Frau Neumann, Sie sind jetzt seit zwei Jahren Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Österreich. Zuvor waren Sie über 25 Jahre bei IBM tätig, wo Sie, nach mehreren Stationen im Managementbereich, von 2017 bis 2021 die Verantwortung als Generaldirektorin von IBM-Österreich übernahmen. Vor ihrem Engagement bei Siemens leiteten Sie, bei IBM, den Softwarevertrieb für Datenmanagement, Künstliche Intelligenz sowie Automatisierung in den Regionen Europa, Naher Osten und Afrika. Welche unmittelbaren, aber auch strategisch langfristigen Ziele haben Sie sich bei Siemens Österreich gesetzt?
Bei Siemens haben wir den Anspruch, Technologien zu entwickeln, die den Alltag verbessern, indem wir die reale mit der digitalen Welt miteinander verbinden.
Konkret heißt das: Mit unseren Produkten und Lösungen helfen wir unseren Kunden ihre Transformation bei Digitalisierung und zu mehr Nachhaltigkeit zu beschleunigen, um so wettbewerbsfähiger, widerstandsfähiger und nachhaltiger zu werden.
Wie bewerten Sie den Wirtschafts- und Industriestandort Österreich im internationalen Vergleich, und welche Alleinstellungsmerkmale zeichnen diesen, im positiven und im negativen, Ihrer Meinung nach aus?
Die wirtschaftliche Stärke Österreichs basiert auf Innovationen. Wir sind ein Land der „Nischenplayer“, ein Land der Erfinder und haben erfolgreiche Mittelständler sowie starke, große Unternehmen, die gemeinsam in einem Ökosystem arbeiten, das einzigartig ist.
Ebenso verfügt Österreich über eine breite industrielle Basis. Sie sichert nicht nur unsere Wettbewerbsfähigkeit, sondern sorgt auch dafür, dass Österreich ein attraktiver Lebens- und Arbeitsstandort mit einem ausgeprägtem Sozialsystem ist.
Welche Maßnahmen und strategischen Weichenstellungen sind Ihrer Ansicht nach erforderlich, um Österreich nachhaltig als wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Industriestandort zu stärken?
Aus Sicht der Industrie und der Wirtschaft müssen wir uns in Österreich, aber auch in Europa, kontinuierlich an neue Entwicklungen anpassen. Darunter fallen Maßnahmen, wie die Förderung von Ökosystemen aus Unternehmen und Wissenschaft in wichtigen Industriesegmenten sowie Investitionen in Zukunftstechnologien.
Glauben Sie, dass der politisch eingeschlagene Weg, zur Sicherung des Wirtschafts- und Industriestandorts Österreich, positiv zu bewerten ist oder sind standortgefährliche Entwicklungen immer noch in der Überzahl und gibt es auch Grenzen, wo die Politik sich nicht einmischen sollte?
Wir, bei der Siemens AG Österreich, sind davon überzeugt, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Forschung der Schlüssel ist, um Österreich als führende digitale Nation zu positionieren.
Eine der wichtigsten Maßnahmen sind Investitionen in Forschung. Diese sind für uns der Schlüssel zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Wien und in weiterer Folge auch entscheidende Faktoren bei der Sicherung von Arbeitsplätzen und somit dem wirtschaftlichen Wohlstand.
Wie schätzen Sie die konjunkturelle Entwicklung in Österreich in den kommenden Jahren ein und welche konkreten Reformansätze und strukturellen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, um konjunkturelles Wachstum zu sichern?
Was wir uns, als Siemens, wünschen, ist ein Bewusstsein für die wichtigen industriellen Themen – wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, KI, aber auch Standortsicherheit – dieser Zeit und den gemeinsamen Willen von Wirtschaft, Politik und Industrie, hier etwas zu bewegen.
Der Standort Österreich ist in den vergangenen Jahren durch ausufernde Bürokratisierung, steigende Lohnnebenkosten und hohe Energiepreise unter Druck geraten. Daher müssen wir gemeinsam – auch als geeintes Europa – daran arbeiten, unsere Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu stärken. Dazu gehören Innovationen und eine wachsende Wirtschaft. Der wechselseitige Austausch mit anderen Ländern war dabei schon immer eine große Stärke Österreichs.
