„Wollen alleine reicht nicht“
Große Karrieren kann man kaum planen, denn neben Ehrgeiz und Fleiß sind es immer auch Glück und Zufall, die im Leben eines Top-Managers Regie führen. Das war auch bei ANDRITZ-CEO Wolfgang Leitner so. Mittlerweile ist er mehrfach ausgezeichneter Unternehmer, als einer von sieben Österreichern im jährlichen Ranking des US-Magazins Forbes mit einem geschätzten Vermögen von 1,7 Milliarden Euro Stammgast und bestimmt als Mitglied des Nominierungskomitees, wer über die Staatsbeteiligungen der Industrieholding ÖBIB wacht.
Wolfgang Leitner ist sich seiner Erfolge durchaus bewusst. Dafür braucht er weder Auszeichnungen noch Zeitungsberichte. Natürlich seien die Titel ein Zeichen der Anerkennung, so Leitner, sie seien aber genauso vergänglich und oberflächlich wie Zeitungsartikel, weshalb er auch ungern in ihnen vertreten ist. Nein, Wolfgang Leitner ist kein Freund von Interviews: „Was ich zu sagen habe, sage ich meinen Kunden lieber persönlich.“
Geplatzter Traum
Dabei ist sein Karriereweg äußerst spannend, begann er doch mit einer Enttäuschung. Denn eigentlich wollte der junge Grazer Medizin studieren, doch man riet ihm ab. Die Begründung: Eine medizinische Karriere sei nur möglich, wenn schon die Eltern erfolgreiche Ärzte seien. Wolfgang Leitner stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Vater Karl war Schlosser beim Grazer Maschinenbauer ANDRITZ, Mutter Hildegarde Schreibkraft in einer Schule und zuhause mit der Erziehung der Söhne Gerald und Wolfgang beschäftigt. Die Mutter sorgte dafür, dass aus ihnen gute Schüler wurden. Mit Erfolg: Gerald studierte Mathematik, unterrichtete an der Columbia University und berechnete später für eine große US-Fondsgesellschaft mathematische Modelle, Wolfgang studierte an der Universität Graz Chemie.
Heute ärgert sich Wolfgang Leitner maßlos über das Stereotyp der Politik, dass Kinder aus ärmeren Familien keine Karrierechancen hätten, denn immerhin würden die Vermögensrankings seit Jahrzehnten von den Gründern von Amazon, Facebook, Alibaba oder Microsoft angeführt – alles Unternehmer der ersten Generation, wie er einer ist.
Harvard – nein danke
Wie aber kam er zu diesen Erfolgen? Nach seinem Studium forschte Leitner drei Jahre bei der Hoechst-Tochter Vianova in Graz und erhielt die Zulassung für Harvard und Stanford. Doch Wolfgang Leitner hatte andere Ziele. Der Vater eines Freundes war in der steirischen Industrie sehr erfolgreich, reiste viel und arbeitete in fremden Ländern. Das beeindruckte den jungen Mann, und so entschied er sich gegen die US-Kaderschmieden und ging zu McKinsey. Die Unternehmensberater schickten ihn Anfang der 1980er-Jahre zum Maschinenbauer ANDRITZ, an dem die Finanzholding AGIV die Mehrheit hielt. 1987 kam Wolfgang Leitner gemeinsam mit Kollege und Freund Dieter Schossleitner als Finanzvorstand nach Graz. Eine Freundschaft, die bis heute hält.
Wie jene zu Martin Bartenstein, mit dem Leitner seit dem Chemiestudium in Graz verbunden ist. 1985 hängte er den Beraterjob an den Nagel und gründete mit Bartenstein eine kleine Firma namens Genericon, die sich auf die Erzeugung rezept- und patentfreier Medikamente sowie Vitaminpräparate spezialisierte. 1990 kauften sie sich – noch vor dessen Markteintritt – beim ungarischen Brausetablettenerzeuger Pharmavit ein und brachten die Firma später an die Börse. Das Geschäft lief wie geschmiert – Pharmavit schaffte es, in Ungarn innerhalb von fünf Jahren mehr Brausegetränke als Coca-Cola zu verkaufen. 1995 kaufte der US-Konzern Bristol-Myers Pharmavit um 110 Millionen US-Dollar.
Wächter oder Vergrößerer?
Nun hatte Wolfgang Leitner genügend Startkapital und erinnerte sich an den maroden Maschinenbauer aus Graz. Der Rest ist Geschichte: 1999 erwarb Leitner mittels Management-Buyouts 25 Prozent an der ANDRITZ AG, bei der er seit 1994 als Vorstandsvorsitzender wirkt. 2001 folgte der Börsegang. Über die Custos Privatstiftung ist Wolfgang Leitner samt Familie heute zu mehr als 30 Prozent am Anlagenbauer beteiligt. Custos ist übrigens der lateinische Ausdruck für Wächter oder Hüter. Er hätte die Stiftung wohl besser Amplificator, also der Vergrößerer, nennen sollen.
