Die atemberaubenden globalen Veränderungen beschäftigen uns intensiv. Die Zukunftsszenarien der europäischen Union werden gerade jetzt vor der europäischen Parlamentswahl und der Neu-bestellung der Kommission intensiv diskutiert. Zuwenig aber beschäftigen wir uns mit einem Nachbarn, mit dem uns wichtige wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche und kulturelle Aspekte verbinden: die Schweiz.
Was ist so bemerkenswert an diesem Land? Die Neutralität, die nicht nur eine Verwicklung in Kämpfe verhindert, sondern durch Kämpfe anderer auch zu eigenem Wohlstand geführt hat? Eine Rohstoffarmut, die zu besonderer Kreativität geführt und damit wirtschaftlich erfolgreich gemacht hat? Oder ist es einfach die calvinistische Mentalität des Fleißes, der Nachhaltigkeit, der Langfristigkeit und der Vernunft?
Wahrscheinlich alles von dem. Aber was können wir von der Schweiz lernen? Dazu zehn gedankliche Anregungen:
- Der Erfolgsweg der Schweiz begann, als aus einzelnen Kantonen ein Bundesstaat geworden ist. Wem fällt in diesem Zusammenhang nicht gleich Europa ein?
- Die Schweiz ist dezentral organisiert und durch den Wettbewerb der Kantone insbesondere auch im Bereich einer autonomen Steuerpolitik sehr gut gefahren. Wem fällt in diesem Zusammenhang nicht gleich Österreich ein?
- Die Europäische Union hat für die Schweiz eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Rechtliche Einzelvereinbarungen waren lang Zeit sehr erfolgreich, sind aber nunmehr durch die Nichtumsetzung eines mit der EU ausverhandelten Rahmenabkommens in einen Stillstand übergegangen. Ergäbe dies nicht eine Möglichkeit für Österreich, vermittelnd tätig zu werden?
- Wie schafft es die Schweiz, eine konkurrenzfähige Wirtschaft mit höchster Lebensqualität für ihre Bürger zu gewährleisten? Zwei wesentliche Antworten: Mit einer effizienteren Bürokratie und einer massiv geringeren steuerlichen Belastung. Ein mögliches Vorbild für Österreich?
- Schweizer Qualität ist weltbekannt. 7 von 10 jungen Menschen machen eine duale Ausbildung in diesem Land. Ein Vorbild für Europa?
- Wie ist es möglich, dass die Schweizer mit ihrer direkten Demokratie gegen eine sechste gesetzliche Urlaubswoche und für eine Erhöhung der Arbeitszeit von 40 auf 42 Stunden gestimmt haben? Ein Schelm, der schon wieder Vergleiche mit der gegenwärtigen heimischen Diskussion anstellt!
- Wem ist bewusst, dass das von der Schweiz am meisten exportierte Gut nicht Schokolade ist, sondern Red Bull? Dieses Unternehmen hat sich in der Schweiz angesiedelt, um einerseits steuerlich zu profitieren, andererseits aber auch unabhängig von möglichen politisch motivierten wirtschaftlichen Sanktionen zu sein. Eine kluge Haltung. Zum Nachdenken für Europa?
- Personenfreizügigkeit und ein liberaler Arbeitsmarkt haben der Schweiz nicht nur nicht geschadet, sondern ihr zum Vorteil gereicht. Hallo Österreich, was macht unser Nachbar da besser?
- Die politische Zusammenarbeit der wichtigsten Parteien ohne Einstimmigkeitserfordernis hat einer lebendigen Demokratie nicht geschadet, wohl aber durch Gleichklang in den wesentlichen Fragen genützt. Auch daraus kann man Schlüsse ziehen!
- Mentalität. Vernunft. Weltoffenheit. Wirtschaftsfreundlichkeit. Liberales Denken. Natürlich ist auch in unserem Nachbarland nicht alles perfekt. Aber viele Dinge gibt es, worüber wir nachdenken sollten, woraus wir lernen könnten und womit wir selbst besser werden könnten.
Autor: Christoph Leitl