Wenn man liest, was sollte es sein und warum sollten wir es eigentlich überhaupt noch tun?
Eine kurze Bestandsaufnahme: Was heute hauptsächlich bzw. von der Mehrheit gelesen wird, sind Headlines, schnelle Meldungen oder Push-Notifications am Smartphone, die schnell im Vorbeigehen zwischen Tür und Angel konsumiert werden. Was davon buchstäblich hängen, also im Gedächtnis bleibt und dort weiterwirkt, lässt sich nur schwer einschätzen und definieren. Es ist die Qualität der Aufmerksamkeit, die von Mediennutzungsverhalten und der unmittelbaren Situation abhängt. Nachrichten oder eigentlich Fast Media, als Fast Food, halten uns ständig auf Trab.
Welcher Mehrwert bleibt?
Im Gegensatz dazu: Die gute, alte eingehende Lektüre, das Zeit-Nehmen für Inhalte, für Botschaften, Geschichten, das Eintauchen und Wirken-Lassen dessen, was da geschrieben steht – all das ist mit Print-Formaten untrennbar verbunden.
Lesen trainiert das Gehirn. Dieser Satz stimmt – aber nicht für das Drüber- oder Querlesen, für die schnelle Konsumation von Information. Sondern für den Tiefgang, der erst durch das Befassen in besagtem eingehendem Lesen entstehen kann und der – wie das Wort schon sagt – buchstäblich in die Tiefe geht. Der unser Mindset bildet, unsere Gedanken fortführt, eine Wirkung in unserem Inneren hervorruft, oft ganz nebenbei und längst nach beendeter Lektüre. Es wirkt in uns nach.
So lernen wir, so entwickeln wir uns, so bilden wir uns weiter. Und genau darauf kommt es an. Das Gehirn – so die Forschung – dankt uns das eingehende Lesen, wie man es im Zeitalter vor der Digitalisierung praktizierte. Wie wir es heute kaum noch praktizieren, wenn wir ehrlich sind.
Ergo: Lesen ist nicht gleich Lesen. Hier hat sich etwas grundlegend verändert. Hinzu kommt, dass Nachrichten oder grundsätzlich Content vermeintlich immer schon im Bewegtbild (Fernsehen) und vor allem in den vergangenen Jahren vermehrt auditiv – Stichwort Podcasts – angeboten werden: Wer nicht lesen will, kann hören. Jetzt ist dem viel zitierten Siegeszug der Podcasts absolut nichts entgegenzusetzen, im Gegenteil: So hat sich das allgemeine Bewusstsein hinsichtlich Medienvielfalt nochmals erweitert. Eine Chance für viele – nicht zuletzt für Medienunternehmen –, ihr Portfolio weiterzuentwickeln und seine Agenda bzw. sein Angebot immer wieder neu zu sehen und zu finden.
Im Gemenge der Möglichkeiten, Content zu produzieren und zu konsumieren ist eine willkommene Ergänzung für alle Seiten. Die Zugriffe auf rein auditive Angebote sprechen für sich, die Auswahl ist riesig und dem Zeitgeist entsprechend vielfältig.
So sind es auch in dieser Hinsicht immer mehr Player, die sich um die Aufmerksamkeit des Individuums matchen. Ein multimedialer Wettbewerb, der vermehrt die Aufmerksamkeitsforschung auf den Plan ruft. Es geht aber dabei nicht nur um die Quantität – also etwa die Frage, wie viel Zeit täglich ins Lesen von Print oder Online bzw. ins Hören oder in den Konsum von Videos auf welchen Plattformen auch immer gesteckt wird. Es geht, wie oben bereits kurz erwähnt, vor allem um die Qualität der geschenkten Aufmerksamkeit. Denn sie ist erst die Bedingung von echter Wahrnehmung dessen, was da gezeigt wird bzw. geschrieben steht. Allein darauf kommt es allerdings an: „Meaningful Attention“, Aufmerksamkeit mit Sinn und Bedeutung.
Hier kann man einhaken und wiederholen: Lesen ist Gehirntraining. Wir wissen längst: Wer liest, übt sich in kognitiven Fähigkeiten und trainiert so etwas wie ein verbales Kurzzeitgedächtnis, erweitert seinen eigenen Sprachschatz, seine Sprachbilder und kann laut Wissenschaft auch besser vorhersagen, wie etwa ein begonnener Satz beendet werden kann.
Kurzum: Wir trainieren uns in Sprache und Wahrnehmung, im Verstehen dessen, worum es geht. Nicht umsonst brauchen wir als Kinder jahrelang, bis wir Lesen und Schreiben dem allgemeinen Verständnis nach ausreichend beherrschen. Behutsames Vorgehen ist gefragt! Lesen ist eine komplexe Fähigkeit, die auch unsere Wahrnehmung und schlussendlich unser Denken beeinflusst.
Manche gehen so weit, zu sagen, dass Lesen schlussendlich auch die Basis für demokratisches Zusammenleben ist, in seiner Eigenschaft als Voraussetzung für die Analyse komplexer Zusammenhänge. So wird kritisches Denken gefördert und am Ende erst ermöglicht – und mit diesem eine fruchtbringende, öffentliche und gesellschaftliche Debatte sowie eine kollektive Entscheidungsfindung.
Hier komme ich auf einen ebenso altbekannten, aber umso wichtigeren Aspekt zurück: Die Rolle unabhängiger Medien in einer Demokratie. Hier vereint sich gewissenhaft recherchierter, fundierter Content – Nachrichten ebenso wie ausgeschilderte Meinung – mit einem vielfältigen Medienangebot, also in Bewegtbild, in Ton, in Text. Jede dieser Gattungen hat etwas für sich, jede hat ihren Platz im Alltag der Menschen, weil jede dieser Gattungen andere Bedürfnisse erfüllt. Das kann abhängig sein von Tageszeit und Stimmungslage, von Lebenssituation und Alter.
Wichtig erscheint mir, genau diesen Mix für sich persönlich gut zu nutzen und abzuwägen, eine Balance herzustellen zwischen all den Möglichkeiten, wie wir Content erfahren können. Wenn wir das Schaffen und vermehrtes Augenmerk auf das „echte“ Lesen legen, bei dem man sich auf etwas einlassen und darüber nachdenken muss, so ist dies gut für die Sinne, gut für die eigene Meinung, gut für die Gesellschaft und letztendlich auch gut für unsere Demokratie.
Autor: Markus Mair