Österreichs Position im Pressefreiheitsindex verschlechtert sich weiter

Pressefreiheit wird von denjenigen bedroht, die sie eigentlich garantieren sollten – den politischen Behörden.
© Miel Satrapa
Österreichs Position im Pressefreiheitsindex verschlechtert sich weiter
Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich.

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“74,69 Punkte und damit nur mehr Platz 32 sind das bittere und bisher schlechteste Ergebnis, welches Österreich im international vergleichenden Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen zur Kenntnis nehmen muss”, bilanziert Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich.

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Wertewandel innerhalb der Politik

Zwei Jahre nach der Einführung der neuen Methodik der Ermittlung des Zustandes der Pressefreiheit bleibt die Position Österreichs besorgniserregend und die Punktzahl sinkt kontinuierlich. Wie weltweit vielerorts zu beobachten ist, war das letzte Jahr auch in Österreich geprägt von einer zunehmend aggressiven Stimmung gegenüber Medienschaffenden und den journalistischen Medien.

Im Gegensatz zu früheren Jahren, in denen vor allem inmitten der Corona-Pandemie Angriffe aus der Gesellschaft zu verzeichnen waren, die das Vertrauen in die freie Presse verringerten, traten 2023 vermehrt Politiker:innen auf den Plan, um sich gegen Journalist:innen zu positionieren.

„Eine zunehmend besser funktionierende Justiz leuchtet hochproblematische enge Verhältnisse und mutmaßlich korrupte Vorgänge zwischen der Regierungspartei ÖVP und etlichen großen Medien sehr deutlich aus. Ebenso untersucht die Justiz jetzt auch die Rolle der FPÖ bei möglicher Inseratenkorruption. Kein Wunder also, dass ÖVP und FPÖ verstärkt Druck auf kritischen Journalismus ausüben“, verdeutlicht der Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich.

Pressefreiheit und mediale Vielfalt

Die inzwischen auch vom Verfassungsgerichtshof als zu regierungsnahe bestellten Gremien des öffentlich-rechtlichen ORF hat die regierende Medienpolitik bisher nicht saniert. Ganz im Gegenteil – laut Fritz Hausjell wird seit vielen Monaten, von Seiten der Regierung, immer intensiver über ein Zitierverbot aus Erhebungsakten der Justiz gesprochen, um künftig Transparenz durch Journalismus zu verhindern.

„Hinzu kommt die schon ohnehin sehr geringe Angebotspalette an Tageszeitungen, die von 14 auf nur mehr 12 Titel reduziert wurde, weil die Regierung ohne Not die „Wiener Zeitung“ und die ÖVP ihre Parteizeitung „Neues Volksblatt“ eingestellt haben. 2023 war also gar kein gutes, sondern explizit ein ziemlich schlechtes Jahr für Vielfalt, Stärke und Unabhängigkeit des Journalismus in Österreich“, ergänzt Fritz Hausjell.

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Ranking und Situation Weltweit
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In der EU liegt Österreich damit bereits hinter 16 Mitgliedstaaten und nur mehr vor 10 EU-Mitgliedsländern.

Es ist keine Überraschung, dass Österreich, das im Gesamtscore um 2,61 Punkte gefallen ist, den größten Punktabzug mit 8,84 Punkten im gesellschaftlich-kulturellen Kontext verzeichnete, aber mit minus 5,02 Punkten im politischen Kontext den zweitgrößten Verlust erlitt.

Physische und psychische Angriffe

Auch physische Angriffe waren zu verzeichnen, wie der Fall eines Reporters zeigt, der während seiner Berichterstattung über eine Veranstaltung einer Partei von einem Sicherheitsmann in den “Schwitzkasten” genommen und abgeführt wurde.

Darüber hinaus wurden Medienschaffende vermehrt öffentlich diskreditiert und beschimpft, was fast zum Alltag wurde. Diese Angriffe untergraben das Vertrauen in journalistische Medien, denen allerdings in der Demokratie wesentliche Aufgaben zufallen.

Es ist nicht verwunderlich, dass Teile der Bevölkerung diesem Trend folgen, ermutigt durch die Wahrnehmung, dass Medienschaffende oft ohne jegliche Konsequenzen öffentlich angeprangert und geschmäht werden können. Insbesondere in sozialen Medien geraten Journalist:innen unter “Beschuss” und werden – mitunter verstärkt wegen ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts – verbal angegriffen. Freie Berichterstattung wird so durch Selbstzensur aus Selbstschutz mitunter verringert.

