Mario Roither schaltet den Computer ein und setzt sich die Virtual-Reality-Brille auf. Vor seinem Bauch hängt eine Steuereinheit für Kranfahrer. Roither lenkt mit diesen Hebeln und Knöpfen einen Ausschub-Kran auf einer virtuellen Baustelle am Bildschirm. Ganz vorsichtig hakt er eine Palette mit Betonsteinen ein und hebt sie auf einen Rohbau hinauf. Wenn er nur ein bisschen zu schnell wird, fängt die Last sofort an zu schwingen. Gefährlich zu schwingen. Aber er beruhigt sie gleich wieder und setzt schließlich die Baustoffe sanft auf der dafür vorgesehenen Plattform ab.
Roither arbeitet als Technology Scout beim Salzburger Kranbauer Palfinger, einem Spezialisten für Knickarm-Kräne. Diese finden sich auf Lkws, in der Forstwirtschaft, auf Ölplattformen, Windparks oder Schiffen. Die gesamte global aufgestellte Gruppe beschäftigt knapp 10.000 Mitarbeiter. In der Produktion spielen bei Palfinger digitale Anwendungen schon länger eine Rolle. Jünger sind diverse Möglichkeiten, virtuelle Realität einzusetzen, im Verkauf, in der Ausbildung, aber auch in der Fertigung. Roither: „Was ich hier zeige, haben wir ursprünglich für den Vertrieb entwickelt.“ Man wollte den Kunden im Verkaufsgespräch die Möglichkeiten der Kräne im praktischen Einsatz vorführen. „Dann haben wir begonnen, damit unsere eigenen Kranfahrer zu schulen. Inzwischen ist es ein Produkt geworden, das wir an Ausbildungsstätten für Kranfahrer verkaufen.“ Der Maschinenbauer, der sonst sein Geld mit schweren Stahlteilen verdient, ist damit auf einmal als Anbieter von Schulungs-Software auf dem Markt.
Tiefer Blick ins Innere
Die VR-Brillen werden aber auch im eigenen Unternehmen zunehmend wichtiger. So gibt es bei Palfinger ein Programm, mit dessen Hilfe ganze Kräne dreidimensional dargestellt werden können, das es aber auch erlaubt, einzelne Teile abzunehmen, tief ins Innere der Maschinen vorzudringen, wie dies in der Realität kaum möglich wäre. „Damit kann man schon in der Planungsphase Fehler vermeiden“, erläutert Roither. „Die Techniker sehen sofort, wenn etwa ein Teil im Weg steht, dann kann man umplanen, lang bevor überhaupt ein Prototyp gefertigt wurde.“
Und auch in der Produktion nutzen die Palfinger-Arbeiter schon dreidimensionale virtuelle Welten. Beim Schweißen komplexer Bauteile tragen sie eine Brille, die ihnen auf dem Werkstück die exakten Schweißpunkte anzeigt. Die Arbeiter müssen nicht mehr zwischen Papier-Plan und Stahlteil hin- und herwechseln. Das reduziert die Fehleranfälligkeit drastisch.
Bei Abweichung blinkt’s
Um präzises und effizientes Produzieren geht es auch im Wiener Produktionswerk für Wasch- und Reinigungsmittel des deutschen Henkel-Konzerns. „Alles, was Sie messen können, können Sie auch steuern“, erklärt Alfred Smyrek, der Betriebsleiter. In den letzten fünf Jahren sind sämtliche Standorte von Henkel in der Produktion mit Sensoren bestückt und datenmäßig verknüpft worden. Smyrek ist in Wien nicht nur für seine eigene Produktion zuständig, sondern für insgesamt elf „Linien“ von Wasch- und Reinigungsmitteln. Dazu gehören im Verbund von Henkel Central Eastern Europe auch Werke in anderen Ländern, etwa in Serbien oder in der Slowakei. An der Wand von Smyreks Büro hängt eine elektronische Anzeigetafel mit roten und grünen Zahlen. Wer jemals in einem Auto-Montagewerk war, kennt diese Tafeln: Die Zahlen zeigen in Echtzeit den Stand der Produktion an: Soll und Ist. Was sollte unter idealen Bedingungen derzeit hergestellt und abgefüllt werden? Wo liegen die Linien auf Kurs? Wo gibt es Verzögerungen oder Probleme? Auf europäischer Ebene findet sich eine größere derartige Anzeigetafel noch einmal. Henkel steuert seine Fabriken von einer Zentrale in Amsterdam aus, und dort blinkt es 28 Mal grün und rot. Sobald sich herausstellt, dass es in einem Werk ein gröberes technisches Problem gibt, können die niederländischen Manager die Produktion von diesem in ein anderes verlagern, auch in ein anderes Land.
