So beträgt z.B. die Bewertung von Uber aktuell rund 90 und die von Airbnb 35 Mrd. USD; zum Vergleich hier die Marktkapitalisierung der drei wertvollsten österreichischen Unternehmen zum Redaktionsschluss dieser TOP LEADER Premium Online News: Erste Group 14, OMV 17 und (vielleicht ein wenig überraschend) Verbund 27 Mrd. €. (voestalpine: 4 Mrd. €.)
Natürlich beruhen die hohen Bewertungen solcher Start-ups auf Erwartungen künftiger Umsätze und Gewinne, die keineswegs sicher sind. Dennoch ist erstaunlich, wie schnell heutzutage vor allem in der digitalen Wirtschaft Wert entstehen kann. Und so wie das Fabeltier im Mittelalter dank seiner angeblich mystischen Kräfte Sehnsüchte geweckt hat, rätseln heute Investoren, Gründer, Politiker und auch der eine oder andere Top Leader, wie man solche Wundergründungen am besten gleich bei Beginn des Entstehens erkennen oder sogar aktiv herbeiführen kann – wenn möglich, hier bei uns in Österreich.
Betrachtet man „lebende“ Einhörner, fällt auf, dass sie häufig mit innovativen Neukombinationen Märkte schaffen, welche die etablierten Player übersehen haben – so wie eben Uber oder Airbnb. Dann wachsen sie rasant und sichern ihre Marktposition oft über Netzwerkeffekte ab. Weitere Erfolgsfaktoren von Unicorns sind das Erkennen neu entstandener Märkte mit zunächst wenig Konkurrenz, intelligente Innovationen (Technologie, Produkt und/oder Geschäftsmodell) mit einem zumindest zeitweiligen Alleinstellungsmerkmal und ein Managementteam, das eine entschlossene Strategie verfolgt und mit der Dynamik des Wachstums zurechtkommt.
Allerdings ist die Treffsicherheit bei frühzeitiger Bewertung sehr gering. So wächst nicht einmal ein Promille aller durch Risikokapital finanzierten Start-ups weltweit zum Unicorn. Es ist zwar möglich, mit einiger Sicherheit zu erkennen, welche Gründungen keine Chance haben, zum Einhorn zu reifen. Aber eine sichere Positivselektion ist kaum möglich – einfach deshalb, weil disruptive Innovationen definitionsgemäß neu und entsprechend mit Risiken verbunden sind. Man wird also auch hierzulande damit leben müssen, dass Irrtümer auch bei den vielversprechendsten Start-ups unvermeidlich sind …
Made in Austria mit neuem Rekord
Ein Kriterium für eine höhere Wahrscheinlichkeit, mehr Einhörner (auch) in Österreich zu entdecken, scheint erfüllt: Die heimische Gründerszene wächst! Im ersten Halbjahr 2019 gab es jeden Tag 133 (!) Neugründungen und damit um sieben mehr als im Vorjahreszeitraum, gesamt insgesamt 17.297. „Das ist der beste Wert für ein Halbjahr, den wir je hatten, seit es die Statistik gibt“, bestätigt WKÖ-Präsident Harald Mahrer. Das Plus von 5,3 Prozent zum ersten Halbjahr 2018 ist zudem der zweithöchste Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen. (Inklusive „selbstständiger Personenbetreuer“ = meist Pflegepersonal belief sich die Zahl der Gründungen sogar auf 20.668.).
Der Trend zur Selbstständigkeit ist also ungebrochen – und besonders erfreulich ist für Mahrer, dass 44,3% der Unternehmen von Frauen gegründet wurden. Während die Finanzierung potenzieller Einhörner am Anfang jedoch meist noch leicht möglich ist, kann es vor allem in der wichtigen, darauffolgenden Wachstumsphase zu finanziellen Engpässen kommen. „Da haben wir in Österreich einen gigantischen Nachholbedarf“, erklärt Mahrer. „Österreich ist traditionell ein klassisches Fremdkapital- und kein Eigenkapitalfinanzierungsland.“ Auch potenzielle Einhörner finanzieren sich also noch immer vor allem über klassische Bankkredite und weniger über privates Investorenkapital. Deshalb hofft Mahrer übrigens auch, dass die kommende Regierung für kleinere Unternehmen – nicht notwendigerweise „nur“ für Gründer – „etwas im Investitionsbereich macht“. Dies kann aus Sicht des WKÖ-Präsidenten sowohl über Freibeträge oder geänderte Abschreibungsregeln für geringfügige Wirtschaftsgüter als auch über eine steuerliche Attraktivierung von Investitionen von außen geschehen. Aber das ist eine andere Geschichte …
Einhorn im deutschsprachigen Raum
Zurück zur Suche nach österreichischen Einhörnern. Ein ganz wichtiger Player auf dem heimischen Markt ist die startup300 AG, die seit einem Jahr an der Wiener Börse (am Dritten Markt) gelistet ist. startup300 wurde im Jahr 2015 von Michael Eisler, Bernhard Lehner und 86 Business Angels, darunter Hansi Hansmann (mehr über ihn siehe weiter unten), Michael Altrichter, Alfred Luger, Markus Ertler sowie Herrmann und Niki Futter, gestartet. Tochterunternehmen von startup300 investieren in Start-ups und startup300 beteiligt sich an strategischen Partnern. Das Unternehmen betreibt mit der factory300 GmbH einen Start-up-Campus in der Linzer Tabakfabrik, begleitet mit der think300 GmbH Unternehmen in der digitalen Transformation und ist Gesellschafter der Talent Garden Austria GmbH, deren erster Campus in Österreich im Jänner 2019 in Wien eröffnet hat.
