Aline Seebacher ist die stellvertretende Geschäftsführerin von Austrian Audio – von jenem in Wien ansässigen Unternehmen, das innerhalb von nur fünf Jahren mit seinen High-End-Mikrofonen und Kopfhörern den Weltmarkt erobert hat und mit seinen Produkten mittlerweile auf Welttourneen von Rolling Stones, Sting, Bon Jovi, Muse & Co nicht mehr wegzudenken ist.
Frau Seebacher, sie sind von AKW zu AKG gekommen?
Haha – naja, es war ein Gaskraftwerk, kein Atomkraftwerk.
Aber sind Kraftwerke und Audioprodukte nicht zwei völlig unterschiedliche Welten?
Am Anfang habe ich mich schon gefragt: Ist mir ein Kopfhörer nicht viel zu wenig komplex? Aber als ich mich dann mit der Materie näher auseinandergesetzt habe, bin ich draufgekommen, dass die Disziplinen, die es braucht, um solche Kopfhörer herzustellen, jenen des Kraftwerkbaus gar nicht so unähnlich sind. Und am Ende war ich sehr glücklich, diesen Schritt getan zu haben, weil es eine schöne Branche ist mit einem guten Betriebsklima.
Was sind diese Disziplinen, die man braucht?
Wenn du einen Kopfhörer baust, brauchst du Produktmanagement, Mechanik, Elektronik, Software, Akustik, Fertigung, Qualitätsmanagement, Dokumentation, Projektmanagement – beim Kraftwerksbau ist das mit einigen Ausnahmen sehr ähnlich.
Das liegt aber generell am Projektmanagement: Es geht gar nicht darum, in welcher Branche du bist, sondern nur um die Struktur, die du ihr gibst
Wie sind Sie die berufliche Leiter hinaufgeklettert?
Ich habe zuerst bei AKG ein paar Jahre Projektmanagement im Consumer-Bereich gemacht und bin schon mit 30 Jahren Abteilungsleiterin geworden – zuerst kurz die mechanische Abteilung, dann ins Programm-Management. Das war cool und ist jetzt noch cooler, weil wir damals so wie heute auch als kleine Wiener Firma arbeiten, die allerdings international großes Gewicht hat.
Das war damals aber nicht von langer Dauer, oder?
Nein, das war dann so richtig amerikanisch: Nach unzähligen Umstrukturierungen war plötzlich von heute auf morgen – mit Ausnahme von mir und einem Produktmanager – das ganze Management weg – alle entlassen. Da war ich gerade in der ersten Karenz mit meinem Sohn, als meine Mitarbeiterin mich anrief und sagte: Unser Standort wird geschlossen.
Dann hat mich Martin Seidl schon kontaktiert und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, bei Austrian Audio mit der alten AKG-Crew mitzumachen und bin sofort als operative Projektmanagerin und Organisationsentwicklerin eingestiegen. Und heute bin ich stellvertretende Geschäftsführerin und weiterhin auch für das Projektmanagement verantwortlich.
Die Unternehmensstruktur wurde von früher übernommen?
Nein, wir wollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und haben auf die typische Matrix-Organisation von Großkonzernen verzichtet. Das heißt: Wir haben von Anfang an auf eine projektorientierte Organisationsstruktur mit flachen Hierarchien und Open Door Policy gesetzt. Wir haben keine Abteilungsleiter, keine fachlichen Leads, dafür aber einen großen Pool von super erfahrenen Senior-Engineers. Also im Sales- und Marketingbereich gibt es schon Abteilungsleiter, aber die gesamte Entwicklung ist projektorientiert aufgebaut.
Sind Frauen in Führungspositionen in dieser Branche nicht eher eine Seltenheit?
Nicht nur in dieser Branche, aber ja – dieser Bereich ist tatsächlich sehr Männer dominiert. Aber glücklicherweise hatte ich immer Menschen um mich, die Frauen stark gefördert haben, um die Management-Riege ein bisschen aufzulockern.
Wie viele Frauen gibt es bei Austrian Audio?
In der Technik gibt es außer mir niemanden. Wir probieren es immer wieder, aber wir bekommen keine Bewerbungen von Frauen in diesem Bereich. In anderen Bereichen haben wir schon viele Frauen, die Finanz wird zum Beispiel von einer Frau geleitet sowie auch die Logistik, auch im Marketing und in der Fertigung arbeiten Frauen. Austrian Audio hat immer sehr großen Wert daraufgelegt, dass möglichst viele Frauen im Unternehmen arbeiten.
Liegt das am Bildungsangebot?
Es gibt prinzipiell schon einmal zu wenig Frauen, die überhaupt eine technische Ausbildung starten. Die wenigen, die sich dazu entscheiden, sind dann meistens sehr gut und landen oft in entsprechenden Positionen, in denen sie gerne bleiben. In meinem Studium haben wir mit zehn Frauen begonnen und vier haben abgeschlossen.
Was war Ihr Beweggrund, etwas Technisches zu studieren?
Ich habe als Kind einmal einen zerlegten Billiardtisch gesehen und war ganz fasziniert davon, wie die weiße Kugel immer wieder herauskommt, die anderen aber drinnen bleiben. Und ich habe Mathe in der Schule immer gemocht und ich ging in eine katholische Mädchenschule – das heißt, es gab dort keine Jungs, die besser waren als ich und verhindern konnten, dass ich mich traue, Wirtschaftsingenieurswesen zu studieren.
