Thomas B. steht an der Spitze eines internationalen Konzerns und hat tagtäglich ein beachtliches Pensum zu bewältigen. Er hetzt von einem Termin zum nächsten, verhandelt mit Partnern und Mitbewerbern, trifft strategische Entscheidungen, führt zwischendurch wichtige Telefonate, checkt seine Mails. Den schmalen Grat zwischen beruflicher Herausforderung und Überbeanspruchung hat er längst überschritten, ignoriert das mittlerweile anhaltende Gefühl der Erschöpfung jedoch geflissentlich und ist auch in seiner Freizeit ständig auf „Standby“. Mangels Zeit und Energie haben sich zudem gesundheitlich belastende Gewohnheiten eingeschlichen. Das Tennisspiel, bei dem er sich früher so richtig auspowerte und abschalten konnte, hat Thomas B. schon lange aufgegeben, er ist einfach zu müde und es macht ihm keinen Spaß mehr. Als sich zu seinen Magenbeschwerden immer öfter auch massive Rückenschmerzen und Schlafstörungen einstellen, zieht er endlich die Notbremse: Er nimmt Urlaub, lässt sich gründlich untersuchen und tritt danach einen mehrwöchigen Kuraufenthalt an – gerade noch rechtzeitig, um irreversible Schäden abzuwenden.
Jeder Zweite ein Stress-Opfer
Thomas B. ist kein Einzelfall. Im Rahmen der inzwischen sechsten Gesundheitsstudie – sie wird alle zwei Jahre durchgeführt – erhob das Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF) zuletzt 2017 den Gesundheitszustand heimischer Manager. Die in Zusammenarbeit mit der Wiener Städtischen Versicherung und FitnessGoesOffice durchgeführte Befragung zeigte, dass 53 Prozent der beteiligten Managerinnen und Manager besonders unter Stress und 41 Prozent unter Bewegungsmangel leiden. Immerhin: Im Vergleich dazu lag das Resultat der vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2015 noch bei 57 Prozent (Stress) und 47 Prozent (Bewegungsmangel). Jeweils 29 Prozent gaben außerdem an, dass ihnen ungesunde Ernährung sowie Über- oder Untergewicht zusetzten.
Die fallende Tendenz der Zahlen ist zwar erfreulich, dennoch besteht erheblicher Verbesserungsbedarf. Die beachtliche Zahl von Global Playern, Weltmarktführern und Hidden Champions zeugt nicht nur von der Expertise heimischer Führungskräfte, sondern ebenso von ihrem Engagement, ihr Unternehmen auch in turbulenten Zeiten konstant auf Kurs zu halten. Dem eigenen Wohlergehen und diesbezüglich erforderlichen Maßnahmen genauso viel Beachtung zu schenken wie der Prosperität ihres Unternehmens muss jedoch bei vielen Managern noch auf die Agenda.
Die größten Risiken und ihre Folgen
1. Dauerstress
Es bleibt kaum Zeit zum Durchatmen, geschweige denn für regelmäßige Pausen und Mahlzeiten, auch erholsamer Schlaf ist nicht mehr möglich – Stressgeplagte wie Thomas B. schalten gleich nach dem Aufwachen auf „Autopilot“, noch im Bett werden anstehende Aufgaben durchdacht, Probleme drängen sofort wieder ins Bewusstsein. Dieser nicht willentlich gesteuerte Prozess begleitet morgendliche Routinen und endet erst dann, wenn man spätabends eingeschlafen und die Gedankenspirale damit endlich „off“ ist. Das Problem ständig kreisender Gedanken beobachtet auch der Berliner Achtsamkeitstrainer Günter Hudasch. „Das Wichtigste verpassen viele dabei: den Moment. Es geht darum, dem Moment mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu ist es wichtig, den inneren Autopiloten abzuschalten und das Gedankenkarussell zu stoppen. Ziel ist es, mehr Gelassenheit zu entwickeln“, so Hudasch. Denn: Entspannung beginnt im Kopf!
Warnsignale:
Die Anzeichen für Überforderung sind vielfältig, können mehrfach und recht unterschiedlich hinsichtlich Intensität und Dauer auftreten. Die häufigsten sind ständige Müdigkeit, Gereiztheit, andauernde Erschöpfung, depressive Verstimmung. Aber auch bei Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit, Schwindelgefühl, Herzrasen, Bluthochdruck, Rücken- und Nackenschmerzen, Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, Ohrgeräuschen, Magen-Darm-Beschwerden, geschwächtem Immunsystem und sozialem Rückzug/Vernachlässigung von Familie und Freunden steht die Gesundheits-Ampel zumindest auf gelb.