Welche Auswirkungen haben Handelskonflikte, wie aktuell durch die USA heraufbeschworen, auf die österreichische, aber auch europäische Industrie und ist Siemens Österreich davon auch betroffen?
Als globales Unternehmen unterstützen wir einen besseren Marktzugang. Uns ist bewusst, dass sich die US-Administration für mehr amerikanische Fertigung einsetzt.
Wir glauben, dass wir mit unserer Technologie gut aufgestellt sind, um die industrielle Basis der USA weiter zu unterstützen. Mit unserer globalen Präsenz haben wir unsere Produktion stark lokalisiert. Wir beobachten genau, wie die Zölle umgesetzt werden, um bestmöglich vorbereitet zu sein.
Der Themenkomplex Nachhaltigkeit und Energiewende dominiert schon seit Jahren die mediale Berichterstattung. Selbst als Laie stellt man sich die Frage, ob dieser Transformationsprozess ganzheitlich durchdacht wurde. Kann die „grüne Transformation“ tatsächlich als Chance für die Industrie betrachtet werden oder versucht man sich hierbei etwas einzureden und negiert gröbere Probleme, die auf die heimische Industrie zukommen?
Ich sehe eine „grüne Transformation“ als Chance für wirtschaftliches Wachstum, neue Geschäftsmöglichkeiten und Innovationen. Ich bin mir sicher, dass sowohl die Energiewende als auch eine nachhaltige Wirtschaft machbar und absolut notwendig sind.

Dass solche Ziele nicht von heute auf morgen umsetzbar sind und dass wir als Gesellschaft und Gemeinschaft immer wieder an den Zielsetzungen schrauben, zeugt davon, dass es ein komplexes Vorhaben ist.
Welche konkreten Nachhaltigkeitsprojekte und -initiativen sind bei Siemens Österreich derzeit in den Fokus gerückt, und wie messen Sie deren Erfolg?
Nachhaltigkeit ist ein integraler Bestandteil unseres Geschäfts – über 90 Prozent unserer Produkte und Lösungen ermöglichen unseren Kunden, positive Nachhaltigkeitswirkungen zu erreichen.
Hierbei setzen wir auf Innovationen sowie Energie- und Ressourceneffizienz. Messbar wird der Erfolg, wenn unsere Kunden durch unsere Lösungen ihre selbstgesetzten oder vorgegeben Nachhaltigkeitsziele erreichen. Wir helfen etwa durch Technologien, CO2-Einsparungsziele zu erreichen, indem wir die elektrischen Netze intelligenter und Gebäude energieeffizienter machen.
Der Fachkräftemangel belastet die heimische Industrie: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?
Das Thema Fachkräftemangel beschäftigt uns seit geraumer Zeit. Wir brauchen in Zukunft Mitarbeitende mit Fähigkeiten, die derzeit noch gar nicht gelehrt werden.
Deswegen müssen wir bereits in der Ausbildungsphase auf neue und adaptierte Lern- und Lehrangebote setzen. Aber auch wir als Unternehmen müssen unseren Beitrag leisten, um unsere Mitarbeitende beim lebenslangen Lernen zu unterstützen – das nehmen wir bei Siemens ernst und ermöglichen unseren Mitarbeitenden Zugang zu einer breiten Palette an Weiterbildungs- und Lernmöglichkeiten.
Wie treibt Siemens Österreich die digitale Transformation voran, und welche Rolle spielen dabei innovative Technologien?
Es ist kein Geheimnis, dass die Digitalisierung in der heutigen Zeit den Schlüssel zu einer erfolgreichen und wettbewerbsfähigen Zukunft darstellt. Die Digitalisierung verbunden mit Künstlicher Intelligenz ist für uns ein enorm wichtiges Tool, wie wir unseren Kunden helfen, wettbewerbsfähiger zu werden.

