Zur Lage der (industriellen) Nation

Frischer Wind für die heimische Industrie.
Biogasanlagen können rasch hochgefahren werden und dadurch Schwankungen im Stromnetz ausgleichen.

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„Ich freue mich, als neuer IV-Präsident gemeinsam mit einem Team hier zu stehen, das sich mit Sabine Herlitschka und Philipp von Lattorff aus Persönlichkeiten zusammensetzt, die fest in der Industrie verankert sind – national wie international.“ So begrüßte der neue Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, bei der „Antrittspressekonferenz“ am 19.6. mit der IV-Vizepräsidentin und Vorstandsvorsitzenden der Infineon Technologies Austria AG, Sabine Herlitschka, und dem IV-Vizepräsidenten und Geschäftsführer der Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co KG, Philipp von Lattorff, anlässlich der Vorstellung des neu gewählten IV-Präsidiums. „Alleine diese beiden Unternehmen stehen für 2,6 Mrd. Euro an Investitionen in Österreich.“

Der neue IV-Präsident betonte zudem den positiven Demokratisierungsschub, den der aktuelle Wahlprozess organisationsintern ausgelöst habe: „Dieser Diskurs ist wichtig. Aber die IV war und ist stets eine geeinte, geschlossene Organisation gewesen und wird daher nun auch die Gestaltung der Zukunft geeint und geschlossen angehen.“ Der Stellenwert der heimischen Industrie könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, „denn sie ist der Garant für Stabilität, ist der Treiber für Innovation und Fortschritt. Sie steht im engeren Sinn für 22 Prozent der nationalen Wertschöpfung und rund eine Mio. Arbeitsplätze, sie steht für Beschäftigung und Wohlstand – dafür setzen wir uns weiter ein.“ Derzeit jedoch stehe Österreich vor der größten wirtschaftlichen Herausforderung der Zweiten Republik. „Wir erwarten heuer einen Wirtschaftsrückgang von rund acht Prozent. Daher brauchen wir jetzt ein starkes, wirkungsvolles Krisenmanagement. Erste Maßnahmen wurden bereits gesetzt, weitere müssen im zweiten Halbjahr folgen – national wie international“, stellte Knill klar.

Der neue Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill.

Auf nationaler Ebene gelte es dabei , den Wirtschaftsstandort bestmöglich abzusichern. „Wir müssen rasch die richtigen Schritte setzen, um den Konsum zu stärken, Kosten zu senken und Kapital zu sichern.“ Konkret bedeute das u.a. neue Maßnahmen bei der Kurzarbeit, Entlastungen bei den Lohnnebenkosten und die Senkung der Körperschaftsteuer auf 21% sowie eine Stärkung des Eigenkapitals von Betrieben.

Beim Thema Digitalisierung habe Corona zwar „einen Schub“ bewirkt, aber Österreich müsse hier „vom Mittelmaß ins Spitzenfeld vorstoßen“. „Wachstum und Effizienz sind die Stellschrauben für den Weg aus der Krise. Wir müssen daher Input und Output in ein besseres Verhältnis bringen – sei es in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitsbereich, in der Bildung oder im Pensionssystem. Nur so kommen wir – gemeinsam mit einer starken Industrie – aus der Krise. Als exportorientierte Volkswirtschaft brauchen wir wieder ungehinderten Zugang zu unseren Märkten, wir brauchen wieder Reisefreiheit – in Europa wie auch international. Wir brauchen ein starkes Europa für ein erfolgreiches Österreich.“

Mit den Besten messen

IV-Vizepräsident Philipp von Lattorff betonte ebenfalls den hohen Stellenwert von ­Forschung und Innovation: „Das sichert Österreichs Wohlstand, Arbeitsplätze und damit den sozialen Frieden. Die Industrie trägt maßgeblich dazu bei. Immerhin leistet sie rund die Hälfte aller Investitionen in diesem für die heimische Wettbewerbsfähigkeit so entscheidenden Bereich.“

Österreichs Ziel müsse es aber sein, ins Spitzenfeld zu kommen. „Unsere Forschungsquote sollte bis 2030 auf mindestens vier Prozent des BIP steigen – derzeit liegen wir bei nur 3,19 Prozent“, forderte von Lattorff. „Wir brauchen eine Top 3-Platzierung im Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission. Derzeit liegt Österreich nur auf Platz 11. Und wir müssen bis 2022 die Weichen für mehr Technikgraduierte stellen, denn wir brauchen Mitarbeiter mit den bestmöglichen Qualifikationen.

