Tipps und Tricks in Rechtssachen in Zeiten von COVID-19

Die Corona Krise hat nicht nur Auswirkungen auf den fortlaufenden Betrieb von Unternehmen, sondern auch auf zahlreiche bestehende Vertragsverhältnisse.
© Taylor Wessing
Ivo Deskovic ist Partner und Mitglied des Dispute Resolution Teams. Er hat Erfahrung in der Bildung, Koordination und erfolgreichen Leitung von Teams für große Rechtsstreitigkeiten.

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Was passiert, wenn es zu Ausfällen oder Verspätungen in der Lieferkette kommt? Welche Rechtsfolgen werden ausgelöst, wenn Serviceleistungen nicht mehr erbracht werden können (oder sollen), bzw. wenn Projektvorhaben zum Stillstand kommen? Was ist von Betroffenen zu beachten?

Der anerkannte Experte für Streitbeilegung der internationalen Sozietät Taylor Wessing, Ivo Deskovic, hat die wichtigsten Aspekte gemeinsam mit Senior Associate Dominik Huber hier zusammengefasst:

Auswirkungen auf Vertragsverhältnisse

Grundsätzlich behalten bereits abgeschlossene Verträge weiterhin ihre Verbindlichkeit. Aufgrund der derzeitigen Situation können aber rechtliche Konzepte wie höhere Gewalt, Unmöglichkeit der Leistung, Verzug, Mängelbehebung oder sogar Wegfall der Geschäftsgrundlage auf bestehende Vertragsverhältnisse Anwendung finden. Was im Besonderen anwendbar ist (bzw. ob die aktuelle Situation überhaupt eine Auswirkung auf ein konkretes Vertragsverhältnis hat) ist in jedem Einzelfall zu überprüfen.

Vertragliche Regelungen betreffend höhere Gewalt

In Verträgen zwischen Unternehmern finden sich oft Regelungen darüber, welche Rechtsfolgen im Falle des Auftretens von höherer Gewalt gelten sollen. Darin wird z.B. festgelegt, ob eine Verlängerung der Leistungsfrist, eine (teilweise) Befreiung von der Leistungspflicht oder ein Rücktritt vom Vertrag zur Anwendung kommen sollen.

Es finden sich auch immer wieder Begriffsbestimmungen, was unter höherer Gewalt zu verstehen ist. Wo dies nicht der Fall ist, so handelt es sich nach der Rechtsprechung bei höherer Gewalt um ein unabwendbares Elementarereignis, bei dessen Auftreten auch bei Einhaltung der äußersten Sorgfalt ein Schadensfall nicht abzuwenden ist. Der Oberste Gerichtshof hat seinerzeit den Ausbruch der Infektionskrankheit SARS als höhere Gewalt eingestuft, weshalb aus heutiger Sicht davon auszugehen ist, dass COVID-19 ebenso zu behandeln ist.

Vor diesem Hintergrund ist in einem ersten Schritt zu überprüfen, ob in Ihren Verträgen Regelungen betreffend höhere Gewalt getroffen und welche Rechtsfolgen darin definiert wurden. Abhängig von dem auf den (internationalen) Vertrag anwendbaren Recht, können diese variieren.

Ist z.B. ein Lieferausfall auf die Pandemie zurückzuführen, weil die bestellte Ware wegen einer durch COVID-19 veranlassten Betriebsschließung nicht erzeugt und/oder lieferbar ist, so kann dies ein Anlassfall sein, der die im Vertrag getroffenen Regelungen zur höheren Gewalt anwendbar macht.

Gesetzliche Regelungen zu den einzelnen Leistungsstörungen

Sollten in Verträgen keine Regelungen in Bezug auf höhere Gewalt getroffen worden sein, gilt es, die gesetzlichen Regelungen zu beachten. Dabei ist in erster Linie an den Verzug eines Vertragspartners zu denken.

Verzug des Vertragspartners

Ein Vertragspartner gerät in Verzug, wenn er seine Leistung nicht zeitgerecht oder vereinbarungsgemäß (vollständig) erbringt, obwohl dies möglich wäre. Sofern ihm dabei objektiv kein Vorwurf gemacht werden kann, besteht für den Gläubiger die Möglichkeit, weiterhin auf die Erfüllung des Vertrages zu bestehen oder unter Setzung einer angemessenen Nachfrist zur Nachholung der Leistung vom Vertrag zurückzutreten. Verstreicht diese Frist ungenützt, müssen die Leistungen nicht mehr erbracht werden.

Dies gilt grundsätzlich für alle Arten von Verträgen, also z.B. für Kaufverträge, Werkverträge, Dienstleistungsverträge (wie z.B. Serviceverträge) aber auch hinsichtlich noch offener Leistungen z.B. aus Dauerverträgen mit regelmäßigen Lieferungen. Bei einem Termingeschäft, also einem, bei dem die Leistungserbringung an einen bestimmten Termin gebunden ist, fällt der Vertrag allerdings automatisch weg, da der Gläubiger zumeist kein Interesse mehr an der Leistungserbringung hat. Der Lieferant/Auftragnehmer erhält folglich auch kein Entgelt.