Mit Österreichs größter mobiler Job-Plattform hokify hat startup300 im Sommer 2019 zumindest die ersten Schritte eines Einhorns ermöglicht. hokify ist aus einem Co-Investment von Michael Altrichter, startup300 und karriere.at entstanden; startup300 hat seine Anteile an den neuen Mehrheitseigentümer karriere.at verkauft. Mit dieser Expansionsfinanzierung will hokify sein Wachstum beschleunigen und sich innerhalb der nächsten Jahre als Marktführer im Fachkräfte-Recruiting für Blue-Collar in Deutschland und Österreich etablieren. hokify zählt bereits Tausende kleinere und mittlere Unternehmen sowie Konzerne wie Lidl, Porsche, Randstad und Spar zu seinen Kunden. „hokify ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Start-up von startup300 profitieren kann“, erklärt startup300-Vorstand Bernhard Lehner. „Gemeinsam haben wir in hokify Know-how, Kapital und ein Netzwerk investiert. hokify entwickelte sich, eine strategische Option wurde für alle Seiten immer spannender, bis schließlich startup300 seine Anteile verkauft und somit der strategische Partner das Staffelholz übernimmt und das Start-up den Markteintritt in einen neuen Markt vorantreibt“ – und somit zum Einhorn in D-A-CH-Gefilden oder vielleicht sogar in Mitteleuropa heranwachsen könnte …
Grenzenlos erfolgreich
Eine „grenzenlose“ Dimension existiert auch für die in Österreich entstandene, paneuropäische Mobile-Payment-Lösung Bluecode, die im Herbst 2019 von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms „KMU-Instrument“ zwei Mio. € an Förderhafer – pardon, an Fördergeld – bekommen hat. „Wir unterstützen mit unserer Lösung die strategische Zielsetzung der EU, volkswirtschaftlich relevante Systeme innereuropäisch zu betreiben und die Abhängigkeit von nicht-europäischen Anbietern zu verringern“, sagt Christian Pirkner, CEO der Blue Code International AG, zu TOP LEADER. Die in der Alpenrepublik patentierte Zahlungslösung Bluecode ermöglicht sicheres Bezahlen via iPhone und Android-Smartphone. Das Unternehmen hortet keine sensiblen Kundendaten, weder der Name des Zahlers noch seine Kontonummer verlassen jemals das Rechenzentrum der teilnehmenden Banken – Bluecode unterscheidet sich damit von allen anderen Anbietern und verfügt über ein europaweites Alleinstellungsmerkmal in einem wichtigen Wachstumsmarkt.
International „graste“ auch das Wiener AdTech-Start-up vloggs.live, und zwar im November 2019 am Web Summit 2019 in Lissabon bei der weltweit größten Konferenz für webbasierte und aufstrebende Technologien und Risikokapital. Im Umfeld zahlreicher Unternehmen der Fortune 500 aus aller Welt und mehr als 70.000 Technologieführern hat vloggs.live dort eine neue Möglichkeit für Online-Werbung präsentiert. Dieses Einhorn in spe versteht sich als technische Schnittstelle zwischen Advertisern, Streamern und Livestream-Plattformen wie Twitch und YouTube und schafft für Werbetreibende die Möglichkeit, mit sponsored Streamings beste Performances zu erzielen. Display-Werbung im Instream-Bereich, wie sie von vloggs.live auf innovative Weise angeboten wird, bietet zahlreiche Vorteile gegenüber derzeit angewandten Werbeformaten wie Pre-Roll-Ads und Mid-Roll-Ads: Anzeigen können nicht geblockt werden, sind weniger invasiv und dadurch weniger störend und können von jedem Streamer und Advertiser angewandt werden. vloggs.live schafft somit einen Mehrwert für die gesamte Anspruchsgruppe am Live-Video-Werbemarkt – und ist inzwischen vielleicht bereits weitere Einhorn-Schritte vorangekommen …
Ebenso wie das Innsbrucker Start-up Secureo, das im Oktober 2019 für die weitere Finanzierung neben dem Bestandsinvestor aws Gründerfonds unter der Federführung der Peak Pride die Haselsteiner Familienprivatstiftung und die VPS GmbH gewonnen hat. Mit dem Online-Verkauf von Digitalzylindern, Alarmanlagen, Tresoren, Zutrittslösungen und weiteren Sicherheitsprodukten verzeichnet das potenzielle Einhorn dreistellige jährliche Wachstumsraten und beliefert mehr als 7.000 Kunden in 48 Ländern. Das zu Beginn eigenfinanzierte Geschäftsmodell ist damit bereits auf dem Weg zum europäischen Marktführer für Online-Sicherheitsprodukte. „Wir können auch Sonderaufträge wie die Lieferung eines zwei Tonnen schweren Tresors auf die Färöer Inseln oder die Montage eines Schließsystems auf einer 2.200 Meter hoch gelegenen Alm professionell abdecken“, verspricht der 27jährige Gründer und strategische Geschäftsführer Richard Leitgeb. Trotz des reinen Onlinefokus konnte Secureo mehrere Großkunden mit bis zu sechsstelligen Auftragssummen lukrieren. Zu den Kunden zählen deutsche Automobilkonzerne, bekannte Fußballvereine sowie große Schiffswerften.