Mögliche Folgeerkrankungen:
Das Burnout-Syndrom gilt als häufigste stressbedingte Erkrankung in westlichen Industrienationen. Es entwickelt sich schleichend und gliedert sich in verschiedene Stadien, Verlauf und Symptome gestalten sich jeweils individuell. Auf Stressbewältigung und Burnout spezialisiert hat sich das Wiener Gesundheitszentrum „The Tree“. Sein medizinischer Leiter, der Neurologe Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek, erklärt, weshalb die heutige Art zu arbeiten einen der Hauptgründe für die rasante Zunahme von Burnout darstellt: „Unser Gehirn ist nicht multitaskingfähig, wir können uns nur auf eine Sache konzentrieren. Aber genau das wird in der Zeit von E-Mail, Handy und Push-Benachrichtigungen immer schwieriger.“
Weiters zählen Arteriosklerose, Schlaganfall, Herzinfarkt, Reizdarm, Diabetes, andauernder Tinnitus, Infektionserkrankungen, Migräne, massive Rückenbeschwerden, Magen-Darm-Geschwüre und Unfruchtbarkeit/Impotenz zu den durch Dauerstress verursachten Erkrankungen.
2. Bewegungsmangel
Langes Sitzen ist ein Gesundheits-Killer: Kreislauf und Stoffwechsel verlangsamen sich und schon nach nur einer Stunde verringert sich die Gefäßfunktion in den Beinen um rund die Hälfte. Die Muskulatur des Bewegungsapparates bildet sich zurück, Übergewicht wird begünstigt. Im Gegenzug dazu ist die obere Haltemuskulatur dauerbeansprucht und verspannt sich. Wie wichtig Bewegung tatsächlich ist, bringt der Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft in Karlsruhe, Prof. Dr. Alexander Woll, auf den Punkt: „Unser Körper ist auf Bewegung ausgerichtet. Um gesund zu sein und zu bleiben, brauchen wir Bewegung. Ohne Bewegung ist Gesundheit überhaupt nicht denkbar.“
Mögliche Folgeerkrankungen:
Haltungsschäden, Bandscheibenvorfälle, massive Verspannungen, chronische Rücken- und Nackenschmerzen, Krampfadern sowie Durchblutungsstörungen sind die gravierendsten Folgen von Bewegungsmangel. Außerdem erhöht mangelnde Bewegung das Risiko für die Entstehung von Diabetes dramatisch und begünstigt das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zusätzlich lässt Bewegungsmangel nicht nur den Körper, sondern auch den Geist schneller altern und zählt – wie übrigens auch Übergewicht und Diabetes – zu den wesentlichen Risikofaktoren, die in späteren Jahren zu Alzheimer-Demenz führen können.
3. Ungesunde Ernährung
Wer unter ständigem Termindruck steht, nimmt sich verständlicherweise oft nicht die Zeit, etwas „Vernünftiges“ zu essen, sondern konsumiert einfach etwas schnell Greifbares zwischendurch. Wird Fast Food aber zum Standardprogramm, stellen sich bald gesundheitliche Probleme ein, Übergewicht ist vorprogrammiert. 2017 veröffentlichte die britische Fachzeitschrift The Lancet eine Studie, die besagt, dass ungesunde Ernährung weltweit bei jedem fünften Todesfall eine entscheidende Rolle spielt, wobei unter anderem „zu viel“, „zu salzig“ und „zu stark verarbeitet“ zu den Hauptkriterien zählen. Ebenso steigt das gesundheitliche Risiko, wenn etwa zu wenig Vollkornprodukte, Nüsse und Obst auf dem Speiseplan stehen.
Mögliche Folgeerkrankungen:
Durch die Aufnahme von zu viel Fett und Zucker steigt das Risiko für Gelenkbeschwerden, Diabetes, hohen Blutdruck sowie Herz- und Gefäßerkrankungen drastisch. Das scheinbare „Heilmittel“ Schokolade hat zwei Seiten: Greift man an einem durchgetakteten Arbeitstag immer wieder zu Süßigkeiten, um sich einen Energiekick zu holen, bewirkt man damit starke Blutzuckerschwankungen und fühlt sich, sobald der Wert sinkt, müde, unkonzentriert und von Heißhungerattacken geplagt.