Industrie-Abschwung verlangsamt sich erneut deutlich

Die schrittweise Entspannung der Industriekonjunktur in Österreich nach dem abrupten Einbruch durch den Lockdown im März setzt sich per Ende Juni fort. „Der UniCredit Bank Austria EinkaufsManagerIndex stieg im Juni auf 46,5 Punkte. Damit erreicht der Indikator den höchsten Wert seit dem Beginn der Corona-Krise. Allerdings wird die Schwelle von 50 Punkten, ab der Wachstum signalisiert wird, vorerst weiter unterschritten“, sagt UniCredit Bank Austria Chefökonom Stefan Bruckbauer. Unsere Industrie befindet sich demnach erkennbar auf dem Wege der Besserung, hat allerdings aus dem Lockdown noch nicht auf einen Wachstumspfad zurückgefunden. Der stark exportorientierten heimischen Industrie fehlt insbesondere die Nachfrageunterstützung aus dem Ausland.

Die schrittweise Entspannung der heimischen Industriekonjunktur setzt sich weiter fort.

„Der Anstieg des vorläufigen Einkaufsmanagerindex für die verarbeitende Industrie in der Eurozone auf 46,9 Punkte im Juni zeigt, dass sich das Exportumfeld für Österreich etwas entspannt hat. Jedoch sinkt –  wenn auch langsamer als in den Vormonaten – die Industrieproduktion der wichtigsten Handelspartner Österreichs erneut. Insbesondere die deutsche Industrie präsentiert sich trotz des Anstiegs des Einkaufsmangerindex auf 44,6 Punkte noch schwach. Dagegen versprüht das erstmalige Überschreiten der Wachstumsschwelle des französischen Indikators seit Jänner Optimismus“, so Bruckbauer.

Geringster Produktionsrückgang seit Februar

Während einerseits der schwierige Start der deutschen Industrie aus dem Lockdown den österreichischen Produktionssektor belastet, besteht andererseits aufgrund der etwas früheren Öffnung der heimischen Wirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern ein kleiner Startvorteil. Diese Diskrepanz schlägt sich in der unterschiedlichen Entwicklung der Auftragseingänge aus dem In- bzw. Ausland nieder. „Der Produktionsindex stieg im Juni auf 45,9 Punkte. Die Produktionsrückgänge fielen somit in Österreich deutlich niedriger als in den vorangegangenen drei Monaten aus, da auch die Auftragseingänge spürbar geringer abnahmen als davor. Das inländische Neugeschäft zeigt sich dabei mittlerweile den zweiten Monat in Folge deutlich robuster als die Nachfrage aus dem Ausland“, sagt UniCredit Bank Austria Ökonom Walter Pudschedl.

Der Exportauftragsindex blieb trotz eines Anstiegs auf 37,0 Punkte im Juni klar hinter dem Index für die gesamten Neuaufträge von 43,2 Punkten zurück. Angesichts der weiterhin schwachen Nachfrage nahmen die Auftragspolster der heimischen Betriebe trotz der Produktionsrücknahme ab, wenn auch mit deutlich geringerem Tempo als in den vergangenen drei Monaten. Die Anzahl der Neuaufträge war im Juni aber somit erneut geringer als die Anzahl der ausgeführten Aufträge.

Die heimischen Betriebe haben im Juni in Anpassung an die geringeren Produktionserfordernisse den Stellenabbau fortgesetzt. Der Beschäftigungsindex hat sich jedoch das zweite Mal in Folge verbessert und erreicht mit 44,1 Punkten mittlerweile den höchsten Wert seit Februar. Das Tempo des Beschäftigtenrückgangs gegenüber dem Vormonat hat sich somit erneut verlangsamt. „Seit dem Beginn der Corona-Krise sind in der österreichischen Industrie viele Jobs verloren gegangen. Durch die starke Ausnutzung der Kurzarbeitsregelung zeigt sich der Arbeitsmarkt der Industrie im Vergleich zur Gesamtwirtschaft jedoch deutlich robuster. Während die Beschäftigung im ersten Halbjahr 2020 in der Gesamtwirtschaft um durchschnittlich 2,6 Prozent im Jahresvergleich abgenommen hat, sank die Anzahl der Arbeitsstellen in der Sachgüterindustrie nur um etwas mehr als 1 Prozent“, so Pudschedl.