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„Im letzten Jahr verstärkte sich die aggressive Stimmung gegenüber Medienschaffenden, unterstützt von Politikern. Physische Angriffe, öffentliche Diskreditierung und Einschüchterungsklagen zeigen die Einschränkungen für journalistische Arbeit“, konstatiert Julia Herrnböck, Vizepräsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich.

SLAPP-Klagen

Neben persönlichen Angriffen seitens der Politik haben auch im letzten Jahr SLAPP-Klagen als ein neues Mittel der Einschüchterung wieder für Bedrohung gesorgt. „SLAPP“ ist ein Akronym für eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, die den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden.

Immer mehr Journalist:innen und Medienunternehmen sehen sich mit dieser bedrohlichen Taktik konfrontiert.

„Dringend sind Maßnahmen erforderlich, um dieser bedrohlichen Entwicklung entgegenzuwirken“, informiert Julia Herrnböck.

Systemische Destabilisierung

Die Schließung von “Wiener Zeitung” und “Volksblatt” und die damit einhergehende weitere Konzentration des Marktes haben die wirtschaftliche Lage des Journalismus weiter verschlechtert. Ebenso der Strukturwandel der Werbewirtschaft.

Dass die Punktezahl bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im aktuellen Index nicht noch schlechter ausfällt, ist einzig darauf zurückzuführen, dass die Regierung eine einmalige deutliche Ausschüttung von Fördermittel für bestehende Medien zur Unterstützung der Digitalisierung gesetzt hat. Es werden nicht nur deutlich geringere Unterstützungen folgen, sondern sie werden eigenwillig intransparent vergeben. Auf die mittlerweile sehr geringe Angebotsvielfalt müsste die Medienpolitik eigentlich mit einer Start-Up-Medienförderung antworten.

Die Umstände, dass Österreich nun endlich als letztes EU-Mitgliedsland ein Informationsfreiheitsgesetz erhält, das allerdings im Berichtsjahr noch nicht Rechtsgrundlage für Journalist:innen und andere Bürger:innen war, dass weiters der Verfassungsgerichtshof eine Sanierung des ORF-Gesetzes beauftragt, was zu geringerer Regierungsnähe der zu berufenden ORF-Steuerungsgremien führen soll, haben die Jahresbilanz im rechtlichen Bereich des Pressefreiheitsindexes leicht, um 1,13 Punkte, gestärkt.

Punkto Stärkung der ORF-Unabhängigkeit lässt sich die Regierung allerdings beunruhigend viel Zeit. Dies wird noch beunruhigender, wenn wir über die Grenzen blicken.

„Die aktuellen Ereignisse rund um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Slowakei, die Lage des öffentlichen Rundfunks in Polen und in Ungarn sind unüberhörbare Warnsignale. Reporter ohne Grenzen Österreich hält es daher für geboten, präventive gesetzliche Schritte zu setzen, die eine Fremdbestimmung des ORF ausschließen. Andernfalls wären die Folgen weitreichend: ein drohender Verlust der redaktionellen Unabhängigkeit und die Gefährdung der freien Berichterstattung, weil die innere Pressefreiheit der ORF-Redaktionen ausgehöhlt würde“, erörtert Michael Kerbler, Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen Österreich.

„Wie selten zuvor kommt die Medienfreiheit derzeit von vielen Seiten unter Druck: Kriege bedrohen das Leben und die Tätigkeit von Berichterstatter:innen; einschneidende Veränderungen in der Mediennutzung gefährden die wirtschaftlichen Grundlagen; mit der zunehmenden Polarisierung der öffentlichen Meinung kommt es immer öfter zu Attacken auf korrekte journalistische Arbeit, die zudem einen bald KI-verstärkten Ansturm von Fake-News-Schleudern aufhalten soll. Jetzt müssten alle an der Erhaltung der Freiheit Interessierten aktiv werden: Politiker:innen, die derzeit oft noch der Versuchung erliegen, Medien domestizieren zu wollen, wie auch die Bürger:innen, denen eines nicht immer voll bewusst zu sein scheint, dass es ohne furchtlos freie, die Fakten respektierende Medien, keinen funktionierenden Rechtsstaat und auch keine Demokratie mehr gibt“, erklärt Erhard Stackl, Vizepräsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, abschließend.

https://www.rog.at

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