Die Datenfülle aus den Sensoren in den Produktionsanlagen wird in mehrerlei Hinsicht ausgewertet. Smyrek: „Erstens einmal ist die Qualität der Produkte noch verlässlicher als früher.“ Dann lässt sich die Wartung der Maschinen leichter planen, man kann vorhersehen, wann gewisse Teile getauscht werden sollten. Und auch bei Kosten, an die man vielleicht zunächst nicht gedacht hatte, lässt sich noch etwas herausholen. Smyrek: „Der Strommarkt ist europaweit im Umbruch. Es wird viel kurzfristig auf Strombörsen gekauft. Je genauer man seinen Verbrauch vorher planen kann, umso günstiger lässt sich Strom einkaufen.“
Eigenes Daten-Start-up
Mit riesigen Datenmengen hat auch David Moosbrugger zu tun. Er ist Geschäftsführer für Technik und Innovation beim Vorarlberger Kranbauer Künz. Dieser hat sich vor allem auf große Kräne für Häfen oder Container-Terminals spezialisiert, ob in Wolfort, Wien, Hamburg oder Vancouver. 500 Männer und Frauen arbeiten für das Unternehmen in Österreich und in mehreren internationalen Tochterfirmen. „Die Daten waren schon da. Wir haben sie nur nicht in unsere Büros bekommen“, sagt Moosbrugger. Jetzt werden diese von den Kränen bei ihrer täglichen Arbeit gesammelt sowie überspielt. Und diese Daten sind äußerst aussagekräftig, zunächst einmal für den reibungslosen laufenden Betrieb und später für die Konstruktion künftiger Generationen von Maschinen. „Der Engpass lag einerseits bei den Übertragungsgeschwindigkeiten im Internet“, so Moosbrugger, „anderseits hat es, als wir mit unserem Projekt begonnen haben, noch keine Cloud-Lösungen gegeben wie heute.“
Der Vorarlberger Manager spricht damit ein eigenes Start-up-Unternehmen an, das Künz gemeinsam mit dem Vorarlberger Anlagenbauer Schelling ins Leben gerufen hat: Senseforce. Worum geht es dabei? Moosbrugger: „Bisher haben wir mit unseren Service-Mitarbeitern immer nur reagieren können: Wenn ein Fehler passiert, dann kann man ihn suchen und beheben. Und oft entsteht aus einem kleinen Fehler schnell ein größerer Schaden.“ Mit dem neuen System werden die Künz-Techniker bereits alarmiert, wenn es irgendwo bloß kleine Unregelmäßigkeiten gibt. „Damit kann man schon eingreifen, bevor es überhaupt zu einem Fehler oder Ausfall kommt.“
Lernen für die nächsten Modelle
Dann überprüfen die Techniker, ob diese Unregelmäßigkeiten nur einen einzelnen Kran betreffen oder eventuell eine ganze Serie. Zunächst einmal kann wieder vorausschauend eingegriffen werden. Wenn sie eine Systematik erkennen, wird das Bauteil ausgetauscht. Die Erfahrungen sollen aber auch gleich in die nächsten Modellgenerationen einfließen. Moosbrugger denkt etwa daran, dass man eventuell künftig mit etwas kleineren Motoren dieselben Aufgaben erfüllen könnte. Die Daten zeigen nämlich bisher, dass die derzeit installierten großen Kapazitäten im Normalbetrieb gar nicht abgerufen werden.
Die Lösung, basierend auf Big-Data-Aufzeichnungen, Cloud-Speichern und Interpretation im Haus, wird von Senseforce inzwischen am Markt auch anderen Maschinenbauern angeboten. Moosbrugger: „Wir hätten diese Lösung zugekauft, wenn es sie fertig gegeben hätte. Das war nicht möglich, also haben wir sie selbst entwickelt. Wir Mittelständler werden uns künftig international gegenüber den großen Konzernen nur behaupten können, wenn wir unsere Kräfte bündeln.“