Die europäische Automobilindustrie zählt zu den letzten weltweit führenden Industriezweigen Europas – mit enormer wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und technologischer Relevanz. Millionen Arbeitsplätze, ein hoher Anteil an der industriellen Wertschöpfung und entscheidende Innovationsimpulse hängen an diesem Sektor.
Doch der Druck auf die Industrie steigt: Globale Wettbewerbsdynamik, schwindende Marktanteile in China und zunehmende Unsicherheiten auf dem US-Markt treffen auf immer strengere Vorgaben innerhalb der EU.
Eine neue Berechnung der Unternehmensberatung Kearney analysiert erstmals die kumulierten finanziellen Effekte dieser Markt- und Regulierungsentwicklungen bis 2030 für die Gewinnsituation der europäischen Automobilindustrie auf ihrem Heimatkontinent.
Das Ergebnis zeigt ein klares Bild:
„Die politischen Vorgaben wirken sich besonders stark auf die Gewinn- und Verlustrechnungen der europäischen Hersteller aus und haben großen Einfluss auf deren globale Wettbewerbsfähigkeit“, analysiert Wulf Stolle, Partner bei Kearney.
Globale Marktverschiebungen und politische Regulierung
Die Kearney-Analyse zeigt, dass die europäischen Hersteller in einem Umfeld agieren, in dem sich globale Marktbedingungen spürbar verändern.

Während in China – dem größten Automobilmarkt der Welt – die europäischen Unternehmen bei den batterieelektrischen Fahrzeugen nicht wettbewerbsfähig sind und mit signifikant niedrigeren Marktanteilen als im Markt von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren konfrontiert sehen, sind die Rahmenbedingungen in den USA zunehmend durch handelspolitische Risiken geprägt.
Dadurch wächst die relative Bedeutung des europäischen Heimatmarkts für die Hersteller. Aber genau hier kommen die Unternehmensgewinne durch die avisierten politischen Vorgaben der EU massiv unter Druck.
Besonders relevant sind dabei drei Maßnahmenbündel, die von der EU vorangetrieben werden und die in ihrer Wirkung eng miteinander verknüpft sind:
- Der politisch beschlossene Übergang zu batterieelektrischen Fahrzeugen: Schwerwiegende Profitabilitätsprobleme bei Elektrofahrzeugen belasten die Gewinne der Autohersteller – bedingt durch strukturell hohe Kosten, insbesondere für die Batterie. Dazu kommen eine gleichzeitig verhaltene Nachfrage und ein deutlich geringeres After-Sales-Potenzial im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.
- Die Euro-7-Standards: Die bereits umgesetzten und die noch geplanten Abgasvorgaben verteuern die Produktion von Verbrennungsmotoren – dem Segment, das bislang die hohen Margen erwirtschaftet hat und in dem die europäischen und insbesondere die deutschen Hersteller weltweit führend sind. Jeder zusätzliche Euro an Regulierungskosten trifft direkt das Kerngeschäft vieler Hersteller.
- Die Flottenemissionsgrenzen und damit verbundene Strafzahlungen: Wenn Autohersteller ihre Emissionsziele nicht erreichen, drohen hohe Strafzahlungen. Diese wirken besonders stark, wenn gleichzeitig der Elektrofahrzeug-Anteil langsamer steigt als regulatorisch erwartet.
„Wir sehen, dass diese Effekte bereits einzeln eine enorme finanzielle Sprengkraft für die Hersteller entwickeln. Zusammengenommen ergibt sich aber eine wirtschaftliche Gesamtbelastung, die in der bisherigen politischen Diskussion häufig unterschätzt wird und die Hersteller bis an ihre Belastungsgrenze und gegebenenfalls darüber hinausführen kann“, unterstreicht Wulf Stolle.

Signifikante Verluste für Unternehmen durch Elektrifizierung
Um die möglichen Entwicklungen abzubilden, simuliert die Kearney-Analyse zwei Szenarien: ein moderateres Szenario mit 35 Prozent Elektroanteil für den europäischen Markt im Jahr 2030 und ein ambitionierteres Szenario mit 55 Prozent.
