Ist der geldpolitische Kurswechsel Japans eine gute Nachricht für Anleger:innen?

Dan Carter und Mitesh Patel, Jupiter AM, bewerten das Ende der Negativzinspolitik Japans.
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Ist der geldpolitische Kurswechsel Japans eine gute Nachricht für Anleger:innen?
Dan Carter, Investment Manager Japanese Equities bei Jupiter AM.

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Im März hat die Bank of Japan (BoJ) die Zinsen endlich angehoben – ein Paradigmenwechsel, der große Wellen in der Finanzpresse schlug. In Großbritannien berichtete nicht nur die ehrwürdige Financial Times darüber, sondern auch populärere Blätter wie The Mirror und The Mail. Die Kommentatoren wetteiferten um Übertreibungen und der langjährige Japan-Spezialist Jesper Koll verkündete das „Ende des Finanzsozialismus“.

Kontext und Ursache

Ein Grund, warum der Kurswechsel der Notenbank zunächst keine nennenswerte Marktreaktion auslöste, war, dass er bereits weitgehend antizipiert worden war. Schon Wochen zuvor hatte die Finanzpresse darüber spekuliert, wann – nicht, ob – die BoJ von ihrer Negativzinspolitik (Negative Interest Rate Policy, kurz NIRP) abrücken würde. Ein weiterer Grund ist, dass sich die langfristigen Zinsen, ein besserer Indikator der monetären Bedingungen, schon seit einiger Zeit nach oben bewegt hatten.

Der Kontext für diesen geldpolitischen Kurswechsel – und die, die ihm vorausgegangen sind – ist natürlich die Inflation. Die Inflation in Japan mag zwar nicht so stark gestiegen sein wie in den anderen Industrieländern und ihren Höhepunkt später erreicht haben. Je nachdem, welche Messgröße man betrachtet, steigt die Jahresrate der Inflation in Japan aber seit 2021 oder 2022 – eine durchaus bemerkenswerte Tatsache für ein Land, das normalerweise mit stagnierenden Preisen in Verbindung gebracht wird. Die japanische Inflation hat zwar zuletzt nachgelassen, sich aber zugleich auf vermeintlich preisstabilere Segmente wie den Dienstleistungssektor ausgeweitet, und auch die Löhne sind gestiegen.

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Allerdings sagen wir nicht, dass die Inflation die Ursache für den geldpolitischen Kurswechsel ist – sie stellt lediglich den Kontext dar. Das ist nicht nur eine Frage der Semantik. Die Ursache wäre die primäre Motivation für den Kurswechsel, der Kontext ist das wirtschaftliche Umfeld, das diesen befördert. Für die meisten Zentralbanken ist die Inflation tatsächlich die Ursache einer Straffung der Geldpolitik – sie sind Inflationsbekämpfer. Die Bank of Japan ist anders – sie will diese Inflationsphase nutzen, um zu einer normaleren Geldpolitik zurückzukehren, anstatt die Inflation im Keim zu ersticken.

„Positiver Kreislauf“

So wichtig unsere Wortwahl hier ist, so entscheidend und vielsagend ist die der BoJ. Im ersten Absatz ihrer Pressemitteilung erklärt die Bank:

„… der Vorstand der Bank of Japan bewertete den positiven Kreislauf von Löhnen und Preisen und hielt es für absehbar, dass das Preisstabilitätsziel von 2 Prozent nachhaltig und stabil erreicht wird …”.

Der positive Kreislauf. Andere Zentralbanker sprechen – für gewöhnlich mit ernster Miene – über die Lohn-Preis-Spirale, wenn sie erläutern, warum die Hypotheken teurer werden. Nur die japanische Notenbank bezeichnet die sich selbst verstärkende Beziehung zwischen Preisen und Löhnen als positiv. Ist dies eine Unterscheidung ohne Unterschied? Wir glauben nicht. Wenn die BoJ ihre Geldpolitik nicht anpasst, um die Inflation zu senken, sondern sie weitmöglichst normalisiert, bevor die Inflation unter den Zielwert fällt, dürfte der Zinserhöhungspfad kurz und flach sein.

Das bedeutet nicht, dass von der BoJ keine weiteren Zinsschritte zu erwarten sind. In seiner Rede im vergangenen Monat bezeichnete BoJ-Vorstandsmitglied Naoki Tamura Japan als „Staat ohne nennenswerte Zinsen“ und machte deutlich, warum das schlecht ist.

Naoki Tamura beschrieb seine Vision der geldpolitischen Normalisierung so:

„Meines Erachtens geht es beim Preisstabilitätsziel von 2 Prozent darum, die Zinsen wieder auf ein Niveau zu bringen, auf dem sie ihre Funktionen erfüllen können – das heißt, auf den Zinserhöhungen oder -senkungen die Nachfrage und die Preise beeinflussen zu können – und gleichzeitig die Mindestrendite-Funktion und die Signalwirkung wiederherstellen.“

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Mitesh Patel, Investment Manager Japanese Equities bei Jupiter AM.

All dies zusammen spricht unserer Ansicht nach dafür, dass die jüngste Zinserhöhung in Japan keine neue geldpolitische Ordnung einläutet, sondern eher den Anfang des Endes dieser Übergangsphase markiert. Wenn das der Fall ist, sollten wir uns fragen, was dies für die Märkte bedeuten könnte.

