Ungarn hat seit 1. Juli 2024 den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernommen. Mit dem Ratsvorsitz, der zwischen den Mitgliedern im halbjährlichen Turnus wechselt, ist traditionell ein „Agenda Setting“ des jeweils Vorsitz führenden Landes verbunden:
1. Ein neues europäisches Wettbewerbsabkommen
Angesichts der internationalen Herausforderungen und Europas Rückstand gegenüber globalen Konkurrenten ist es entscheidend, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu verbessern.
Ziel ist es, eine technologie-neutrale Industriepolitik zu entwickeln, europäische Produktivität zu steigern, eine offene Wirtschaft und internationale Zusammenarbeit zu fördern sowie einen flexiblen Arbeitsmarkt zu schaffen. Ein neues Wettbewerbsabkommen soll wirtschaftliche Entwicklung, nachhaltiges Wachstum und die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen fördern sowie die grüne und digitale Transformation vorantreiben.
Ungarn knüpft dabei an den „neuen Europäischen Deal für Wettbewerbsfähigkeit“ an, den die Staats- und Regierungschefs im April ausgerufen haben. Die Schwerpunkte zu Wettbewerbsfähigkeit greifen viele Forderungen der heimischen Wirtschaft auf:
Die weitere Vertiefung des EU-Binnenmarkts, der Abbau der bürokratischen Belastungen für Unternehmen, insbesondere KMU, leistbare und sichere Energieversorgung, eine aktive EU-Handelspolitik mit wirtschaftsfreundlichen Handelsabkommen sowie die Stärkung des Forschungs- und Innovationsstandorts. Insbesondere der Abbau von Bürokratie und regulatorischen Belastungen muss weit oben auf der Agenda stehen.
2. Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik
Aufgrund der aktuellen und aufkommenden Konflikte muss die EU die europäischen Verteidigungsfähigkeiten erheblich verbessern.
Die ungarische Ratspräsidentschaft wird besonderen Wert auf die Stärkung der europäischen verteidigungstechnologischen und industriellen Basis legen, Innovationen im Verteidigungsbereich fördern und die Zusammenarbeit bei der Verteidigungsbeschaffung zwischen den Mitgliedstaaten verbessern.
3. Konsistente und leistungsbasierte Erweiterungspolitik
Die Erweiterungspolitik der EU ist eine ihrer erfolgreichsten Strategien – sie muss ausgewogen und glaubwürdig bleiben. Die Integration der Westbalkanstaaten ist für die EU in wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer und geopolitischer Hinsicht von Vorteil. Konsultationen im Rahmen eines EU-Westbalkan-Gipfels im zweiten Halbjahr 2024 und der Europäischen Politischen Gemeinschaft sind geplant.
Österreich unterstützt die Heranführung der Westbalkanländer an den Binnenmarkt und einen zügigen Beitrittsprozess, bei dem aber alle Kriterien einzuhalten sind. Österreichische Unternehmen gehören zu den größten Investoren in der gesamten Westbalkanregion.
4. Versuche zur Eindämmung illegaler Migration
Der Migrationsdruck stellt eine Belastung für die EU und insbesondere für die Staaten an den Außengrenzen dar.
Die ungarische Ratspräsidentschaft wird sich auf die externe Dimension der Migration konzentrieren, Rückführungen fördern und Lösungen für Asylregeln entwickeln, inklusive der Zusammenarbeit mit Grenz- und Transitländern sowie der Bekämpfung von illegaler Migration und Menschenschmuggel.
5. Gestaltung der Zukunft der Kohäsionspolitik
Um eine ausgewogene Entwicklung in der EU zu gewährleisten, müssen regionale Disparitäten verringert werden. Eine gut strukturierte Kohäsionspolitik ist hierfür entscheidend.
Die ungarische Ratspräsidentschaft wird eine strategische Debatte über die Zukunft der Kohäsionspolitik anstreben, um Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu fördern und demografische Herausforderungen zu bewältigen.
6. Gemeinsame EU-Agrarpolitik
Die europäische Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Ungarn sieht die Landwirtschaft als Teil der Lösung für den Klimawandel und die Ernährungssicherheit.
Die ungarische Ratspräsidentschaft wird eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Agrarpolitik fördern, die auch die strategischen Ziele des europäischen Grünen Deals berücksichtigt.
7. Demografische Herausforderungen
Nicht nachhaltige Sozialsysteme und Arbeitskräftemangel sind drängende Probleme. Diese demografischen Herausforderungen beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der EU und die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen.
Die ungarische Ratspräsidentschaft will diese Herausforderungen angehen und die Kommission bei der Entwicklung von Lösungen unterstützen.
Autor: Christoph Leitl