Obwohl die Industrie einen Beschäftigtenanteil an der Gesamtwirtschaft von rund 17 Prozent hält, waren nur 7 Prozent der zusätzlichen Arbeitslosen vorher in der Industrie beschäftigt. Die Arbeitslosenquote in der österreichischen Industrie ist im ersten Halbjahr 2020 zwar von 3,7 Prozent im Vergleichszeitraum des Vorjahres auf durchschnittlich 5 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft nahm die Arbeitslosenquote im gleichen Zeitraum jedoch von 7,6 Prozent auf sogar 10,6 Prozent zu.

Während sich die Beschäftigtenlage in der Industrie während der Corona-Krise dank der Kurzarbeitsregelung spürbar günstiger darstellt als in der Gesamtwirtschaft, wird der Weg aus der Krise für die Industrie bezogen auf die Beschäftigung voraussichtlich von geringeren Fortschritten gekennzeichnet sein. Im Dienstleistungssektor ist nach den ersten Lockerungsmaßnahmen der Arbeitsmarkt bereits in Bewegung gekommen. Die Erholung der Beschäftigung in der Industrie dürfte sich bedingt auch durch die hohe Exportabhängigkeit des Sektors zäher gestalten.

Anhaltende Talfahrt der Preise

Angesichts der schwachen Nachfrage haben die heimischen Betriebe versucht die Umsätze durch eine Reduktion der Verkaufs- bzw. Angebotspreise anzukurbeln. Im Juni sanken die Verkaufspreise den zwölften Monat in Folge und der entsprechende Index ging sogar auf 42,8 Punkte zurück, den niedrigsten Wert seit dem Frühjahr 2009. Trotz der Rabattierungen gelang es nur unzureichend die Nachfrage zu stärken, zumindest nahmen die Bestände in den Verkaufslagern erneut zu, obwohl die Produktion weiter zurückgefahren worden war.

Die Bestände in den Vormateriallagern gingen dagegen erstmals seit drei Monaten geringfügig zurück, obwohl die Einkaufspreise ihre Talfahrt beschleunigt fortsetzten. „Der Rückgang der Einkaufs- und Verkaufspreise in der heimischen Industrie hat sich im Juni nochmals beschleunigt. Seit genau einem Jahr befinden sich die Preise mittlerweile auf Talfahrt. Durch den Einbruch des Ölpreises hat die Kostendynamik stärker nach unten gezeigt als die Angebotspreise. Die Ertragssituation der heimischen Betriebe hat sich aufgrund der sinkenden Umsätze in diesem Zeitraum im Durchschnitt dennoch nicht verbessert“, meint Pudschedl.

Ende der Rezession in Sicht

Infolge der Aufhebung weiterer Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie hat sich die Talfahrt der österreichischen Industriekonjunktur im Juni den zweiten Monat in Folge deutlich verlangsamt. Der Anstieg des UniCredit Bank Austria EinkaufsManagerIndex wurde vor allem von der starken Abschwächung der Schrumpfungsraten von Output, Neugeschäft und Beschäftigung getragen. Die anhaltenden Preisrückgänge im Ein– und Verkauf und der starke Anstieg der Bestände in den Fertigwarenlagern weisen allerdings deutlich auf die schwierige Nachfragesituation hin. Mit einem durchschnittlichen Wert im zweiten Quartal 2020 von unter40 Punkten zeigt der UniCredit Bank Austria EinkaufsManagerIndex die schwerste Rezession der heimischen Industrie seit der Finanzkrise an. Damit hat die Industrie zum voraussichtlich stärksten Rückgang der österreichischen Wirtschaft von rund 15 Prozent zum Vorquartal im zweiten Quartal 2020 beigetragen.

Die Lockerungsmaßnahmen und die Aussicht auf eine weitere Normalisierung des Wirtschaftslebens trugen dazu bei, dass die Geschäftsaussichten der heimischen Industrie binnen Jahresfrist auf 45,6 Punkte geklettert sind und damit im Juni den höchsten Stand seit Februar erreicht haben. „Der Aufwärtstrend des UniCredit Bank Austria EinkaufsManagerIndex und der Produktionserwartungen der Betriebe unterstützen unsere Erwartungen, dass die Rezession in der Industrie und in der Gesamtwirtschaft im Sommer endet und in der zweiten Jahreshälfte eine spürbare Erholung einsetzt. Mit einem BIP-Rückgang um rund 8 Prozent im Jahr 2020 und einem Wirtschaftswachstum um rund 7 Prozent 2021 gehen wir unverändert von einem etwas verzögerten V-förmigen Konjunkturverlauf aus. Ende 2021 wird die österreichische Wirtschaftsleistung voraussichtlich um rund ein Prozent das Vorkrisenniveau verfehlen“, meint Bruckbauer.

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