Die besten Tipps zur Vorbeugung
1. Achtsamkeit
Um gesundheitlicher Beeinträchtigung zu entgehen, ist es notwendig, der eigenen Person genügend Beachtung zu schenken, Grenzen und Bedürfnisse wahrzunehmen, diese zu respektieren und Warnsignale nicht zu ignorieren.
2. Ausgleich
Es muss einen Gegenpol zum Geschäftsalltag geben, eine Tätigkeit, die Freude bereitet, ein Hobby oder das Ausüben einer Sportart – alles jedoch ohne Druck bzw. den Drang, auch hier hochgesteckte Ziele zu erreichen. Und: Soziale Kontakte sind wichtig fürs Glück.
3. Kurze Auszeiten
Über den Arbeitstag verteilte, kleinere Auszeiten machen den Kopf frei und spenden Energie. Dabei genügt es schon, kurz die Augen zu schließen, sich aus-giebig durchzustrecken und tief ein- und auszuatmen. Im Optimalfall legt man ein maximal 20 Minuten dauerndes Nickerchen ein, das nachweislich wie ein natürliches Aufputschmittel wirkt: Zahlreiche Studien belegen, dass es sich positiv auf das Kurzzeitgedächtnis auswirkt, vor Herzkrankheiten schützt sowie Erschöpfungszuständen vorbeugt und gute Laune macht. Richtiges Zeitmanagement bedeutet also nicht, möglichst viele Erledigungen in einen Tag zu pressen.
4. Mehr Bewegung
Es ist nicht nötig, einen Marathon zu laufen. Mit kleinen Verhaltensänderungen kann man etwas bewirken: Stiegen zu steigen statt den Lift zu nehmen, Telefonate im Stehen zu absolvieren, bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eine Station früher auszusteigen. Sportwissenschafter Alexander Woll weiß, dass man, „um gesund zu bleiben, mindestens eine halbe Stunde Bewegung pro Tag braucht. Bei zwei Stunden pro Woche konnte in verschiedenen epidemiologischen Studien belegt werden, dass es relevante Gesundheitsgewinne gibt“. Bewegung, besonders an frischer Luft, wirkt als natürliches Antidepressivum und hilft, den Kopf frei zu bekommen. Neue Kraft und erholsamer Schlaf inklusive.
5. Gesunde Ernährung
Wichtig ist, öfter zu gesunden Snacks wie etwa Obst oder Nüssen zu greifen und auch bei Geschäftsessen darauf zu achten, dass nicht immer Deftiges auf den Teller kommt. Ein einfacher Praxistipp: eine mit gesunden Köstlichkeiten gefüllte Lunchbox ins Büro mitnehmen und für ausreichend (ungesüßte) Flüssigkeitszufuhr zu sorgen.
6. Work-Life-Balance
Modernste Technik ermöglicht es, unabhängig von Zeit und Ort einsatzbereit zu sein. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek appelliert an die Eigenverantwortung des Einzelnen: „Es liegt an jedem selbst, Akzente zu setzen und dafür zu sorgen, dass nicht alle Bereiche des Lebens von Arbeit durchdrungen sind. Sich Zeit zu nehmen, nicht erreichbar zu sein, etwas zu genießen ist die beste Anti-Burnout-Strategie.“
7. Resilienz stärken
Seit Jahren taucht der Begriff der „Resilienz“ wieder auf. Dabei geht es um die psychische Widerstandsfähigkeit, das individuelle Potential, mit Stress, Rückschlägen, Herausforderungen und/oder Krisen umzugehen. Resiliente Manager können Befindlichkeit und Emotionen regulieren, wodurch sie nicht so schnell aus der Balance geraten. Die gute Nachricht: Resilienz ist erlern- und trainierbar.
8. Urlaub
Ein rund zweiwöchiger Haupturlaub sowie regelmäßige kürzere Auszeiten (etwa verlängerte Wochenenden) gelten als ideal, um sich nachhaltig erholen zu können. Wichtig dabei ist, tatsächlich abzuschalten und bewusst zu entspannen, das zu tun, was wirklich Spaß macht.
9. Regelmäßige Gesundheitschecks
Gehört einmal jährlich in den Kalender: ein Gesundheits-Check (Blutdruckmessung, Blut- und Urinanalyse, EKG).