbeit ein Unternehmen kostet, in Österreich fast 30 % über dem EU 27-Schnitt liegen. Hier stimmt also irgendwas offensichtlich nicht, und da muss angesetzt werden.
Wie könnte man, aus Ihrer Sicht, den Erhalt der europäischen Industrie sicherstellen?
Es geht um einen offenen Diskurs, der aktuell aber nicht mehr möglich ist. Stattdessen wird ideologisch entschieden, ohne einen Dialog zuzulassen – das kann auf Dauer nicht funktionieren. Wenn ich als Unternehmer ständig nur ideologisch entscheide, habe ich auch keinen Erfolg. Wir müssen zurück zu den Fakten, und faktenbasierte Entscheidungen treffen. Wir brauchen in Europa einen sozialliberalen, faktenbasierten Ansatz, der aber schon lange in Vergessenheit geraten ist. Gleichzeitig geht es um eine Reduktion der Regulierung, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen sicherzustellen.
Analysiert man, als außenstehende Person, den Kanon, herrscht quer durch alle Branchen der Konsens, dass die „grüne Transformation“ als Chance betrachtet werden sollte – ebenso für die Industrie. Versucht man sich hierbei etwas einzureden und negiert ebenso die massiven Probleme auf die die internationale Industrie aber auch die heimische Industrie zusteuern?
Der Beitrag der Industrie zur grünen Transformation ist ein wichtiger, aber bei weitem nicht der einzige. Im Übrigen hat die Industrie in den letzten 30 Jahren überproportional zur Reduktion der Emissionen beigetragen.
Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft, oder auch die individuellen Entscheidungen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger in ihrem Konsumverhalten spielen eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Hier also alle Verantwortung den Unternehmern in die Schuhe zu schieben, ist eine Verkürzung der Tatsachen.
Natürlich müssen wir aktiv sein, denn ohne nachhaltigere Strukturen schnüren wir uns selbst langfristig die Luft ab – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es erfordert eine gesicherte Faktenlage, um gemeinsam die Potentiale zu realisieren, ohne unsere Wohlstandsgrundlage zu zerstören. Denn mit sinkendem Wohlstand werden wir die soziale Kohäsion in unserer Gesellschaft verlieren. Die Konsequenz ist Radikalisierung und am Ende eine Abkehr vom Umweltschutz. Wollen wir das?
Hat Kapsch TrafficCom grüne Produkte im Portfolio oder ist dieser Industriezweig nicht ohnehin schon sehr Emissionsschwach?
Wir sind als Unternehmen nicht sehr emissionsintensiv und arbeiten konstant daran, unseren Fußabdruck weiter zu verkleinern. Unsere Produkte sind vor allem durch ihre Wirkung „grün“, da wir mit ihnen Stau reduzieren und den Verkehr flüssiger und sicherer machen. Zusätzlich sind beispielsweise unsere Mautboxen, die wir in großen Stückzahlen produzieren, Taxonomie-zertifiziert. Wir sind also sehr engagiert dabei, selbst nachhaltig zu sein und auch unseren Partnern und Kunden nachhaltige Angebote zu machen.
Themenwechsel: Die Kapsch-Gruppe hat sich in ihrer fast 132-jährigen Geschichte immer weiterentwickelt. Es gab, wie in jedem Unternehmen, immer Höhen und Tiefen sowie Umstrukturierungen. Nun scheint, nach einer gewissen Krisenzeit, der Turnaround von Kapsch TrafficCom gelungen zu sein. Aus heutiger Perspektive: Was waren die grundlegenden Ursachen für die Schwierigkeiten der Kapsch TrafficCom?
Einerseits sind einige große Mautprojekte ausgelaufen und die Covid-Pandemie hat öffentliche Investitionen in andere Richtungen als die Infrastruktur gelenkt. Andererseits gab es einige Entscheidungen, die sich im Kontext späterer globaler Krisen als riskant herausgestellt haben.
Wir haben aber zugegebenermaßen das Wachstum, vor allem in den USA, übertrieben, was uns vor Herausforderungen gestellt hat, mit denen wir nicht gerechnet haben. Wir haben aber darauf reagiert, uns umstrukturiert und viel in unsere Technologie investiert, was letztendlich zum Turnaround geführt hat.
