Das Tal der Tränen im Einzelhandel scheint durchschritten. Dank der langsam sinkenden Gesamtinflation scheint das neue Jahr für den Einzelhandel nicht so ernüchternd auszufallen wie das vergangene.
„Insbesondere für mittlere und kleinere Betriebe und schwache Marken bleibt die Lage aber schwierig. Große Unternehmen haben deutlich mehr Möglichkeiten, Einsparungen über langfristig angesetzte Kostensenkungsprogramme zu erzielen. Diese Zeit fehlt mittleren und kleineren Unternehmen, die schnell an ihre Liquiditätsgrenze gelangen können“; prognostiziert Kearney-Partner und Europas Co-Lead in Consumer und Retail Mirko Warschun.
Anspruchsvollere Klientel
Zudem steigt die Anspruchshaltung bei den Kunden: Egal ob Essen oder Kleidung, alles soll immer und auf allen Kanälen verfügbar sein und bitte möglichst schnell. Die Relevanz persönlicher Empfehlungen nimmt dabei zu – und es spielt nach einer Erhebung des Kearney Consumer Institute kaum eine Rolle, ob die Empfehlung dabei von Freunden und Familie oder von „vertrauten Unbekannten” aus den sozialen Netzwerken kommt.
Rund 49 Prozent aller Konsumenten und Konsumentinnen richten sich bei ihrer Kaufentscheidung vor allem nach Ratschlägen von Freunden und Familie – 51 Prozent setzen hingegen verstärkt auf Onlineempfehlungen. Vor allem die jungen Verbraucher lassen sich leicht mit Reels gewinnen, die ihnen zeigen, wie man kocht, seine Haut erstrahlen lässt oder die eigene Energie steigert – immer verknüpft mit den passenden Produkten und Kauforten.
Dabei erreichen Influencer auf TikTok und Instagram auch allmählich die Altersgruppe über 65 Jahre, die immerhin 25 Prozent der Konsumenten ausmacht. Bitter für Print: Eine Diskussion zum Thema gedruckte Prospekte muss nicht einmal mehr geführt werden.
Kundenvertrauen?
Alter Preis, weniger Inhalt, Schummeleien bei der Angabe von Fett und Zucker u.v.a. Das alles lässt Verbraucher bei der Wahl eines Produktes zaudern. Nicht so bei Handelsmarken, denn diese weisen einen beachtlichen Vertrauensvorschuss im Hinblick auf ihre Qualität auf. Ob bei Nahrungsmitteln, Körperpflege und Kosmetik oder bei Reinigungsmitteln:
Über alle Kategorien hinweg griffen mehr als die Hälfte der Verbraucher und Verbraucherinnen regelmäßig zu Eigenmarken. Supermärkte und Retailer überzeugten durch ihre Vielfalt an Produkten in allen Preisklassen – und werden das weiter und verstärkt tun. Vor allem bei den wichtigen Eckpreisartikeln sollten die Preise in der kommenden Zeit zurückgehen.
„Wir erwarten eine Erholung bei Produkten wie Brot, Butter oder Milch – aber nicht bei allen Produkten des täglichen Bedarfs“, erklärt der Konsumgüterexperte.
Preis oder Bequemlichkeit?
Gegessen wird bekanntlich immer, aber das Verbraucherinteresse an ultraschneller oder überhaupt an Lieferung von Lebensmitteln hat sich deutlich abgekühlt. Zu viele Alternativen für den täglichen Bedarf auf den Heimwegen der Verbraucher bieten sich hier mitunter deutlich kostengünstiger an.
Einen Lichtblick für den e-Food-Markt bietet die Gruppe der über 65-Jährigen: Ihnen verschafft der Onlinekauf von Lebensmitteln zunehmend eine Entlastung in der eigenen Haushaltsführung. Insgesamt überwiegt aber das Bedürfnis nach Angeboten – und damit locken vor allem Handelsmarken, Discounter und Supermärkte.
Nachhaltigkeitswunsch bleibt
Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit hält trotz gestiegener Kosten an. Kunden suchen jedoch verstärkt nach Wegen, die Lebensdauer ihrer Produkte möglichst kostenneutral, schnell und unkompliziert zu verlängern. Das kann entweder über einen Weiterverkauf auf einer der boomenden Secondhand-Plattformen oder durch Reparatur und Wiederaufbereitung insbesondere von technischen Produkten passieren. Bei langlebigen Verbrauchsgütern funktioniert das schon gut, etwa bei Elektrogeräten, wo das Credo inzwischen immer öfter lautet: „Reparieren statt neu kaufen.“
Bei Produkten des täglichen Bedarfs hingegen muss noch viel mehr passieren, um zu überzeugen. Verarbeitete Inhaltsstoffe in Lebensmitteln werden dem Wertkreislauf entzogen – und trotzdem erwarten Kunden und Kundinnen, dass Nachhaltigkeit auch bei diesen Produkten nicht auf deren Verpackung reduziert wird. Entsprechend früh in der Produktion muss daher erforscht werden, wie ein ressourcenschonendes Produkt designt sein kann.
Fazit
2024 wird ein herausforderndes Jahr für die Konsumgüterbranche bleiben. Die aktuellen Entwicklungen treffen die Verbraucher unterschiedlich hart und beeinflussen so ganz individuell deren Kaufentscheidungen. Eines aber wollen alle: ihren Händlern vertrauen. Das Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen, erlaubt daher keinen Aufschub.
„Die Kunst wird sein, ein Teil eines langfristigen Trends zu werden. Denn nur so wird es künftig möglich sein, die Konsumenten in den Fokus zu stellen“, prognostiziert Mirko Warschun abschließend.