Mangelware Wasserstoff: Was jetzt?

Von Peter Hartl, Chemicals & Energy-Experte bei Horváth & Partners.
© Horváth & Partners
Peter Hartl, Berater im Bereich Chemical & Life Science bei Horváth & Partners.

Teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp

Wasserstoff hat das Potenzial, bei der Energiewende eine Schlüsselrolle zu spielen. Vor allem Raffinerien, Chemie- und Stahlunternehmen schielen erwartungsvoll auf Forschung und Entwicklung. Sie sind auf enorme Mengen H2 angewiesen, um Erdöl und Erdgas zu substituieren.

Wasserstoff verspricht die Lösung für die Dekarbonisierung der industriellen Prozesse zu sein. Doch davon gibt es bis dato viel zu wenig, und überdies nur zu hohen Kosten. Hinzu kommt, nicht jede Wasserstoffquelle ist grün und nachhaltig. Ähnlich wie beim Strom kommt es auf die Quelle und Art der Produktion an. Gerade darum geht es aber: Die Industrie braucht grüne Energie und alternative Wasserstoffquellen, um CO2-neutral produzieren zu können.

Bis 2030 will die EU ihren CO2-Ausstoß um 60 Prozent verringern, bis 2050 will sie klimaneutral sein. Als jüngste Maßnahme wurde so etwa der CO2-Preis in Deutschland per 1. Jänner 2021 von 10 auf 25 Euro pro Tonne erhöht. Trotz dieser Besteuerung bleibt grauer Wasserstoff, der auf Basis fossiler Rohstoffe hergestellt wird, zwar preislich noch günstiger, doch der Druck, umweltschonend zu produzieren, wächst – und mit ihm das Risiko weiterer höherer Besteuerungen. Wie kommen die produzierenden Unternehmen nun zu „grünem“ Wasserstoff?

© PantherMedia/Sashkin7

Regionale Wasserstoff-Ökosysteme

Dazu braucht es regionale Wasserstoff-Ökosysteme mit mehreren Beteiligten, z.B. Energielieferant, Umwandler und Abnehmer, die ökonomische sowie ökologische Interessen verbinden. Ein Beispiel dafür ist das Reallabor „Westküste 100“ in Schleswig-Holstein – einer Region mit hohem Windaufkommen. Hier haben sich Energieerzeuger, Technologieanbieter, Raffinerie und Zementwerk zusammengetan, um Strom aus einem Windpark per Elektrolyse in grünen Wasserstoff und Sauerstoff umzuwandeln und dann in die Produktionsanlagen weiter zu transportieren.

Der Plan: Die Raffinerie soll den grünen Wasserstoff verarbeiten und den Sauerstoff ins Zementwerk einspeisen, womit die Stickoxid-Emissionen (NOx) des Werks deutlich reduziert werden könnten. Das bei der Zementproduktion entstehende CO2 soll mit grünem Wasserstoff zu synthetischem Kerosin weiterverarbeitet werden, das am Flughafen Hamburg hilft, den CO2-Ausstoß der Flugzeuge zu senken.

© PantherMedia/malpetr

Ergänzende Importe und Quellen

Ökosysteme wie die „Westküste 100“ sind allerdings noch im Projektstadium. Auf absehbare Zeit kann grüner Wasserstoff noch nicht konkurrenzfähig und hierzulande in ausreichender Menge produziert werden, die Menge an erneuerbar produziertem Strom ist damit aktuell zu begrenzt. Daher wird der Import von Wasserstoff weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen müssten also beim Bezug zwangsläufig mehrgleisig fahren und temporär auch Wasserstoffquellen nutzen, die nicht zu 100 Prozent klimaneutral sind.


Eine andere Option ist der Import von grünem Wasserstoff aus Strom von Photovoltaik-Anlagen in Südeuropa und Nordafrika – über bestehende Erdgas-Fernleitungen. Im Rahmen der Wasserstoffstrategie hat Deutschland etwa bereits strategische Partnerschaften geschlossen. Marokko und andere nordafrikanische Staaten können aufgrund ihrer starken Sonneneinstrahlung heute schon günstige Strompreise von vier Cent pro Kilowattstunde (kWh) anbieten und bis zum Jahr 2050 womöglich sogar auf zwei Cent pro kWh senken.

Alternativ zum Pipeline-Transport besteht die Möglichkeit, grünen Wasserstoff in Ammoniak und Methanol zu verarbeiten. Die hohe Energiedichte im Vergleich zu gasförmigem Wasserstoff macht den wirtschaftlichen Transport im Schiffscontainer möglich. Beide Produkte können als Rohstoff für die Industrie oder auch direkt als alternativer Kraftstoff etwa für die Schifffahrt genutzt werden. Durchaus denkbar, dass damit auch weiter entferne Regionen wie der mittlere Osten oder Südamerika als Lieferant klimaneutraler Energie interessant werden.

© Horváth & Partners

Brückenstrategie Wasserstoff aus Erdgas

Auch beim Import von grünem Wasserstoff ist der Mangel an grünen Energiequellen ein Problem. Wasserstoff in großen Mengen und unabhängig von erneuerbaren Energiequellen produzieren – diese Möglichkeit bietet heute schon dekarbonisierter Wasserstoff, der auf Erdgas-Basis hergestellt wird. Dabei wird der klimaschädliche Kohlenstoffanteil des Erdgases der Atmosphäre dauerhaft entzogen.

Es gibt dabei zwei Verfahren: Beim sogenannten „blauen“ Wasserstoff wird das Kohlenstoffdioxid des Erdgases im Dampfreformationsverfahren vom Wasserstoffanteil getrennt und unterirdisch dort gespeichert, wo vorher fossile Energieträger gefördert wurden. Beim „türkisen“ Wasserstoff wird Erdgas thermisch gespalten und der Kohlenstoff in fester Form abgeschieden. Wird dieser anschließend dauerhaft gebunden, zum Beispiel als Werkstoff, kann auch dieses Verfahren als CO2-neutral angesehen werden.

Internationale Partnerschaften

Fazit: Damit das Potenzial von klimaneutralem Wasserstoff für die Dekarbonisierung der Industrie gehoben werden kann, müssen alle Fragen rund um Produktion, Import und Transport geklärt werden. Dazu benötigt es länderübergreifende Partnerschaften und eine funktionierende Wasserstoff-Infrastruktur. Der Aufbau einer erfolgreichen Wasserstoffwirtschaft kann nur durch gemeinsame Anstrengungen von Industrie und Politik gelingen. Damit die vorhandenen europäischen Fördertöpfe ausgeschöpft werden können, braucht es saubere Konzepte und einschlägiges H2-Know-how.

Peter Hartl ist Berater im Bereich Chemical & Life Science bei der Managementberatung Horváth & Partners in München.
phartl@horvath-partners.com

Das könnte Sie ebenfalls interessieren:

Melden Sie sich hier an

Sie sind noch nicht registriert?