Kurt Seinitz: Chinas langer Abschied von den goldenen Jahren

Es knirscht in der historischen Erfolgsbilanz – Retro-Kurs des KP-Regimes bremst den Aufstieg.
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Kurt Seinitz: Chinas langer Abschied von den goldenen Jahren
Kurt Seinitz, österreichischer Journalist und Buchautor.

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Die junge Generation auf Jobsuche muss lernen, „Bitternis (zu) essen“, so Staatschef Xi Jinping. Chinas Staats- und Parteichef lässt die Muskeln spielen – nach außen und nach innen. Seit seinem Amtsantritt 2012 wird die Diktatur der Kommunistischen Partei massiv verschärft.

Xi ist wahrscheinlich der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. Sein Retro-Kurs zu altkommunistischen Grundsätzen soll den „chinesischen Traum“ verwirklichen, wie Xi das politische Ziel nennt. Doch das damit verbundene Wohlstandsversprechen ist ins Stolpern geraten. Es knirscht an vielen Stellen und es wächst der Eindruck, dass China die besten Jahre hinter sich gelassen und den Zenit seines stürmischen Aufstiegs überschritten hat. Die Probleme haben vielfältige Ursachen:

Es begann mit der Covid-Pandemie. Der Ausbruch in Wuhan wurde erst ignoriert, geleugnet, der Alarm schlagende Arzt mit Strafandrohung mundtot gemacht und dann, als sich die Pandemie schon weltweit ausgebreitet hatte, mit Monster-Lockdowns bekämpft. Als diese nach ersten Revolten der Bevölkerung abgebrochen werden mussten (mit der Folge von einer Million Covid-Todesopfern), kam die Wirtschaft ins Schlingern, wovon sie sich bis heute nicht richtig erholt hat.

China bekommt die Folgen der Ein-Kind-Politik der letzten eineinhalb Generationen zu spüren. Die Familien könnten jetzt mehr Kinder haben, wollen aber nicht. Gleichzeitig wird China unvorbereitet von der Überalterung getroffen. Die Ausgaben für Sozial- und Altersversorgung galoppieren in die Höhe. Das Pensionsantrittsalter wurde drastisch angehoben. Zyniker sagen: „China wird alt, bevor es reich geworden ist.“

In China ist außerdem eine große Vertrauenskrise gegenüber der Wirtschaft und gegenüber der Politik ausgebrochen. Der Konsum lahmt, Immobilien-Riesen gehen bankrott, die Menschen fürchten um ihr Geld, Investoren ziehen ab, Arbeitslosigkeit, besonders unter der Jugend, steigt. Die Antwort der Führung: Sie veröffentlicht darüber keine Statistiken mehr. Staatschef Xi tröstete die Jugend, sie müsse, so wie er selbst als Jugendlicher, lernen, „Bitternis (zu) essen“.

Die Überproduktion der noch auf Hochtouren laufenden Industrie wird zu Dumpingpreisen in den Export umgeleitet. Das bringt China Handelskonflikte.

Kurt Seinitz Chinas langer Abschied von den goldenen Jahren
© PantherMedia / everyonensk

Das Anziehen der Zügel bekommt der Privatwirtschaftssektor zu spüren. Im Gegensatz zu dem großen Reformer Deng Xiaoping wird das ausländische Kapital nicht mehr mit offenen Armen empfangen, sondern als notwendiges Übel empfunden. Private Firmen werden an der kurzen Leine gehalten und der Staatswirtschaftssektor bevorzugt.

Die High-Tech-Stars der Gründergeneration wie Alibaba-Chef Jack Ma wurden entmachtet und aus der Öffentlichkeit verbannt. Sie waren zu mächtig geworden und in China darf es nur eine Macht geben: die Partei. Das Schicksal autoritärer Regime wie jenes der Sowjetunion lehrt aber, dass es abwärts geht, wenn in der Wirtschaft und Bürokratie die Loyalität von Parteisoldaten zum Parteiführer mehr zählt als Kompetenz.

Zensur und Überwachung haben Jahre der relativen Offenheit (von etwa 1997 bis 2015) abgelöst. Korrespondenten konnten frei reisen und Menschenrechts- und Umweltschutzanwälte treffen, von denen es heute keine mehr gibt. Heute verfolgt dich „Big Brother“ mit 110 Millionen Überwachungskameras, die meisten mit Gesichtserkennung (auch mobil bei Polizisten) auf Schritt und Tritt. China ist die erste voll-digitalisierte Diktatur der Welt.

Heikle Fragen sind unerwünscht, etwa nach dem mysteriösen Verschwinden des Außenministers und früheren Botschafters in den USA, Qin Gang, kurz nach seiner Ernennung; darüber gibt es keine Informationen, denn das geht ja schließlich niemanden etwas an.

Ebenso fehlt die Nummer Zwei der tibetischen Religion, der Panchen Lama. Als nach dem Tod des 10. Panchen Lama eine Reihe von Seelenkindern gefunden wurden, zog der Dalai Lama im indischen Exil aus der goldenen Urne das Los. Daraufhin wurde in China das erwählte Kind samt seiner Familie auf Nimmerwiedersehen entführt; auch darüber keine Informationen, denn es geht ja niemanden etwas an.

Stattdessen bestimmte eine eilig zusammengetrommelte Mönchsversammlung einen Ersatz-Lama. Dieser ist heute 34 Jahre alt und Mitglied der politischen Konsultativkonferenz der chinesischen Führung. Man kann sich ausmalen, was sich beim Tod des 89-jährigen Dalai Lama abspielen wird.

Die Kunst war in den „goldenen Jahren“ relativ frei gewesen. Ein Beispiel hierfür sind die Gao-Brüder, die mit oppositioneller Polit-Kunst provozierten. Doch was damals tolerierte Kunst war, gilt heute als Verbrechen. Einer der Gao-Brüder ist verhaftet, der andere im US-Exil.

Die Abschottung Chinas von den sogenannten „bösen Winden“ schreitet schnell voran. Die Autorin Lea Sahay schreibt in ihren soeben erschienenen Buch „Das Ende des Chinesischen Traums“:

„Die Tragik von Xi Jinpings Chinesischem Traum ist, dass er den Menschen vorschreibt, wie ihre Träume auszusehen haben.“

Erstveröffentlichung Kronen Zeitung

Autor: Kurt Seinitz

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