Insgesamt 116 Einkaufstage in vier Lockdowns mussten die Non-Food-Händler in Wien und Niederösterreich seit Ausbruch der Corona-Pandemie bereits geschlossen halten, im Burgenland waren es 104, in den sechs anderen Bundesländern 90 verlorene Einkaufstage. Allein die Umsatzverluste des Handels während der “Osterruhe” in Ostösterreich belaufen sich auf fast zwei Milliarden Euro. Weniger als ein Viertel davon wird von den Konsumentinnen und Konsumenten nach der Wiedereröffnung nachgeholt werden. Mittlerweile stehen im heimischen Non-Food-Handel zehntausende Jobs auf der Kippe. Jedes zehnte Geschäft musste seinen Betrieb bereits einstellen, die Hälfte der verbliebenen Händler hat Existenzängste. Je kleiner der Betrieb, je weniger digital und je abhängiger vom Tourismus, desto dicker das Minus.
Angesichts dieser horrenden Zahlen höre ich immer öfter die Frage, ob denn der stationäre Handel ein Auslaufmodell sei. Meine Antwort? Nein, denn fast 90 Prozent der Umsätze im österreichischen Handel werden nach wie vor auf der Fläche erwirtschaftet, ein Zehntel im E-Commerce. Den stationären Handel wird es auch in zehn Jahren noch geben, er wird nur viel stärker auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sein, Stichwort Customer Centricity. Meine Vision für den Handel der Zukunft ist Einkaufen als Erlebnis, Shopping mit Wow-Effekt. Die sozialen Aspekte des Einkaufs werden im Post-Corona-Zeitalter wieder stärker in den Fokus rücken, denn das kann der Onlinehandel nicht bieten. Wir Konsumenten wollen nicht den ganzen Tag vor dem Screen sitzen, wir wollen die Abwechslung, beispielsweise die angenehme, entspannende Atmosphäre einer Boutique. Gleichzeitig schätzen wir die Schnelligkeit und Convenience des Online-Shopping. Daher braucht es künftig das Beste aus beiden Welten, was wir Omnichannel oder Connected Retail nennen. Spannend ist auch der sog. HALO-Effekt: Schließt ein Händler seine physischen Geschäfte, sinken mittelfristig auch seine Online-Umsätze. Warum? Weil er seine Sichtbarkeit in den Einkaufsstraßen verliert und der Konsument die Marke vergisst.
Unsere jüngste Konsumentenbefragung hat ergeben, dass die direkte Verfügbarkeit der Produkte (21%) sowie die Möglichkeit, das Sortiment live sehen und anfassen zu können (23%), die beiden wichtigsten Faktoren für den Einkauf im stationären Handel sind. Auch die persönliche Beratung (9%), eine angenehme Einkaufsatmosphäre (6%), gutes Service (5%) sowie unkomplizierte Umtauschmöglichkeiten (3%) werden von den Kunden sehr geschätzt. Welche Faktoren können das Einkaufserlebnis im Geschäft noch verbessern? Das beginnt schon bei den Basics, etwa der Lage: je besser das Geschäft zu Fuß, öffentlich oder mit dem Auto erreichbar ist, desto zufriedener die Konsumenten. Auch ein gutes Preis-Leistungsverhältnis oder generell günstige Preise fördern die Kundenzufriedenheit. Ganz entscheidend ist zweifellos das Personal, freundliche, kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können die Wiederkaufwahrscheinlichkeit beträchtlich steigern. Der Faktor Mensch entscheidet, ob aus dem Erstkäufer ein Stammkunde wird.
Natürlich spielt auch die Digitalisierung eine essenzielle Rolle
Wir empfehlen unseren Händlern, ihre Geschäfte digital aufzuladen bzw. zu digitalen Schmuckstücken auszubauen. Im Ladenbau können sinnvolle digitale Elemente integriert werden, etwa digitale Preisschilder, Smart Mirror, eine digitale Regalverlängerung, Augmented Reality-Anwendungen, Social Media-Integration oder Live Shopping. Der Trend geht in Richtung Webshop als digitales Abbild der vertrauten Filiale. Der Konsument will den Lagerbestand kennen, ohne hinfahren zu müssen. Und verlässliche Öffnungszeiten, um keinen Weg umsonst zu machen. Beratung? Telefonisch mit Click-to-Call direkt in die Filiale. Dieses Bild zeichnet auch unser Omnichannel Readiness Index. Es zeigt sich jedoch ein großes Delta zwischen Kundenwunsch und Wirklichkeit: 81 Prozent der Konsumenten wünschen sich, im Webshop nach Produkten filtern zu können, die in einer bestimmten Filiale verfügbar sind. Das offerieren nur 13 Prozent der Händler. Ähnlich verhält es sich mit der Funktion, im Onlineshop Fragen zu einem Produkt stellen zu können – das bieten nur 11 Prozent der Händler an. Im Kern geht es um ein kanalübergreifendes Zusammenspiel von Webshop und stationärem Geschäft. Die Corona-Krise befeuert diesen Trend, da der Wunsch nach regionalen Produkten gleichermaßen zunimmt wie die Lust auf Onlineshopping. Mittlerweile werden zwei Drittel der stationären Umsätze in Österreich digital beeinflusst. Dieser Wert nimmt jetzt in der Krise weiter zu, da auch ältere Zielgruppen im Lockdown digital-affiner geworden sind.
Eines wird definitiv bleiben:
Der Kunde will das Produkt riechen, schmecken, sehen, angreifen, genießen… das schafft nur eine physische Filiale, das kann nicht rein online vermittelt werden. Trotz aller Verwerfungen aufgrund der Digitalisierung und aktuell durch Corona bleibe ich zuversichtlich: Wenn wir den Mut haben, Strukturen, Produkte und Geschäftsmodelle neu zu denken und zu verändern, werden wir nicht nur die Pandemie überstehen, sondern auch eine positive Zukunft gestalten.