Österreich steht an einem Wendepunkt. Die demografische Entwicklung ist eindeutig, die wirtschaftlichen Daten ebenso: In den nächsten zwölf Jahren gehen über 540.000 Menschen in Pension. Gleichzeitig verfestigt sich ein Trend, der in keinem anderen Land der EU so ausgeprägt ist wie hier: Teilzeit wird zur Norm. Doch was bedeutet das für unseren Arbeitsmarkt – und für die Zukunft unserer Unternehmen?
Darüber haben ÖBB, HumanoCare, AMS und SIMACEK, bei einer Frühstückspodiumsdiskussion sehr engagiert diskutiert.
Die „Teilzeitrepublik“
Wie Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, analysierte, hat sich die Teilzeitquote in Österreich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht – von rund 10 % in den 1990er-Jahren auf 30,9 % im Jahr 2023. Das ist kein statistisches Detail. Denn mit jedem Prozentpunkt, um den die Gesamtarbeitsleistung sinkt, verlieren wir wirtschaftliche Dynamik, Innovationskraft und auch ein Stück Wohlstand.
Zugleich stagnieren Produktivität und Arbeitszeit: Österreich liegt im EU-Vergleich im unteren Drittel, was die durchschnittliche Vollzeitarbeitszeit betrifft. Und dies, obwohl unser Sozialsystem auf Vollzeiteinkommen basiert. Wir laufen in eine Schieflage – ökonomisch, aber auch gesellschaftlich.
Eigentum als unerreichbares Ziel
Ein Grund für diese Entwicklung liegt tiefer: Arbeit lohnt sich für viele schlicht nicht mehr. Und das nicht nur im Niedriglohnsegment. Die Motivation, mehr zu arbeiten, war früher oft an das Ziel geknüpft, Eigentum aufzubauen – konkret: Wohneigentum. Doch diese Perspektive ist für viele junge Menschen in Österreich in weite Ferne gerückt.
Mit einem Median-Einkommen konnte man noch 2015 binnen 18 Jahren eine Median-Wohnung erwerben (wohlgemerkt: dafür war das gesamte Einkommen notwendig, gelebt werden musste also in einer Partnerschaft vom Einkommen des Partners). 2022 waren für die Finanzierung bereits 24 Jahre notwendig. In 7 Jahren ist das Ziel also um 6 Jahre in die Zukunft gerückt.
Anders gesagt: das ist kein realistisches Zielbild mehr – und damit auch kein wirtschaftlicher Anreiz. Die Konsequenz: lieber weniger Arbeiten und mehr vom Leben haben – Eigentumsaufbau ist ohnehin nicht mehr drin.
KI als Rettungsanker?
In einer breit angelegten Studie hat die Industriellenvereinigung untersucht, welche Impulse von Künstlicher Intelligenz hinsichtlich Produktivität beziehungsweise Arbeitskräfte-Ersatz ausgehen könnten. Christian Helmenstein hat es auf den Punkt gebracht: ein engagierter Einsatz von AI wird entweder den Arbeitskräfteausfall (Pensionierungen, Teilzeit) ersetzen können – oder die stagnierende Produktivität. Aber nicht beides.
Verantwortung übernehmen
In einer solchen Situation ist Inaktivität keine Option. Wir müssen handeln – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen.

Die Politik muss endlich die Voraussetzungen schaffen, damit Arbeit sich wieder lohnt und der Aufbau von Eigentum nicht mehr unerreichbar bleibt.
Die Baustellen sind mannigfaltig: engagierter Bürokratieabbau, Steueranreize für Unternehmen wie für Arbeitende, flächendeckende Kinderbetreuung und vor allem ein Bildungssystem, welches Kinder und Jugendliche fördert und echte Kompetenzen vermittelt. Werden Kinder nach Alter ins Bildungssystem eingestuft, wenn sie nicht einmal die Sprache beherrschen, dann ist Scheitern vorprogrammiert. Nicht zuletzt auch die Möglichkeit, Menschen gezielt ins Land zu holen, die hier arbeiten möchten – und bitte auch dürfen.
Unternehmen handeln …
Gleichzeitig dürfen wir als Unternehmer:innen nicht warten, bis andere liefern. Viele sind bereits hochaktiv. Julian Hadschieff, CEO HumanoCare, hat beim Frühstückspodium davon berichtet, aus deutschsprachigen Minderheiten etwa in Südamerika qualifizierte Pflegekräfte nach Österreich zu holen – was teils gut funktioniert, teils auf unverständliche bürokratische Hindernisse in der Anerkennung der Qualifikation trifft.
Ich weiß, wieviel etwa in der Branche der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung für Menschen mit Migrationshintergrund getan wird. Allein in unserem Unternehmen beschäftigen wir bei 4.700 Mitarbeitenden Menschen aus 60 Nationen. Die Branche investiert von sich aus in Sprachlern-Apps, Deutschkurse in den Unternehmen oder vor Ort am Arbeitsplatz und ermöglicht echte Integration, denn Arbeit verändert Leben. Wer Teil des Arbeitsmarkts ist, gewinnt Selbstbestimmung, Würde und Perspektive.
Beispiele ließen sich aus vielen Brachen aufzählen. Doch Engagement geht häufig über den unmittelbaren unternehmerischen Tellerrand hinaus. Ich meine sogar: es muss so sein.
… auch über den Tellerrand hinaus
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist für mich CAPE 10 – ein zivilgesellschaftliches Projekt in Wien-Favoriten, initiiert von Siegfried Meryn. Ich begleite es mit großer Überzeugung im Beirat.
Das Ziel ist so klar wie dringend: Durch Krankheit verursachte Armut und Not bekämpfen, ganz besonders bei Kindern. Gleichzeitig schafft CAPE 10 Räume für Bildung, Integration und soziale Teilhabe – dort, wo sie am meisten gebraucht werden.
In Zusammenarbeit mit einer Schule im 10. Bezirk zeigt sich, wie wichtig dieser Einsatz ist: Von rund 390 Kindern haben nur fünf Deutsch als Muttersprache. Viele leben in Armut, es fehlt nicht nur an materiellen Ressourcen, sondern auch an Chancen. CAPE 10 ermöglicht diesen Kindern Zugang zu medizinischer Versorgung, Lernunterstützung und Betreuung. Und: ein gemeinsames Mittagessen, das weit mehr ist als Ernährung – es ist Lernen in Gemeinschaft, Wertschätzung und Tischkultur.
Hier werden nachfolgenden Generation Chancen eröffnet, an einer besseren Gesellschaft für morgen mitzuwirken. Im Österreich-Maßstab ein kleines Projekt, aber ein Leuchtturm-Projekt, das zeigt: jeder der möchte, kann konkret mitwirken.
Unternehmen tragen Verantwortung – nicht nur für ihre Bilanzen, sondern auch für das Umfeld, in dem sie wirtschaften. Und für die Menschen, die heute – und die morgen – die Arbeit machen (sollen). Wer vom Standort erwartet, dass er verlässlich liefert, muss auch selbst verlässlich mitgestalten. Wegschauen ist keine Option – nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft, und schon gar nicht für uns Unternehmer:innen.
Je engagierter wir uns als Unternehmen einsetzen – wir als Familienunternehmer:innen ebenso wie große Konzerne, die Good Citizenship und soziale Verantwortung vor Ort leben – umso vehementer können, müssen und werden wir die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch von der Politik einfordern. Machen wir beides, und zwar überaus konsequent.
Autor: Ursula Simacek