Nach der jüngsten Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank (EZB) wurde vermehrt in den Medien diskutiert, dass die Rezession am Bau weiter angeheizt wird. Aktuell befindet sich die Bauindustrie noch in einer soliden Position: In vielen Sparten ist die Nachfragesituation gut und die Auftragsbücher sind ausreichend gefüllt. Sowohl öffentliche Auftraggeber als auch private Investoren bauen weiterhin, im Tief- wie auch im Hochbau. Doch darauf sollte man sich nicht ausruhen, denn die aktuelle Lage birgt auch einige Herausforderungen und verschärft sich: Die steigenden Zinsen führen zu zusätzlichen Kosten im Bauprozess.
Rückblickend haben viele Faktoren zu der derzeitigen Lage beigetragen. Dazu gehören unter anderem die förderungsbedingte Überhitzung des Marktes, Engpässe bei Fachkräften und Baustofflieferanten, die drastisch gestiegenen Kosten für Dienstleistungen und Materialien sowie die langjährig lockere Zinspolitik der EU. Darüber hinaus werden die weiterhin hohen Energiepreise und die diesjährigen kollektivvertraglichen Lohn- und Gehaltserhöhungen nicht so schnell zu einer raschen Verbesserung der aktuellen Situation führen.
Konjunkturaussicht wolkig bis heiter
Laut der aktuellen Prognose des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung vom Juni 2023 wird für das Gesamtfeld von Hoch- und Tiefbau ein Rückgang von 1,2 Prozent (WIFO) erwartet. Dabei verzeichnet der Tiefbau eine Zunahme von 2,8 Prozent. Für das Jahr 2024 wird ein weiterer Rückgang von 1,8 Prozent prognostiziert, wobei der Tiefbau erneut positiv mit 2,1 Prozent abschneidet. Diese Zahlen spiegeln die tatsächliche Entwicklung gut wider. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam bis 2024 den Tiefpunkt überwunden haben und sich die Bauindustrie, wie prognostiziert, bis 2025 insgesamt positiv entwickeln wird.
Die richtigen Fachkräfte für sich gewinnen und Rahmenbedingungen schaffen
Auf was kommt es also in Zukunft an? Wichtig ist, dass die Bauindustrie weiterhin attraktiv bleibt, um dem Verlust von Fachkräften an andere Branchen entgegenzuwirken. Es ist aber vor allem wichtig, die aktuell negative Stimmung zu verbessern und wieder optimistischer zu werden. Die öffentliche Hand hat hier den größten Einfluss: Sofort wirksam wären meiner Meinung nach Maßnahmen, wie die viel diskutierte Aufwertung der Wohnbauförderung, die gezielte Förderung der Energiewende und die Lockerung der Kreditvergabebedingungen.
Um als Bauwirtschaft gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen, ist aus meiner Sicht ein gemeinsames Engagement für Branchenstandards und der Mut zu Innovationen im Gesamtprozess notwendig. Das bedeutet beispielsweise, dass wir Ressourcen in die Entwicklung gemeinsamer Standards für Themen wie BIM, Lean Construction Management und ähnliches investieren müssen, um unsere wertschöpfenden Prozesse nachhaltig zu verbessern. Ebenso sollten wir in der Branche den partnerschaftlichen Umgang weiterentwickeln und das bisher gewonnene Know-how in alternative Vertragsmodelle einfließen lassen.
Autor: Hubert Wetschnig