Andere Fragen betreffen die finanziellen Folgen des Verzugs, also ob derjenige, der die Leistung nicht (rechtzeitig) erbringt, angehalten ist, einen allfälligen Schaden zu ersetzen. Hier kommt wieder die Klausel über die höhere Gewalt zu tragen, die das wirtschaftliche Risiko aus dem Verzug je nach Ausgestaltung einer Partei zuordnet.

Etwas komplexer wird es, wenn es etwa schon vor dem Auftreten von COVID-19 zum Verzug gekommen war, und eine Nachfrist gesetzt wurde, die nun auch wieder nicht eingehalten werden kann. Aus Lieferantensicht empfiehlt es sich, in diesem Fall um angemessene Fristverlängerung anzusuchen, um einen Vertragsrücktritt des Bestellers zu vermeiden. COVID-19 sollte aus derzeitiger Sicht zur Begründung der Verlängerung der Frist tauglich sein, sofern die erneut zu erwartende Fristverletzung darauf zurückzuführen ist. Mangels vorliegender Judikatur ist jedoch auch dies stets im Einzelfall zu beurteilen.

Bei schon erbrachten Voraus- oder Teilleistungen kann es zur Rückabwicklung kommen, die gerade bei nicht mehr sinnvollen Teilleistungen zu komplexen Einzelfragen führt.

Anders als bei Dienstverträgen gilt für Werkverträge, dass das wirtschaftliche Risiko des Unterbleibens der Werkerstellung wegen nicht in den Sphären der Parteien liegender Umstände, also z.B. wegen der Pandemie, beim Auftragnehmer liegt. Allerdings kann auch hier der Vertrag Anderes regeln, wie dies z.B. die ÖNORM B 2110 tut, die in Bauverträgen regelmäßig vereinbart ist. Demnach soll in solchen Fällen der Aufraggeber das wirtschaftliche Risiko einschließlich Mehrkosten tragen. In welchem Verhältnis die Regelung der ÖNORM zur allgemeinen gesetzlichen Regelung steht, ergibt sich u.U. auch wieder aus den Details des Vertragstextes.

Sollte eine Lieferung bereits erfolgt oder eine Leistung bereits erbracht sein, ist der Besteller selbstverständlich zur Zahlung verpflichtet. Das Auftreten von COVID-19 führt nicht zu einer Verlängerung der Zahlungsfrist. Ebenso ist im Falle der vertraglichen Verpflichtung zur Vorauszahlung die aktuelle Situation und eine potenzielle Verzögerung der Lieferung oder Leistung nicht notwendigerweise eine Rechtfertigung für die Zurückhaltung einer fälligen Zahlung.

Aufgrund der durch COVID-19 hervorgerufenen Situation ist jedoch denkbar, dass der Käufer/Auftraggeber die Leistung des Verkäufers/Auftragnehmers nicht mehr annehmen will (oder kann). Dazu ist zunächst festzuhalten, dass eine Annahmepflicht nicht besteht. Eine Weigerung der Annahme durch den Gläubiger löst bei gleichzeitiger Verweigerung der Zahlung allerdings auf Seiten des leistungswilligen Schuldners die bereits beschrieben Rechtsfolgen aus (Bestehen auf Erfüllung des Vertrages bzw. Rücktritt unter Setzung einer Nachfrist), weil die Zahlung durch die (angebotene) Leistung fällig wird. Sollte die Annahme daher verweigert werden, können zudem die Kosten des An- und Rücktransportes oder allfällige Lagergebühren geltend gemacht werden. Einmal mehr gilt es daher, sich den Sachverhalt und die vertraglichen Regelungen im Einzelfall genau anzusehen.

Dominik Huber ist Senior Associate und Mitglied des Teams für Streitbeilegung.

Unmöglichkeit der Leistungserbringung

Aufgrund der durch COVID-19 angeordneten Maßnahmen könnte es unter Umständen auch zur nachträglichen Unmöglichkeit der Leistungserbringung kommen. Unmöglich ist eine Leistung, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie auch in Zukunft nicht erbracht werden kann. Dadurch unterscheidet sich diese Situation vom Verzug.

Sollte dies der Fall sein, wird der Vertragspartner von seiner Leistungspflicht befreit. Dies betrifft auch Fälle, in denen die Leistungserbringung von der Mitwirkung durch Dritte (z.B. Subunternehmen) abhängt. Die Rechtsprechung anerkennt weiters eine wirtschaftliche Unmöglichkeit der Leistungserbringung, sofern diese dem Vertragspartner aufgrund geänderter Umstände nicht zugemutet werden kann. Dies wird z.B. angenommen, wenn die Leistung den Vertragspartner wirtschaftlich ruinieren würde, also die Leistung grundsätzlich noch möglich ist – z.B., weil die bestellte Ware auch von anderen Produzenten besorgt werden könnte – jedoch als unzumutbar betrachtet wird, weil sie unvernünftig und wirtschaftlich sinnlos wäre (z.B. aufgrund von Preiserhöhungen).

