War’s das? Vierzehn Monate nach dem ersten Lockdown im März 2020 kehrt jetzt die Zuversicht zurück. „Wir sind in der Zielgeraden des Pandemie-Marathons“, sagt Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV) im Fakt & Faktor-Gespräch. Tatsächlich hellen sich Stimmungslage und Konjunkturprognosen zunehmen auf.
Die Krise geht, die Herausforderungen bleiben. Wie kann die heimische, stark exportorientierte Wirtschaft am Aufschwung partizipieren? „Um das Wachstum in Europa und Österreich zu stärken, müssen wir Exzellenz in den entscheidenden Zukunftsfeldern anstreben: Qualifizierung, Digitalisierung und Innovation“, sagt Knill. Diese Forderung ist Teil einer umfassenden „Industriestrategie“ – einem Destillat aus Inputs von mehr als 900 IV-Mitgliedsunternehmen.
Das Papier soll als Leitfaden für den Neustart dienen. Denn der Handlungsbedarf auf nationaler und internationaler Ebene ist nicht kleiner geworden. Die Unternehmen fordern spürbare Entlastungen. Gleichzeitig ist Europa insgesamt gefordert, um im globalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Das Rennen gewinnt am Ende der Schnellere, nicht der Größere“, sagt Knill. Die Erleichterung über das Ende massiven Corona-Einschränkungen ist ihm anzusehen. Die Vorfreude auf den Neustart ebenfalls.
Wie hat die Pandemie Ihren beruflichen Alltag verändert?
In ungewohnter Weise intensivst. Ich bin doch gewohnt, viel zu reisen und in der ganzen Welt unterwegs zu sein. Im letzten Jahr aber gab es keine einzige Auslandsreise. Auch im persönlichen Austausch hat man sich stark einschränken müssen. Stattdessen gab es viel mehr Zeit vor dem PC und in Videokonferenzen. Somit war es schon eine massive Veränderung.
Welche Lehren kann man aus der Krise ziehen?
Die Pandemie hat eindrucksvoll gezeigt, wo die Schwachstellen sind. Ich denke da jetzt an das große Thema der Digitalisierung. Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie notwendig Digitalisierung ist und wie viel wir hier noch zu tun haben. Jetzt gilt es, diese Schwachstellen zu beheben, aber auch an unseren Stärken weiterzuarbeiten, zum Beispiel der Innovationskraft, die das Ureigenste der österreichischen Industrie ist. Gepaart ergeben sich daraus sicher viele neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen, mit denen wir weltweit reüssieren können.
Die Fördermaßnahmen des Bundes haben enorme Löcher ins Budget gerissen. Können Sie angesichts des Defizits als Industriepräsident und Unternehmer eigentlich noch gut schlafen?
Absolut. Das Konjunkturunterstützungspaket der Bundesregierung in der Höhe von insgesamt 50 Milliarden Euro war ein wirkungsvolles Paket, um gut durch diese Krise zu kommen. Durch das Instrument der Kurzarbeit konnten 1,3 Millionen Menschen in Beschäftigung gehalten werden. Die Investitionsprämie – zunächst eine Milliarde, dann drei Milliarden und jetzt auf fünf Milliarden Euro aufgestockt – , mit der Investitionen mit sieben bis 14 Prozent unterstützt werden, löst Investitionen von 55 Milliarden Euro aus. Es sind richtige Instrumente, um schnell und gestärkt aus dieser Krise zu kommen. Jetzt, wo die Krise hoffentlich hinter uns ist, gilt es aber sehr wohl wieder, die Maßnahmen sukzessive zurückzunehmen und marktwirtschaftliche Grundprinzipien wieder wirken zu lassen. Und natürlich muss sich der Staat jetzt wieder auf seine eigentlichen Aufgaben fokussieren – und sich in Richtung eines Konsolidierungspfads orientieren.
Aber wie soll das gelingen? Höhere Steuern lehnen Sie ja ab.
Wir werden uns die Kosten dieser Krise über investitionsgetriebenes Wachstum wieder zurückverdienen können. Gepaart mit Effizienzmaßnahmen in der Verwaltung, kann dieser Kurs sehr gut gelingen. Das haben die Erfahrungen aus den letzten Krisen und die Konsolidierungen auch gezeigt. Und wir haben ja bereits eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten in ganz Europa. Deshalb wurde im Regierungsabkommen ganz klar festgehalten, dass es einen Senkungspfad Richtung der 40 Prozent bei Abgaben- und Steuerquote geben soll.
Weltweit wird ein Wirtschaftswachstum von 6,6 Prozent prognostiziert. Kann Österreich daran partizipieren?
