Gebannt starrt die Welt auf die Auswirkungen der Pandemie. Zurzeit sind deren Folgen in wirtschaftlicher, sozialer und psychologischer Hinsicht kaum abschätzbar. Die vorhandene Unsicherheit über die weitere Entwicklung dieser Pandemie lähmt zunehmend wichtige Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft.
Europa hat zuletzt ein dringend notwendiges Lebenszeichen gegeben. Die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf ein Recovery-Programm und den Finanzhaushalt der kommenden Jahre ist eine beachtliche Leistung. Nicht, dass damit alles in Ordnung wäre, aber die Tatsache der Einigung und damit der Beendigung der Streitereien ist für sich genommen durchaus ermutigend, liegt doch Europa in der Prognose der wirtschaftlichen Auswirkungen unter allen Kontinenten mit Abstand am schlechtesten. Die chinesische Wirtschaft erwartet im heurigen Jahr ein Plus von zwei bis drei Prozent Wachstum, die europäische Wirtschaft ein Minus von neun bis zehn Prozent.
Was für ein Unterschied! Wieder hat sich gezeigt, dass das rasche Regieren autokratischer Systeme zwar von den Grundwerten, die wir vertreten, nicht wünschenswert ist, aber doch den Herausforderungen der Zeit entgegenkommt. Sollte der Auslöser der Pandemie zugleich der Gewinner derselben sein? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie es in Europa weitergeht.
Zwei Punkte möchte ich dabei herausstreichen:
Der institutionelle Aspekt
In allen liberalen Demokratien der Welt ist es üblich, dass das Parlament als gewählte Vertretung des Volkes das letzte und entscheidende Wort hat. Das Europäische Parlament hat in Zusammenarbeit mit der europäischen Exekutive, der Kommission, Vorschläge gemacht, denen die Versammlung der Mitgliedsländer (der Europäische Rat) nur nach langen Streitereien und mit Abstrichen gefolgt ist.
Dazu kommt, dass nunmehr das Europäische Parlament Nachverhandlungen fordert und weiters alle 27 nationalen Parlamente noch zustimmen müssen. Das ist wertvolle Zeit, die verrinnt, bevor die angedachten Maßnahmen wirksam werden können. Eine solche Zeitverschwendung wird sich eine demokratische Staatsform in Zeiten rasanter Veränderungen und notwendiger rascher Antworten darauf in Zukunft immer weniger leisten können.
Der inhaltliche Aspekt
Ja, es stimmt: Die Mittel für Forschung und Entwicklung werden mehr, allerdings nicht so viel, wie es die Kommission und das Parlament für erforderlich erachten, um die wesentlichen Zukunftsaufgaben in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Klimawandel, Digitalisierung, Migration und Sicherheit erfüllen zu können. Hier wurden schmerzhafte Abstriche gemacht.
Noch gar nicht behandelt wurde eine zentrale Forderung der europäischen Wirtschaftskammer: Eine notwendige Stärkung des Binnenmarktes vorzunehmen, insbesondere in den Bereichen Energieversorgung, Dienstleistungen und der Schaffung eines effizienten Kapitalmarkts. Die USA haben einen funktionierenden Kapitalmarkt, die Chinesen einen funktionierenden Staatskapitalismus, Europa muss zuschauen, wie sich Wachstumsunternehmen an die eine oder andere Seite wenden müssen, um ihre Vorhaben finanzieren zu können. Sehen wir das nicht? Ist es uns egal? Wir leben in akuter Lebensgefahr, scheinen aber zu wenig Kraft zu haben, diese Dinge mit der notwendigen Energie und Entschlossenheit anzugehen.
Das zu tun ist jedoch nicht nur Aufgabe der Politik. Wir als Vertreter der Zivilgesellschaft, in der Wirtschaft, im Sozialbereich, im ökologischen Bereich, in der Kultur, müssen unsere Stimme erheben und dies massiv einfordern. Es geht um unsere Zukunft, vor allem um die Zukunft der nächsten Generationen. Das ist eine Verantwortung, welche die Top Leader in ganz Europa jetzt, gerade jetzt, wahrnehmen müssen!