Was ist ihr persönliches Fazit nach dem gelungenen Turnaround und wie schwer war die Krise tatsächlich?
Jede Krise ist schwer, sonst wäre es keine Krise. Mein persönliches Fazit ist, dass es essenziell ist, ein gutes Team zu haben, das die nötige Expertise und richtige Herangehensweise hat, um in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass wir zwar den Turnaround geschafft haben, aber trotzdem weiterhin hart daran arbeiten, profitabler zu werden.
Präsident der Industriellenvereinigung (IV) war sicher kein Nebenjob. Glauben Sie ein früherer Rückzug als Präsident der IV wäre für ihr Unternehmen besser gewesen und stand dies für Sie überhaupt zur Debatte?
Ich beschäftige mich nicht gerne mit vergangenen Eventualitäten, denn im Nachhinein weiß man immer alles besser. Ich habe die Industriellenvereinigung mit großem Engagement und Freude geführt, und das gleiche gilt für meine Tätigkeit als CEO. Ich bin aber froh, mich mit meiner gesamten Aufmerksamkeit Kapsch TrafficCom widmen zu können.
Wie sieht der künftige „Fahrplan“ der Kapsch Group, mit ihrem Herzstück der Kapsch TrafficCom, die als Maut- und Technologieanbieter weltweit aktiv ist, aus – Konsolidierung oder vielleicht doch das Erschließen neuer Märkte?
Wir sind bereits global aktiv und haben ein gutes Bild davon, wie Märkte, die für uns interessant sein können, funktionieren. Je nach Situation bewerten wir im Einzelfall, ob ein potenzielles Projekt für uns passt oder nicht – dann treten wir natürlich in neue Märkte ein. Unser Geschäft ist aber nicht darauf ausgelegt, alles gleichzeitig zu machen; das geht allein aufgrund oftmals langer Projektlaufzeiten nicht. Wir wählen bedacht aus, wo wir womit aktiv sind.
Ich nehme an Großaufträge von Mautsystemen einzuholen gestaltet sich in einem inflationsgebeutelten Europa als schwierig. Welche Produkte sowie Lösungen haben Sie im Portfolio und auf welche Kernmärkte wollen Sie sich konzentrieren?
Der Trend und die Technologie gehen hin zu vernetzten Fahrzeugen – hier sind wir ganz vorne mit dabei und arbeiten eng mit allen Stakeholdern zusammen, um entsprechende Dienste anzubieten. Das geht von Baustellen- und Stauwarnungen über vernetzte Ampelschaltungen bis hin zu dynamischer Routenführung. Wir haben beispielsweise erst kürzlich ein großes Projekt mit der deutschen Autobahn GmbH verkündet.
Wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönlichen Fragen:
Hatten Sie ein Vorbild, von dem Sie sich Dinge abgeschaut haben?
Ich halte nichts von einem Idol oder einem Vorbild, jedoch sehr viel davon, von vielen verschiedenen Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen und Ethnien zu lernen und da gibt es viele, von denen ich lernen durfte und nie aufhören werde zu lernen.
Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spaß?
Die Menschen, mit denen ich tagtäglich zusammen sein darf und mit denen ich gemeinsam an der Realisierung unserer Visionen arbeiten darf. Es bereitet Freude und ist eine unglaubliche Bereicherung.
Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Ich wollte Dirigent werden, aber da fehlte mir sowohl der Fleiß beim Üben an den Musikinstrumenten als auch das Talent.
Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen?
Würde er noch leben, mit Helmut Schmidt.
Gibt es etwas, das Sie schon immer ausprobieren wollten, sich bisher aber nicht getraut haben?
Nein, vielleicht bereue ich, dass ich einiges nicht getan habe aber nicht, weil ich mich davor gefürchtet hätte.
Was ist das Verrückteste, das Sie je in Ihrem Leben getan haben?
Mein ganzes Leben.
Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?
Ich werde es nicht können, aber wenn, dann wäre es Chancengerechtigkeit für alle Menschen – eine Illusion und Utopie.
Herr Kapsch, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.
Danke Ihnen.