Innovative Technologien spielen hier eine entscheidende Rolle – ich denke etwa an den Siemens Industrial Copilot. Dieser KI-gestützte Assistent ist in unsere digitale Geschäftsplattform Siemens Xcelerator integriert und revolutioniert die Art und Weise, wie wir in der Industrie arbeiten. Stellen Sie sich das wie einen hochintelligenten digitalen Kollegen vor, der Ingenieuren bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt.
In der Praxis bedeutet das: Der Industrial Copilot kann beispielsweise Automatisierungsprozesse, die früher zeitaufwändig manuell programmiert werden mussten, weitgehend selbstständig entwickeln.
Künstliche Intelligenz (KI) wird oft als Schlüsseltechnologie der Zukunft bezeichnet. Wie setzen Sie diese Technologie bei Siemens Österreich gezielt ein, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen und welche Bedeutung hat KI generell für den Innovationsstandort Österreich?
KI verändert klarerweise die Arbeitswelt und birgt eine große Chance für den Industriestandort, weil damit Jobs geschaffen werden, die bisher nicht denkbar waren, und die wir heute noch gar nicht kennen.
Die Arbeit der Zukunft wird mit der digitalen Welt maximal vernetzt sein und der wachsende Einsatz von Technologie macht viele Jobs komplexer und anspruchsvoller. In der Industrie werden über vernetzte Maschinen heute riesige Datenmengen produziert. Diese Daten können wir heute, Dank KI, in wertvolle Informationen umwandeln – etwa für Produktdesign oder einen effizienten Produktionsprozess.
Für uns, als Siemens, bietet KI großes Potenzial, das wir nützen, um unsere Kunden bei ihrer digitalen Transformation zu unterstützen.
Themenwechsel: Siemens ist in verschiedenen Teilsparten aktiv. Welche Entwicklungen und Synergien beobachten Sie innerhalb der einzelnen Geschäftsbereiche, und wie beeinflussen diese die Gesamtstrategie des Unternehmens?
Wir richten unser gesamtes Unternehmen darauf aus, Innovationen zu skalieren und Software, Automatisierung sowie KI zusammenzuführen.
In welchen Sparten erwarten Sie Expansion und in welchen ist Konsolidierung angesagt?
Wir leben in einem herausfordernden Umfeld. Unternehmen – so auch wir – stehen heute unter einem enormen Transformationsdruck.
Im Großen und Ganzen sehen wir in Österreich, dass der Bedarf unserer Kunden, ihre digitale und nachhaltige Transformation zu beschleunigen, weiterhin gegeben ist. Das Geschäft mit der Elektrifizierung wächst. Wir profitieren vom Boom der künstlichen Intelligenz und sehen uns gerade im Softwaregeschäft gut positioniert.

Das Automatisierungsgeschäft in der Industrie verhält sich gerade in Europa hingegen verhalten, wenn gleich wir auch hier eine Erholung erwarten.
Frau Neumann, wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen – daher noch ein paar persönliche Fragen:
Neustift am Walde, Sievering oder Grinzing?
Alles wunderschöne Teile Wiens mit viel Tradition und einladenden Heurigen sowie Weingärten.
Was können Sie uns über das „Wise Women of WU“-Programm erzählen?
Eine erfolgreiche Initiative der WU Wien für Absolventinnen, die mindestens schon 5 Jahre im Berufsleben stehen. Seit mehreren Jahren unterstütze ich sehr gerne als Mentorin.
Mit welcher Person, aus der Gegenwart oder Vergangenheit, würden Sie gerne einen Tag verbringen?
Mit Alexander Fleming, dem Entdecker des Penicillins.
Gibt es etwas, was Sie schon immer ausprobieren wollten, sich bisher aber nicht getraut haben?
Ausprobieren nicht wirklich. Aber ich möchte noch viele Länder bereisen und verschiedene Kulturen kennenlernen.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
„Das Wasser des Sees ist niemals süß“ von Giulia Caminito
Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?
Kriege.
Frau Neumann, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.
Danke Ihnen!