Welchen Tipp würden Sie anderen Frauen geben, die Führungspositionen anstreben?
Sie sollen sich mehr zutrauen. Männer sind in dieser Hinsicht oft selbstbewusster. Als ich mit 30 zur Führungskraft wurde, waren meine Mitarbeiter alle Männer und über 40. Da überlegen sich sicher viele Frauen: Will ich mir das antun? Was ist, wenn da auch noch schwierige Persönlichkeiten dabei sind? Will ich da deren Chefin sein?
Ich dachte mir damals: Ich muss mich ja nicht hinstellen und so tun, als ob ich die bessere Projektmanagerin bin. Die anderen haben 20 Jahre Erfahrung, die kann ich nicht abtun. Aber ich muss ihnen ja nicht sagen, wie sie es besser machen können, sondern meine Aufgabe ist, die besten Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sie das bestmögliche Projektmanagement machen können. Das ist viel Kommunikation und mein Knowhow, das ich einbringen kann, da fühle ich mich wohl, also probiere ich es einfach mal.
Männer trauen sich also mehr zu, meinen Sie?
Genau. Es gibt so viele hochqualifizierte Frauen, die sich nicht trauen. Bei Männern ist es umgekehrt – sogar, die die nichts können, versuchen sich als Superman zu verkaufen. Meine Mutter hat mir einmal einen Ratschlag gegeben: sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit. Und: Manchmal einfach mal die Klappe halten. Denn diejenigen im Raum, die am wenigsten sagen – oder die richtigen Fragen stellen, werden oftmals am Ende als die Kompetentesten geschätzt.
Es sind alles nur Menschen wie du und ich, sie alle kochen nur mit Wasser – wenn man sich das vor Augen hält, sieht man viele Dinge anders. Und wer nichts probiert, kann auch nicht wissen, wie es denn geworden wäre. Ich finde, da könnten Frauen schon ein bisschen mutiger sein. Viele sollten sich einfach das wert sein, was sie wert sind – sie sollten sich ansehen, wie viel andere Leute in den betreffenden Positionen verdienen und entsprechend ihr Gehalt ausverhandeln und sich einfach trauen, mehr zu fordern. Fragen kostet schließlich nichts.
Im derzeit 52-köpfigen Team von Austrian Audio gibt es ganz viele Musiker, Tontechniker und Soundengineers – sind Sie selbst auch musikalisch?
Ich selbst nutze gerne unsere Kopfhörer, Musikerin bin ich keine. Aber mir ist die Unternehmenskultur wichtig – wie die Menschen miteinander arbeiten. Es soll sich jeder wohlfühlen, sich entwickeln können und Spaß daran haben, arbeiten zu gehen. Und wir haben tatsächlich eine Mischung aus hoher Professionalität und viel Spaß. Es gibt auch einen Verleih-Channel, wo sich jeder unsere Produkte für den privaten Gebrauch ausborgen kann.
Das heißt, jeder, der hier musiziert und unsere Mikrofone nutzen will, kann das jederzeit tun. Für unsere Weihnachtsfeier wurde eine Band gegründet, wir hatten vor kurzem einen Karaoke-Abend – da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Mikrofon gesungen und wollte gar nicht mehr aufhören. Die Leidenschaft zur Musik verbindet alle sehr stark miteinander. Jeder hier ist mit Herzblut an der Sache. Und es ist auch so, dass bei unseren Bewerbungen alle gleich nach dem ersten Bewerbungsgespräch zusagen wollen.
Austrian Audio dürfte ja auch eines der wenigen Unternehmen sein, wo es Führungskräfte in Teilzeit gibt, oder?
Ja, dadurch dass wir keine Konzernstrukturen haben, sind wir flexibel. Ich selbst arbeite Teilzeit. Es gibt Wochen, da ist es mehr, und es gibt welche, wo es weniger ist. Die Work-Life-Balance ist bei uns sehr gut, fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kleine Kinder zu Hause und profitieren von dieser Flexibilität.
Aber fehlt als Teilzeit-Führungskraft nicht die Zeit für den Job?
Ich bin fest überzeugt davon, dass es funktioniert. Es ist eine Sache der Einteilung, wie man sein Team aufstellt. Oft sind Teilzeitkräfte sehr effizient, in dem was sie tun und wie sie es tun.
Was ist das Erfolgsrezept von Austrian Audio?
Wir sind wie eine große Familie, wir kommunizieren untereinander sehr viel, tauschen uns ständig aus, wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sehr viel Erfahrung. Und alle haben Spaß an dem, was sie tun.
Aline Seebacher kommt aus dem Ruhrgebiet und hat Wirtschaftsingenieurswesen an der TU in Dortmund studiert – eine Mischung aus Maschinenbau und Wirtschaft – und ist relativ schnell auf das Fach „Industrielles Projektmanagement“ gestoßen, hat diesen Weg weiterverfolgt und ist im Kraftwerksbau gelandet. Sie hat ein paar Großkonzerne von innen gesehen, ist aber schließlich über einen Freund zu AKG gekommen, da dort ein Projektmanager gesucht wurde.