Seit 2000 hat sich ANDRITZ an 65 Unternehmen beteiligt oder sie zur Gänze geschluckt. Darunter zuletzt der US-Maschinengewebeerzeuger Xerium, der für 230 Millionen US-Dollar plus 590 Millionen Schulden übernommen wurde. Für Leitner sind Akquisitionen mittlerweile business as usual, wenngleich auch jene von Xerium finanziell kein Klacks ist. ANDRITZ zahlte cash, was bei einer Bruttoliquidität von 1,5 Milliarden Euro auch kein Problem ist.
Nicht diejenigen sind erfolgreich, die am lautesten schreien oder am besten präsentieren, sondern die, die am meisten leisten.
Wolfgang Leitner
Warum sich der öffentlich zurückhaltende Unternehmer doch wiederholt in der Politik engagiert? Weil er sich bei großen Aufträgen immer wieder der Hilfe einzelner Minister als Türöffner bediene. Da könne er nicht Nein sagen, wenn er umgekehrt um Hilfe gebeten werde, so Leitner. 2015 holte ihn der damalige ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling ins Nominierungskomitee der Staatsholding ÖBIB, wo er jetzt gemeinsam mit den Bundesministern Blümel und Löger dar-über entscheidet, wie die 18 Aufsichtsratsmandate der ÖBIB-Beteiligungen OMV, Post und Telekom besetzt werden.
Weiter aus dem Fenster lehnt sich Leitner politisch aber selten. Anders sieht es da bei Ehefrau Cattina Leitner aus, die ihren politischen Unmut 2015 dadurch zum Ausdruck brachte, dass sie der parteifreien und unabhängigen Bundespräsidentschaftskandidatin Irmgard Griss mit einer 100.000-Euro-Spende unter die Arme griff. Dass sich der Ehemann über dieses Engagement gefreut hat, darf bezweifelt werden. Wer seine Frau kenne, wisse, dass sie nicht um Erlaubnis gebeten hatte. „Ich kenne meine Grenzen“, sagt Leitner schmunzelnd.
Ski-Paarlauf
Wolfgang Leitner lernte seine Cattina 1986 beim Skifahren kennen. Sie stammt aus der Kärntner Bauunternehmerfamilie Soravia, arbeitete lange Jahre als Zivilrichterin in Graz, wechselte 2015 in eine Wirtschaftskanzlei und ist derzeit bei der Wiener Kanzlei Dorda beschäftigt. Seit 2018 sitzt sie im Aufsichtsrat der ÖBB.
Wolfgang Leitner ist heute 65 Jahre alt. Über den Generationswechsel muss er sich nur bedingt Gedanken machen, schließlich ist ANDRITZ kein Familienbetrieb. Vorsorglich hat er seine Freunde jedenfalls gebeten, ihn aufmerksam zu machen, sollte er bei Sitzungen einschlafen oder sich zu häufig wiederholen. Sein Erfolgsrezept? Nicht diejenigen seien erfolgreich, die am lautesten schreien oder am besten präsentieren, sondern die, die am meisten leisten. „Wollen allein reicht nicht“, sagt Leitner.
Die beiden Kinder Maria-Christina und Nikolaus studieren beide mit großem Eifer Maschinenbau. Freiwillig und ohne Zutun des Vaters, wie Wolfgang Leitner betont. Da passt es gut, dass das Christkind Maria-Christina im Alter von 17 Jahren das Buch „55 Gründe, Ingenieur zu werden. Über den schönsten Beruf der Welt“ unter den Baum gelegt hat.
Privates über Wolfgang Leitner
Wolfgang Leitner lebt mit Ehefrau Cattina in Graz. Die beiden Kinder Maria-Christina und Nikolaus studieren Maschinenbau. Die Freizeit wird vor allem in der Natur verbracht, in heimischen Wäldern und am Millstätter See.
Karriere
Studium der Chemie in Graz, danach drei Jahre bei dem Forschungsunternehmen Vianova und vier Jahre bei McKinsey. 1986 gründete er das Pharmaunternehmen Genericon. Seit 1994 CEO bei ANDRITZ.
Andritz AG
Die ANDRITZ AG ist führender Lieferant für Anlagen und Ausrüstungen für Wasserkraftwerke, die Zellstoff- und Papierindustrie, die metallverarbeitende Industrie. ANDRITZ hat weltweit mehr als 240 Standorte, beschäftigt 26.000 Menschen und erzielte 2017 einen Umsatz von 5,9 Milliarden Euro. Das Headquarter von ANDRITZ befindet sich in Graz.