Die Menge macht’s –auch hier
Als bekanntester Business-Angel – also sozusagen „Einhorn-Züchter“ Österreichs – neben Hans Peter Haselsteiner gilt Hansi Hansmann. Er war oder ist an mehr als 70 Unternehmen beteiligt und hat rund ein Viertelhundert Exits begleitet, darunter einige in mehrstelliger Millionenhöhe. Über die Grenzen der Start-up-Welt hinaus bekannt geworden ist er als Investor in der TV-Show „2 Minuten 2 Millionen“. „Wir müssen viel mehr Geld in die Hand nehmen“, nimmt Hansmann die komplette Wirtschaft inklusive ihrer Top Leader in die Pflicht. „Geld wirkt nur dann, wenn man es benutzt. Wir haben so viel Geld, das wir in der Ausbildung und der Innovation einsetzen könnten.“
Allerdings scheint das Herrn und Frau Österreicher im Bereich des Wirtschaftslebens zu riskant zu sein und das ist schade, denn an dieser Stelle nennt Hansmann das Einhorn-Prinzip schlechthin: „Wenn man in Innovation Geld investiert, geht natürlich nicht alles auf. In der Summe ist aber das, was dabei herauskommt, extrem positiv. Ein gutes Beispiel in Europa ist UK, im Speziellen London. In London Shoreditch gibt es 25.000 bis 30.000 Start-ups, es gibt über 100.000 Coworking-Arbeitsplätze. Ich traue mich zu sagen, dass die durchschnittliche Qualität dieser Start-ups niedriger ist als bei uns. Aber die schiere Menge macht es aus, dass immer wieder eines dabei ist, das aufgeht. Und das geht nur, wenn man wirklich viel Geld ausschüttet. In England gibt es Rahmenbedingungen für Risikokapital, von denen wir nur träumen können. Es gibt dort Zigtausende Leute aus der Finanzbranche, die sehr gut verdienen und als No-Brainer jedes Jahr automatisch in Start-ups investieren. Es ist so unglaublich viel Geld da, mehr als eine Milliarde Pfund pro Jahr. Es gibt dort gar nicht genug Start-ups, die müssen aus Resteuropa angelockt werden.“
Bleibt als Resümee für die TOP LEADER Premium Online News: Weiterhin die Einhorn-Babies rechtzeitig erkennen und ihre Entwicklung fördern. Die heimische Wirtschaft muss (noch) mehr Start-ups hervorbringen, die grundsätzliche Chancen auf große Erfolge haben; wichtige Stichworte dazu sind spielerische Annäherung an Entrepreneurship als Karriereoption schon in der Schule, ein breites Wissen über die Methoden und Techniken zur Unternehmensgründung und Interdisziplinarität, Vernetzung von Schlüsseltechnologien wie z.B. Healthcare, Internet of Things und Künstlicher Intelligenz mit unternehmerischen Denken und Handeln.
Und dann müssen wir dafür sorgen, dass diese Start-ups so gute Bedingungen vorfinden, dass sie sich ihrem wahren Potenzial gemäß entwickeln können und weder verhungern noch auswandern müssen. Jede Gründung dieser Art – innovativ, in neuen und schnell wachsenden Märkten, mit einem leistungsstarken und zum Erfolg entschlossenen Gründerteam – ist ein Experiment. Manche werden scheitern, manche werden stagnieren. Aber am wichtigsten ist: Manche werden erfolgreich werden! Und wenn genug Top Leader dieses Experiment wagen, werden langfristig gesehen auch die ersehnten Unicorns dabei sein.
Hinweis an unsere Leser: Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch unser vor Kurzem erschienenes „Jahrbuch der österreichischen Wirtschaft 2020″, wo wir uns im dritten Kapitel, „Wirtschaft in Österreich” (S. 130-185), ausführlich auch mit der österreichischen Gründerszene befassen. Bestellen Sie hier Ihr persönliches Exemplar des TOP LEADER Jahrbuchs: https://top-leader.at/nachbestellen/