Vor allem die österreichische Industrie, die stark exportorientiert ist, partizipiert an diesem globalen Aufschwung überproportional mit. Wir haben volle Auftragsbücher. Somit sind wir als Industrie gut aufgestellt. Wir gehen von einem nationalen Wachstum zwischen 2,5 und 3 Prozent aus.
Kann der latente Fachkräftemangel zur Wachstumsbremse werden?
Die Corona-Krise ist zeitlich hoffentlich begrenzt, die Bildungskrise hatten wir schon davor – und wir haben sie definitiv auch jetzt im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Schon 2019 war der Fachkräftemangel ein limitierender Faktor für ein weiteres Wachstum. Und wir sind jetzt wieder kurz davor. Obwohl wir eine sehr hohe, eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit haben, können wir aktuell mehrere tausend Stellen in der Industrie nicht besetzen. Daher ist diese Transformation, von der wir immer sprechen, vor allem im Bereich der Digitalisierung, Technologisierung und Automatisierung so wichtig.
Besteht die Gefahr, dass wir aus einer Corona-Krise in eine Bildungs- beziehungsweise Ausbildungskrise schlittern?
Die Industrie hat sich weiterentwickelt. Daher ist es so wichtig, dass wir uns auch im Bildungsangebot weiterentwickeln. Da hat sich leider zwischen Angebot und Nachfrage ein eklatantes Miss-Match aufgetan. Das gehört ausgeglichen. Daher fordern wir auch eine Fachkräfteagentur, die sich strategisch mit diesen Themen auseinandersetzen soll. Was sind die Bedürfnisse seitens der Wirtschaft, der Industrie und was haben die UnternehmerInnen selbst dafür zu leisten? Wie steht es um das Bildungsangebot und welche Reformen sind hier notwendig? Und wie sieht es am Arbeitsmarkt aus und was hat diesbezüglich das AMS zu tun? Diese drei Stakeholder müssen bestmöglich miteinander vernetzt werden, um daraus Strategien abzuleiten. Das wäre wichtig, um das Fachkräftethema besser in den Griff zu bekommen.
Das klingt in der Endausbaustufe aber nach mehr Bürokratie …
Genau das soll es nicht sein. Aber die Komponente „Bildung“ gehört verstärkt und mit der Frage abgestimmt, welche Qualifikation Jugendliche morgen brauchen. Daher ist es so wichtig, dass der gesamte Bildungsbereich – von der Elementarstufe bis zur Universität – berücksichtigt und im erweiterten Gremium einer Fachkräfteagentur abgestimmt wird.
Diese Krise hat sehr deutlich vor Augen geführt, was Globalisierung wirklich bedeutet, nämlich globale Lieferketten, denen man entweder ausgeliefert oder von denen man zumindest sehr stark abhängig ist. Was nimmt man damit, um gegen künftige Verwerfungen dieser Art gerüstet zu sein?
Die Krise hat deutlich gemacht, was Globalisierung bedeutet, was sie kann oder eben auch nicht leisten kann. Die österreichische Industrie ist global vernetzt, und natürlich gibt es immer wieder sensible Bereiche – Beispiel Suezkanal – , die uns bewusst gemacht haben, wie viele Waren tagtäglich auf den Ozeanen dieser Welt in alle Richtungen verschifft werden, wie vernetzt Produkte heute hergestellt werden. Das ist Globalisierung. Am Ende hat es einen Mehrwert für die KonsumentInnen. Aber natürlich werden jetzt Überlegungen angestellt, um diese Abhängigkeiten reduzieren zu können. Was kann man europäisch gestalten? Was ist hier systemrelevant? Was sind kritische Infrastrukturthemen? Diese Überlegungen sind legitim. Wie sehr sie aber dann entsprechend den Marktmechanismen – wie Preis, Qualität, Verfügbarkeit etc. – auch funktionieren, wird sich weisen. Das ist schon wahrscheinlich auch der Unterschied zwischen politischem Wunschdenken und Marktwirtschaft in der Realität.
Ein Thema, das vor der Corona-Krise schon da war und nach der Krise erhalten bleibt, ist die Klimaschutz-Debatte. Es gibt seitens der EU und auch von Österreich definierte Ziele. Sind die schaffbar?
