Politisches Ziel der Europäischen Union und Österreichs ist es, das Stromsystem zu dekarbonisieren und auf CO2-freie Stromerzeugung umzustellen. Für Österreich bedeutet dies den Ausbau bei Photovoltaik, Windenergie und Wasserkraft.
Mit den Auswirkungen eines dekarbonisierten Stromsystems auf Versorgungssicherheit, Investitionserfordernisse und Marktdesign befasst sich die unabhängige Studie „Zukunft des österreichischen Strommarktes“, die vom Berliner Beratungsunternehmen e.venture consulting gmbh unter der Federführung des österreichischen Energieexperten Florian Haslauer, erstellt wurde.
„Als Grundlage für die erarbeiteten Ergebnisse unsere Studie dient eine modellierte Residuallastkurve für 2035 mit Annahme zu Stromverbrauch, Erzeugungsstruktur und Flexibilitätspotenzialen. Im Unterschied zu anderen Studien wird dabei der Bruttobedarf an flexibler Last, der sich aus einer bilanziell ausgeglichenen Erzeugung von Wind-, PV- und Wasserkraft-Strom ergibt, berechnet und den unterschiedlichen Optionen gegenübergestellt. Aus der verbleibenden Defizitlast wird dann der Bedarf an zusätzlich zu schaffender flexibler Erzeugung abgeleitet“, erklärt Florian Haslauer.
Erneuerbare Energien reichen nicht aus
In der Studie wird davon ausgegangen, dass der Strombedarf in Österreich bis 2035 auf etwa 100 Terawattstunden (TWh) steigen wird. Dies bedeutet einen Zuwachs von 50 Prozent gegenüber dem aktuellen Bedarf. Treiber dafür sind die Elektrifizierung in der Industrie, in der Wärme und in der Mobilität sowie die Wasserstofferzeugung in Elektrolyseuren.
„Trotz des starken Ausbaus der Erneuerbaren und der bilanziellen Deckung des Jahresstromverbrauchs durch die Erneuerbaren, ist eine bedarfsgerechte, sichere Stromversorgung ausschließlich durch PV, Wind und Wasser nicht gewährleistet. In einem von wetterabhängigen Erzeugungskapazitäten geprägten Stromsystem ist zu keiner Stunde eine genaue Deckung des Bedarfes durch die Erneuerbaren gegeben. Entweder fallen Überschüsse an oder es besteht ein Defizit“, so Florian Haslauer zu einem Ergebnis der Studie.
Ziele der Politik
Die österreichische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt bis 2030 den gesamten Strombedarf bilanziell aus Erneuerbaren zu decken. Laut Studie wird dieses Ziel nicht erreichbar sein. Ursachen dafür sind: lange Genehmigungsläufe, nicht ausreichend definierte Umsetzungsziele in den Bundesländern, fehlende ausgewiesene Flächen für PV und Windkraft in den Bundesländern, Engpässe bei Lieferanten und Errichtern.
„Wir gehen davon aus, dass bis 2035 dieses Ziel erreicht werden kann, allerdings ist der Ausbaubedarf höher als die in den Zielen festgelegten 27 TWh. Wir nehmen eine Größenordnung von 40 TWh als Erfordernis an“, verdeutlicht Florian Haslauer.
Flexibilität als Schlüssel zum Erfolg
Trotz starkem Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten und dem Erreichen der 100%igen bilanziellen Abdeckung des Strombedarfs im Jahr 2035 sind weiterhin flexible Kraftwerkskapazitäten in signifikantem Ausmaß erforderlich. Das werden aus heutiger Sicht noch erdgasbetriebene und teilweise wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke sein. Nutzbare Flexibilitäten auf der Verbrauchsseite und Speicher, wie z.B. Batterien, leisten einen Beitrag, die Defizitstunden zu reduzieren, helfen aber nicht, die Spitze in der Defizitlast wesentlich zu reduzieren.
„Es besteht die berechtigte Frage, ob mit einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Erzeugungskapazitäten der Bedarf an flexiblen Kapazitäten reduziert werden kann. Eine Sensitivitätsanalyse zeigt, dass das nicht der Fall ist – jedenfalls nicht in signifikantem Umfang“, konstatiert Florian Haslauer.
Investitionsvolumen und Preisgestaltung
Der Umbau des Stromsystems ist mit hohen Investitionen verbunden. Laut der e.venture-Studie werden für den Ausbau der Wind-, Photovoltaik- und Wasserkraftkapazitäten etwa 31 Mrd. Euro benötigt. Der Aufbau der flexiblen Erzeugung und Speicher schlägt mit ca. 5 Mrd. Euro zu Buche und der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze ist mit 30 Mrd. Euro zu veranschlagen.
Die Strompreise sind in den nächsten zehn Jahren etwa auf dem zumindest zweifachen Niveau dessen zu erwarten, was in den vergangenen 15 Jahren vor der Krise beobachtet wurde. Das spiegelt die Kosten der Dekarbonisierung und der Energiewende wider.
„Haupttreiber sind die hohen notwendigen installierten Kapazitäten der Erneuerbaren, der erforderliche Netzausbau und der Ersatz von billigem russischen Pipeline-Gas durch LNG (Flüssiggas) und Erneuerbaren Wasserstoff. Neben den Strompreisen sollte man die für die Energiewende notwendigen hohen Netzinvestitionen und damit einhergehende steigende Netztarife nicht außer Acht lassen“, betont der Energieexperte.
Marktdesign
Für den erforderlichen Ausbau der Stromerzeugung ist ein Marktdesign sinnvoll, das privatwirtschaftliche Investitionen anreizt und staatliche Förderungen zur Anreizlenkung minimiert oder gänzlich verzichtbar macht. Die Nutzung von Flexibilitäten, insbesondere auf der Verbrauchsseite, erfordert ein Marktdesign, das Anreize über Preissignale setzt.
Dies wird zukünftig wichtiger, da auf der Verbraucherseite Flexibilitäten entstehen, z. B. Wärmepumpen oder die Ladung von Elektrofahrzeugen. Bestehende Flexibilitäten in Haushalten sowie in Industrie und Gewerbe können am effizientesten mit Preissignalen genutzt werden. Das Marktdesign muss einen langfristigen Anreiz für privatwirtschaftliche Investitionen bieten. Der heutige „Energy-Only-Markt“ (EOM) auf Basis der Merit Order erfüllt diese Voraussetzungen, so ein Fazit aus der e.venture-Studie.
„Sehr wichtig ist, mit der Mär aufzuräumen, dass es möglich ist, nur mit erneuerbarer Stromerzeugung den Strombedarf jederzeit abzudecken. Zudem muss klargemacht werden, dass mit der Erhöhung der erneuerbaren Stromerzeugung die Strompreise langfristig nicht sinken“, erörtert Florian Haslauer abschließend.