Diese Grundsätze sind im Übrigen nur auf die Leistung sog. individualisierter Sachen (konkrete einmalige Dinge, wie z.B. ein bestimmtes gebrauchtes Auto) anzuwenden, nicht jedoch auf die Leistung sog. austauschbarer Sachen (also Dinge, die es mehr-/vielfach gibt, wie z.B. Lebensmittel). Bei Letzteren bleibt der Vertragspartner weiterhin zur Leistung verpflichtet, solange die austauschbaren Sachen vorhanden sind, also von anderen Quellen besorgt werden können. Inwiefern eine zukünftige Unmöglichkeit durch COVID-19 hervorgerufen werden kann, ist fraglich und wird in diesem Zusammenhang auch von der Dauer der außerordentlichen Krisenzustände abhängen.

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Als Geschäftsgrundlage bezeichnet man typische Umstände, von denen beide Vertragspartner bei Vertragsabschluss ausgehen. Sollten diese Umstände nach Vertragsabschluss nicht mehr vorliegen, ohne dass dies für einen der Vertragspartner vorhersehbar war, berechtigt dies zur Auflösung oder Anpassung des Vertragsverhältnisses.

Klassische Beispiele aus der Rechtsprechung dafür sind etwa, dass am Reiseziel ein Krieg ausbricht oder sich eine Naturkatastrophe ereignet. Das Auftreten von COVID-19 als Ereignis höherer Gewalt wird als Naturkatastrophe einzustufen sein. Ob die derzeitige Krisensituation einem Kriegsausbruch im Zielland gleichzuhalten ist, ist naturgemäß noch nicht ausjudiziert. Das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist nach der Rechtsprechung stets im Einzelfall zu beurteilen.

Mängelbehebung

Für bereits erfolgte mangelhafte Leistungen kann sich derzeit die Frage stellen, wie eine Verbesserung oder ein Austausch der Leistung erfolgen soll. Im Gesetz ist dazu geregelt, dass eine Mängelbehebung in angemessener Frist und mit möglichst geringen Unannehmlichkeiten für den Übernehmer vorzunehmen ist. Die Frist hierfür wird einerseits durch den für die Mängelbehebung nach Art der Sache, des Mangels und andererseits der Behebungsart objektiv erforderlichen Zeitrahmen bestimmt, wobei die konkreten Umstände auf Seiten des Lieferanten (oder Leistenden) zu berücksichtigen sind (z.B. Notwendigkeit der Bestellung der Austauschware oder eines Ersatzteils).

Es ist davon auszugehen, dass aufgrund des Auftretens von COVID-19 großzügigere Fristen zur Mängelbehebung eingeräumt oder diese – in Entsprechung des vorhin gesagten – angemessen verlängert werden müssen, bevor als weiterer Schritt eine (verhältnismäßige) Preisminderung oder ein Rücktritt vom Vertrag geltend gemacht werden kann. Letzteres ist ohnedies nur möglich, sofern kein geringfügiger Mangel vorliegt. Auch dies ist wiederum stets im Einzelfall zu beurteilen.

Internationale Verträge

Bei internationalen Verträgen ist zu beachten, dass abhängig von dem darauf anwendbaren Recht bzw. Übereinkommen, ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch geregelt sein kann.

Auf internationale Warenkäufe ist z.B. die UN-Kaufrechts-Konvention (CISG) anzuwenden, wenn die Parteien in zwei Vertragsstaaten der Konvention ihren Sitz haben, und soweit sie dies nicht vertraglich ausgeschlossen haben. Auch die Konvention regelt einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch. Danach hat eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass dieser bei Vertragsschluss unvorhersehbar war.

Eine Entlastung wird häufig in den klassischen Fällen von „force majeure“ (höherer Gewalt) angenommen, wenn daraus ein Leistungshindernis für den Schuldner resultiert. Nach der Judikatur sind darunter auch Epidemien erfasst.

Was ist zu tun?

Um auf die derzeitige Situation proaktiv reagieren zu können, empfiehlt es sich, einerseits die Lieferantenverträge, als auch die Verträge mit ihren Kunden zunächst auf Erfüllbarkeit zu prüfen und dann die Verträge selbst auf Rechtsfolgen zu prüfen, die sich aus allfällig erkannten Erfüllungsschwierigkeiten ergeben. Es gilt auch sicher zu stellen, dass Sie sich ausreichende Beweise beschaffen. So gibt es z.B. von chinesischen Behörden ausgestellte Zertifikate zu Betrieben, die derzeit nicht oder nur mit Verzögerungen liefern können.

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