Gute oder schlechte Nachrichten für Aktien?

Die Frage scheint einfach zu beantworten: Nach geläufiger Meinung sind höhere Zinsen schlecht für Aktien. Das stimmt aber nicht ganz, denn wenn es so wäre, wäre eine Zinssenkung immer und überall eine gute Nachricht für Aktien und das ist nachweislich nicht der Fall.

Anfang 2016, das letzte Mal, als die BoJ den Leitzins unter die Nulllinie senkte, gab der Topix-Index in den folgenden sechs Monaten um 20 Prozent nach. Grund dafür war die damalige Einschätzung der Märkte, dass Japans wirtschaftliche Lage wirklich schlimm sein müsse, wenn sich die Notenbank zu einem derart ungewöhnlichen Schritt veranlasst sieht. Unserer Ansicht nach könnte die gleiche Logik jetzt auch umgekehrt wirken: Eine Anhebung des Leitzinses ist ein Vertrauensbeweis und damit eine gute Nachricht für den Aktienmarkt.

Für interessanter als die Auswirkungen auf Gesamtmarktebene halten wir die Auswirkungen auf Stil- und Branchenebene. Auch hier können wir Schlüsse aus den Erfahrungen der Vergangenheit ziehen.

Erinnern wir uns an Mitte 2006 – das letzte Mal, dass die japanische Notenbank eine „erste Zinserhöhung“ vornahm (Die BoJ hob die Zinsen 2007 erneut an. Dabei ist zu beachten, dass der Topix Index in den Monaten nach der ersten Zinserhöhung der BoJ spiegelbildlich zur oben erwähnten Erfahrung von 2016 stieg – Anm. d. Red.). Damals hätte man erwarten können, dass diese Entwicklung zu einer Outperformance von Banken führen würde, für die höhere Zinsen gleichbedeutend mit höheren Gewinnen sind, und zu einer „Underperformance“ von Immobiliengesellschaften, die sich dadurch mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert sehen würden.

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Tatsächlich trat das Gegenteil ein. Hier stimmte also wohl die alte Buddha-Weisheit „Gut reisen ist besser als anzukommen“. Schließlich müssen wir auch die Implikationen für die Währungsmärkte berücksichtigen. In der Regel halten wir uns mit Kommentaren zum Yen lieber zurück, aber das Thema ist so wichtig, dass wir es hier adressieren müssen. Zumindest in den letzten Jahren haben die realen Zinsunterschiede die Entwicklung des Yen gegenüber des US-Dollars gut erklärt. Im Kampf gegen die Inflation hat die Fed mit stiller Zustimmung der akkommodierenden BoJ dafür gesorgt, dass viel Kapital aus dem Yen abgezogen wurde.

Im Falle einer Wiederaufwertung des Yen sollten Aktienanleger damit rechnen, dass ausländische Unternehmen, die in letzter Zeit zu den Gewinnern zählten, wie zum Beispiel Autohersteller und ihre Zulieferer, in Ungnade fallen. Profitieren könnten dagegen binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen, zum Beispiel aus dem Telekommunikationssektor und anderen Dienstleistungsbereichen. Für uns wäre das erfreulich, da rund zwei Drittel der positionsgewichteten Umsätze unseres Portfolios im Inland erzielt werden.

Von NIRP zu „PIRP“?

Insgesamt glauben wir also, dass der jüngste Richtungswechsel der Bank of Japan von NIRP zu „PIRP“ (Positive Zinsen sind so normal, dass es dafür keinen allgemein anerkannten Begriff (Positivzinspolitik), geschweige denn eine Abkürzung (PIRP), zu geben scheint – Anm. d. Red.) von Bedeutung sein könnte – allerdings nicht in der Weise, wie man zunächst vermuten könnte.

Wir haben den Eindruck, dass die BoJ eher am Ende als am Anfang ihrer Aufgabenliste für die geldpolitische Normalisierung steht. Die Normalisierung selbst könnte dem Aktienmarkt Auftrieb geben – als erstmals Negativzinsen eingeführt wurden, war zumindest das Gegenteil der Fall. Wenn das geldpolitische Ziel nun diesseits des Horizonts liegt, gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass es noch lange nicht vollständig eingepreist sei. In diesem Fall könnte es mit der Vorliebe des Marktes für Value-Aktien und vor allem für besonders zinssensitive Sektoren wie Banken vorbei sein. Der schwache Yen hat Anlegern mit nicht währungsgesicherten Portfolios in den letzten Jahren arg zu schaffen gemacht.

Wie es hier weitergeht, wird mindestens genauso von den Ereignissen in den USA und anderswo abhängen wie von den Entwicklungen in Japan. Dennoch haben die jüngsten Entwicklungen den Yen auf ein Niveau gedrückt, das nur noch wenig mit der Realität zu tun zu haben scheint. Eine Wiederaufwertung könnte die Aufmerksamkeit von den geliebten Exporttiteln auf Aktien von Unternehmen lenken, die ihre Gewinne im Inland erwirtschaften. Wir hätten nichts dagegen.

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