Es sind extrem ambitionierte Ziele. Vielen PolitikerInnen, die sich das so einfach am Papier oder am Sitzungstisch ausmachen, wie viel Prozent mehr oder weniger erreicht werden müssen, ist oftmals nicht bewusst, was es in der Realität bedeutet. Nämlich diese Schritte auch wirklich umzusetzen, ohne dass es zu Verwerfungen kommt. Daher ist bei diesen Themen immer ein gewisser Realitätssinn notwendig. Man kann sich vieles wünschen, man muss aber immer auch so weit mitdenken, ob es sich auch tatsächlich umsetzen lässt. Daher plädieren wir für eine Klimavernunft, damit man sich nicht Ziele setzt, die nicht realisierbar sind. Damit wäre dem Klima nicht geholfen, dem sozialen Frieden nicht geholfen und dem Wohlstand in diesem Land nicht geholfen. Nachhaltigkeit in allen diesen drei Facetten ist Gebot der Stunde.
Und was kann die Industrie beitragen, um die Klimaschutzziele zu erreichen?
Die österreichische Industrie hat in den letzten Jahrzehnten nicht geschlafen. Wir haben heute die mit Abstand umweltfreundlichste Produktion weltweit. Nirgendwo sonst auf der Welt werden Stahl, Zement, Papier und sonstige Güter so CO2-arm produziert wie in Österreich – dank enormer Investitionen und vor allem dank technologischer Innovationen in den Produktionsverfahren und -prozessen. Die Ziele bis 2040 können wir schaffen, wenn die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen dazu schafft und vor allem diesen Wandel auch mit finanzieller Unterstützung begleitet. Denn für neue Technologien, die heute noch nicht ausreichend entwickelt sind, die wir aber benötigen, um wirklich CO2-frei produzieren zu können, bedarf es noch intensiver Forschungsaktivitäten. Das kostet richtig viel Geld. Diese Transformation muss die Politik begleiten, um auch weiterhin eine österreichische Industrie, eine klimafreundliche Produktion in unserem Land und damit Arbeitsplätze zu halten.
Eine „Begleitung der Politik“ heißt Fördergelder?
Es bedeutet, dass es eine Begleitung in Form von schnellen Verfahrensgenehmigungen gibt, wenn wir jetzt beispielsweise vom Erneuerbaren Ausbaugesetz sprechen. Wenn wir in den nächsten neun Jahren 27 Terrawattstunden durch neue Energieträger haben möchten, brauchen wir nämlich schnellere Genehmigungsverfahren für Wasserkraftwerke, Windräder und Photovoltaikanlagen. Es braucht aber eben auch finanzielle Unterstützung – ja! Denn ohne finanzielle Unterstützung wird uns diese Transformation nicht gelingen. Und es kann nicht im Interesse nachhaltiger Politik sein, wenn wir Wirtschaft aus Österreich vertreiben, diese sich woanders ansiedelt oder anderswo – deutlich umweltschädlicher – produziert.
Weniger Staat zu fordern, wenn es um Vorschriften und Bürokratie geht, aber nach staatlicher Hilfe rufen, wenn es darum geht, Förderungen zu lukrieren: Macht man es sich da nicht zu einfach?
Nein. Die Industrie könnte es sich einfach machen und sagen: Okay, wenn das die Rahmenbedingungen sind, wenn das die Standortbedingungen sind, dann werde ich entscheiden, bleibe ich hier, gehe ich woanders hin, baue ich die Jobs woanders auf, baue ich sie hier ab. Nicht so zu handeln, ist eben auch unternehmerische Verantwortung, die wir hier wahrnehmen – nicht nur für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern für die Region, für die Gesellschaft. Somit ist es sehr wohl legitim zu sagen: Wenn die Politik, wenn die Gesellschaft eine Klimaneutralität bis 2040 haben möchte, dann muss sie auch bereit sein, diese Transformation zu unterstützen. Somit ist es auch legitim, dafür Förderungen zu verlangen.
Was bleibt von dieser Krise? Was bleibt von den Veränderungen?
Die Industrie hat immer wieder Krisen durchlebt. Doch diese Krise im Ausmaß und der Länge etwas Besonderes. Was wir lernen, ist Resilienz zu erzeugen. Krisensicher zu werden. Wir lernen aber auch, dass Innovationskraft ganz wesentlich ist und es immer die Geschwindigkeit ist, die schlussendlich zählt. Das Rennen gewinnt am Ende nicht der Größere, sondern der Schnellere. Somit bin ich überzeugt, dass die österreichische Industrie gut aufgestellt ist, um an diesem globalen Aufschwung, den wir alle sehen, teilhaben zu können.
GUT ZU WISSEN
- Georg Knill ist seit Juni 2020 Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung.
- Davor war er seit 2016 Präsident der Industriellenvereinigung Steiermark.
- Georg Knill (48) ist geschäftsführender Gesellschaft der Knill-Gruppe.
Autor: Klaus Höfler
Ersterscheinung: faktundfaktor.at