Trotz ihrer Unterschiede führen beide Szenarien zu einer deutlichen Reduktion der Gesamtprofitabilität für die Autoindustrie auf ihrem europäischen Heimatmarkt.
Selbst im moderateren Szenario treiben die verlustbringenden batterieelektrischen Fahrzeuge die Ergebnisse tief in die roten Zahlen. Zusätzlich führen die strengen Emissionsvorgaben zu erheblichen Strafzahlungen, die die Herstellerprofitabilität weiter drückt. Im ambitionierteren Elektrifizierungs-Szenario verschwinden die Strafzahlungen zwar vollständig, die batterieelektrischen Verlustbringer schlagen allerdings umso stärker zu Buche, so dass auch dieses Szenario die Bilanz tiefrot einfärbt.
„Es mag viele überraschen. Beide Szenarien zeichnet eine deutlich höhere Elektrifizierungsquote verglichen mit dem heutigen Markt aus. Dieser Umstand allein bringt schon signifikante finanzielle Herausforderungen mit sich. Wenn sich der Elektroanteil (wie im ambitionierteren Szenario) weiter erhöht, vermeiden die Hersteller zwar Strafzahlungen. Allerdings wird dieser positive Aspekt durch die nicht ausreichende Profitabilität der Batteriefahrzeuge sogar noch überkompensiert. Ein höherer Elektroanteil führt daher nicht zu einer Entlastung, sondern kann im Gegenteil die Situation sogar noch verschärfen“, verdeutlicht Wulf Stolle.
Insgesamt reduziert sich der Gewinn der europäischen Hersteller im europäischen Markt der Analyse zufolge bis 2030 um sieben bis acht Prozentpunkte und zehrt damit, wenn keine effektiven Gegenmaßnahmen getroffen werden, die gesamte Branchenrentabilität in Europa mehr als komplett auf.
Weichenstellungen entscheiden über die Zukunft
Die Ergebnisse der Analyse deuten darauf hin, dass sich ein erheblicher Teil der Branche ohne Anpassungen der Rahmenbedingungen dauerhaft in der Verlustzone wiederfinden könnte. Besonders betroffen wäre neben den Herstellern insbesondere auch die Zulieferindustrie, die bereits heute unter der Transformation zum Elektrofahrzeug massiv unter Druck steht.
„Wir beobachten, dass nahezu kein Tag vergeht, ohne dass eine neue Restrukturierungs- oder Personalabbaumeldung von einem europäischen Auto-Zulieferer zu vernehmen ist“, so der Experte.
Daraus ergeben sich drei mögliche Entwicklungspfade:
- Ein stark geschrumpfter Automobilsektor in Europa: Produktion, Wertschöpfung und Arbeitsplätze werden drastisch reduziert. Die europäische Autoindustrie büßt ihre heute weltweit führende Stellung ein – mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Folgen.
- Ein durch den Steuerzahler subventionierter und durch protektionistische Maßnahmen geschützter Sektor: Die EU akzeptiert den raschen Bedeutungsverlust der Leitindustrie nicht und steuert mit Hilfe von Subventionen und Protektionismus gegen. Die globale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie wäre dahin.
- Ein strategischer Kurswechsel: Anpassungen der EU-Regulierung könnten die globale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern, Innovation fördern und zugleich den klimaneutralen Umbau realistisch gestalten.
„Wir sehen die Gefahr, dass die politischen Vorgaben zusammen mit den globalen Wettbewerbsdynamiken drohen, einen der wichtigsten Industriezweige Europas strukturell und unumkehrbar zu schwächen. Es lohnt sich, diese Dynamiken zu verstehen und die politischen Weichenstellungen zu überdenken. Damit bliebe die Chance bestehen, die globale Führungsrolle Europas im Automobilbau langfristig zu sichern“, ergänzt Wulf Stolle abschließend.
