Herr Kohlmaier, ABB zählt zu einem der ältesten Industriekonzernen Europas. Man blickt auf eine unglaubliche Entwicklungsgeschichte zurück, die 1883 in der Schweiz begann und 1910, durch die Übernahme der „Vereinigte Elektrizität AG Wien“, auch in Österreich Fortsetzung fand. Die Brown-Boveri-Technik war vor allem im Kraftwerksbau, der Bahnelektrifizierung oder auch beim Leitungsbau nicht wegzudenken. Heute ist man, nach der Fusionierung von BBC und ABB im Jahr 1988, einer der größten Elektrotechnikkonzerne der Welt. Welche unmittelbaren, aber auch strategisch langfristigen Ziele hat sich ABB gesetzt?
Der technologische Fortschritt in der Digitalisierung von Systemen und Anlagen, die Identifizierung von Energieeinsparpotenzialen und die Implementierung von modernen Cyber-Security-Lösungen stehen im Mittelpunkt unserer industriellen Entwicklung und werden es auch in Zukunft bleiben.
Wir bei ABB legen großen Wert auf die Unterstützung von Kunden, Partnern und Lieferanten während des Übergangs zu einer CO2-armen Gesellschaft.
Unser Ziel bis 2030 ist das Erreichen der Klimaneutralität, sowie eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, in der mehr als 80% unserer Produkte und Lösungen durch Recycling oder Rückkaufprogramme abgedeckt sind. Dabei setzen wir nicht nur auf technologische Innovationen und die Automatisierung von Prozessen, sondern auch auf menschliches Potenzial. Unser Ansatz zur Nachhaltigkeit umfasst die Förderung sowohl technologischer als auch sozialer und gesellschaftlicher Fortschritte, von denen alle Beteiligten profitieren können.
Direkt nach der HTL (Fachrichtung Elektrotechnik) haben Sie als Techniker und Projektmanager, im Bereich Robotik, bei ABB angefangen. Im Zuge Ihrer Tätigkeit bei ABB studierten Sie berufsbegleitend auf der FH Campus Wien (Technisches Projekt und Prozessmanagement) Einstweilen blicken Sie schon auf mehr als 33 Jahre im Konzern zurück. 2017 wechselten Sie in den Bereich Antriebstechnik, 2020 erfolgte die Berufung in den Vorstand und im Frühjahr 2021 übernahmen Sie den Vorstandsvorsitz als Nachfolger von Franz Chalupecky. Haben Sie spezifische Erfahrungen aus ihrer beruflichen Anfangszeit, die Ihnen, retrospektiv betrachtet, speziell geholfen haben, um entsprechend mitzuwirken so ein großes Unternehmen zukunftsfit zu machen?
Im Laufe der Jahre habe ich viel Unterstützung von ABB, sowie von verschiedenen Vorgängern und Wegbereitern erhalten. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld erachte ich die Funktion von Mentoren für sehr relevant, da somit maßgeblich der künftige Lebensweg beeinflusst werden kann.
Ebenfalls halte ich den Life-Long-Learning Ansatz für besonders bedeutsam. Das kontinuierliche Lernen im gesamten Lebensverlauf ist essenziell, um in der modernen Welt mit ihren ständig wechselnden Anforderungen, Schritt zu halten. Sich selbst und sein Umfeld kontinuierlich zu reflektieren und daraus zu lernen, kann von großem Vorteil sein.
Das Thema Nachhaltigkeit und die im Prozess befindliche Energiewende, dann noch der Krieg in der Ukraine sowie der permanent schwelende Konflikt in Nahost – alles Aspekte die sowohl aus ökonomischer, aber auch geopolitischer Sicht zu einer Deindustrialisierung Europas führen könnten. Was wäre aus Ihrer Sicht notwendig, um den Erhalt der europäischen Industrie sicherzustellen?
Eine große Herausforderung besteht darin, den Industriestandort Europa, als auch Österreich wettbewerbsfähig zu halten.
Angesichts des steigenden Drucks, insbesondere aus asiatischen Ländern, ist es für Österreich von entscheidender Bedeutung, seine Position als Industrieland zu behaupten und Stärke zu zeigen. Darüber hinaus müssen kontinuierlich Maßnahmen ergriffen werden, um eine nachhaltige und ressourcenschonende Zukunft zu fördern.
Die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit am globalen Markt erfordert Investitionen, die durch Förderprogramme, Maßnahmen zur Standortsicherung und Initiativen für nachhaltige Entwicklung unterstützt werden sollten, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreichs zu gewährleisten und eine versorgungssichere und leistbare Energiewende zu ermöglichen.
Nachhaltigkeit ist auch ein großes Thema bei ABB. Besonders im Bereich der Elektrifizierung erkennt man die hohen Ziele sowie Pionierleistungen im Transformationsprozess. Wie kam es dazu, dass man schon frühzeitig, nachhaltige Geschäftsfelder verfolgte?
Bei ABB konzentriert man sich seit Beginn auf die Förderung einer sicheren und nachhaltigen Elektrifizierung, indem effiziente Produkte und Lösungen entwickelt werden, die auf Ressourcenschonung abzielen.
Die Kombination aus digitalen Technologien, intelligenten Anwendungssystemen und effizienten Prozessen ist dabei entscheidend für eine moderne und nachhaltige Zukunft. Um diesen digitalen Wandel auch in Zukunft stetig voranzutreiben, wird ein hoher Anteil der F&E-Ressourcen in digitale Innovationen und Softwarelösungen investiert.
Somit liegt der Fokus bei ABB auf einem breiten Produktportfolio, um Kunden bei diesem vielfältigen Transformationsprozess bestmöglich zu unterstützen.
Herr Kohlmaier ich möchte hier noch vertiefend auf das Thema „Fabrik der Zukunft“ eingehen. Können Sie unseren Lesern die Bedeutung etwas näherbringen und erklären, wie sich die „Fabrik der Zukunft“ von der heutigen oder „gestrigen“ Fabrik unterscheidet?
Um den stetigen Wandel der Arbeitswelt gerecht zu werden, sind kontinuierliche Weiterentwicklungen und Investitionen in verschiedenen Bereichen notwendig.
In dieser sogenannten autonomen „Fabrik der Zukunft“ arbeiten Menschen Seite an Seite mit KI-unterstützten kollaborativen Robotern, den Cobots, zusammen, wodurch gefährliche und monotone Aufgaben von Maschinen übernommen werden und Menschen sich auf komplexere und höhere Tätigkeiten konzentrieren können. Die Robotik soll hier unterstützend eingreifen, während die Mitarbeitenden entlastet werden.
Eine solche Anwendung kommt beispielsweise bereits in den Niederlanden in einem Logistikzentrum zum Einsatz, indem smarte Roboter gemeinsam mit Menschen in einem dynamischen Umfeld zusammenarbeiten und dadurch Arbeitsprozesse kontinuierlich optimiert werden können.
Projekte wie diese zeigen eindeutig, dass dem Einsatz von smarten und KI-gestützten Produkten und Softwarelösungen, durch Kooperationen mit ambitionierten Partnern der Industrie, keine Grenzen gesetzt sind.
Wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönlichen Fragen:
Was motiviert Sie jeden Tag aufs Neue?
Neben der Vielseitigkeit und Abwechslung in meinem Tätigkeitsfeld schätze ich das gemeinsame Miteinander und die Zusammenarbeit mit Menschen, die sich leidenschaftlich für eine nachhaltigere und ressourcenschonendere Zukunft einsetzen. Ebenfalls möchte ich jeden Tag neue Erfahrungen sammeln.
Hatten Sie ein Vorbild, von dem Sie sich Dinge abgeschaut haben?
Im privaten Umfeld definitiv mein Vater und beruflich unter anderem von meinem Vorgänger Franz Chalupecky.
„I have climbed highest mountains. I have run through … ……“ – vervollständigen Sie den Text und wie heißt der Titel?
„the fields, only to be with you“ – I Still Haven’t Found What I’m Looking For von U2 (lacht).
Sie lieben das Meer und das Segeln. Wann haben Sie zum Segeln begonnen und haben Sie ein Schiff?
Vor zirka 20 Jahren habe ich damit begonnen. Ich besitze kein Schiff, da ich es sehr schätze flexibel zu sein. Es hat einen großen Reiz für mich nicht an einen bestimmten Hafen gebunden zu sein und freie Schiffsauswahl genießen zu können.
Mit welcher Person, aus der Gegenwart oder Vergangenheit, würden Sie gerne einen Tag verbringen?
Sehr gerne mit meinem leider zu früh verstorbenen Vater.
Für welche drei Dinge in Ihrem Leben sind Sie am dankbarsten?
Meine Familie, Gesundheit und Glück.
Welches berufliche Erlebnis hat sie am meisten geprägt?
Hier könnte man auf jeden Fall die Coronazeit anführen. Die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben aufgezeigt, wie sehr einem das tägliche Miteinander fehlen kann. Dennoch muss man sagen, dass sich durch diese für die Menschheit schwierige Zeit wiederum neue Möglichkeiten ergeben haben, wie etwa dem Arbeiten von zu Hause (Stichwort: Homeoffice) oder in der digitalen Kommunikation.
Herr Kohlmaier, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.
Danke Ihnen.