Österreichs Jugendliche sind stark nachgefragt. Sie gelten als die Fachkräfte-Hoffnung von morgen – gerade auch in der Industrie. Der Weg dorthin, eine solche Fachkraft zu werden, gestaltet sich aber holprig.
Gemeinsam mit Vertreter:innen aus Politik, Schulen und Unternehmen diskutierten die Industriellenvereinigung Österreich und zukunft.lehre.österreich. (z.l.ö.), wie die Lehre noch sichtbarer und selbstverständlicher als gleichwertiges und chancenreiches Angebot des Bildungssystems verankert werden kann.
„In der Industrie wissen wir um den Wert der Lehrausbildung – sie ist das Fundament unseres Erfolgs, aber auch vieler gelungener Lebenswege. Jetzt ist es Zeit, auch bildungspolitisch einen Schritt weiterzugehen: Die Lehre muss für alle Jugendlichen unabhängig von ihrem familiären und sozialen Hintergrund zur attraktiven Bildungsoption werden“, betont Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung Österreich.
Denn trotz der herausfordernden Situation baut die Industrie auf die Lehrausbildung und hat in manchen Regionen Probleme, ihre Ausbildungsplätze mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen.
Lehre als gleichwertiger Bildungsweg
Die duale Ausbildung und damit die Lehre ist das Rückgrat der österreichischen Industrie. Diese große Bedeutung der Lehrausbildung auch für den Standort Österreich zeigt sich dadurch, dass rund 1.200 Industriebetriebe im Schnitt 13,8 Lehrlinge pro Betrieb ausbilden – im Gegensatz zu 3,7 Lehrlingen im Durchschnitt aller Branchen.
Dies vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der in den nächsten 10 bis 12 Jahren eine Lücke von 540.000 Arbeitskräften entstehen lässt.
„Es gibt keine praxisnähere Ausbildung als die Lehre. Die Ausbildung direkt im Betrieb gilt international als Vorzeigebeispiel, verhindert Jugendarbeitslosigkeit und Bildungsabbrüche und kann nicht zuletzt auf großartige Karrieremöglichkeiten verweisen. Die Industrie ist in den letzten Jahrzehnten mit derzeit rund 16.400 Lehrlingen zur zweitgrößten Ausbildungsbranche geworden und investiert rund 140.000 Euro in jeden Lehrling. Wenn wir das Bildungswesen voranbringen wollen, müssen wir die Lehre genauso ins Rampenlicht stellen wie die vielen schulischen Angebote – durch flächendeckend moderne Berufsschulen mit ausreichend Lehrkräften aus der Praxis der Betriebe und mit klar gestalteten Schnittstellen zum restlichen Bildungssystem – beim Einstieg in die Lehre, aber auch beim Weitergehen in höhere Bildungswege. Die Bildungspolitik ist auch hier gefordert – nicht nur als Partnerin, sondern als zentrale Gestalterin“, unterstreicht Georg Knill.

Weg mit Perspektive
Robert Machtlinger, selbst als Lehrling – damals bei Fischer Ski – gestartet und heute CEO des international erfolgreichen Aerospace-Konzerns FACC AG, betont:
„Die duale Ausbildung eröffnet jungen Menschen nicht nur exzellente Berufschancen, sondern fördert auch Eigenverantwortung, Persönlichkeit und unternehmerisches Denken. Diese Stärken müssen wir sichtbar machen – und weiterentwickeln. Die Lehre ist ein eigenständiger, moderner Bildungsweg mit großem Potenzial – für junge Menschen ebenso wie für den Wirtschaftsstandort.“
Im Zentrum der bildungspolitischen Reformvorschläge, die zukunft.lehre.österreich. gemeinsam mit der Industriellenvereinigung vorantreibt, stehen folgende Schwerpunkte:
- Durchgängige Berufsorientierung an allen Schulen und Einführung einer Bildungspflicht: Rund 20 % der Pflichtschulabsolvent:innen haben nur rudimentäre Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben oder Rechnen. Die Einführung einer qualitätssteigernden, positiv besetzten und motivierenden „Bildungspflicht“ bis zum Alter von 14 Jahren kann hier Abhilfe schaffen. In diesem Rahmen sollen Jugendliche bereits ab der Unterstufe systematisch auf ihre beruflichen Möglichkeiten vorbereitet werden – mit verpflichtender Berufsorientierung und individuellem Coaching direkt im Schulalltag.
- Berufsschulen ins 21. Jahrhundert holen: Gefordert wird ein österreichweit durchgängiger Investitionsplan für Berufsschulen. Moderne Lernräume, digitale Ausstattung und enge Vernetzung mit Unternehmen sollen Standard werden, nicht die Ausnahme. Eine große Sorge ist auch der Nachwuchs bei den Berufsschullehrer:innen. Das Alter des pädagogischen Personals an Berufsschulen ist besonders hoch: 54% sind 50 Jahre oder älter. Dafür müssen für Quereinsteiger:innen aus Industrie und Wirtschaft die Einstiegshürde gesenkt werden, die einmal in der Woche ihre Erfahrung neben ihrem Hauptberuf auch an berufsbildenden Schulen weitergeben.
- Klare politische Zuständigkeit schaffen: Die Lehre braucht eine zentrale politische Anlaufstelle: z.l.ö. und IV Österreich fordern eine eigene Stabsstelle im zuständigen Ministerium – am besten als Teil einer umfassenden Fachkräftestrategie. Derzeit verteilt sich nämlich die Verantwortung für die Lehrausbildung auf vier Ressorts und die Maßnahmen der Politik zur Sicherung des Fachkräftepotenzials unterliegen keiner übergreifenden Strategie.
Berufsorientierung neu denken
Eine zentrale Forderung ist eine individuelle Berufsorientierung. Die beiden Präsidenten, Georg Knill und Robert Machtlinger, sprechen sich klar für eine frühe und qualitativ hochwertige Begleitung junger Menschen aus.
IV-Präsident Georg Knill macht deutlich:
„Bildungs- und Berufsorientierung ist eine Kernaufgabe des Bildungssystems, sie kann nicht nur vom individuellen Engagement von Lehrkräften und Schulleitungen abhängig sein.“
Die IV fordert daher eine verbindliche Berufsorientierung ab der Unterstufe, die alle Schultypen einbindet – auch AHS-Unterstufen – und jungen Menschen reale Einblicke in Berufsfelder bietet.
Auch Robert Machtlinger unterstreicht den Wert einer frühen Begleitung:
„Wir müssen junge Menschen erreichen, bevor sie sich gegen die Lehre entscheiden. Das gelingt nur mit verständlicher, greifbarer und ehrlicher Berufsorientierung – und mit Vorbildern, die zeigen, was mit einer Lehre möglich ist.“

Ausbildung sichern – Betriebe unterstützen
Neben den Lehrlingen auf der einen Seite, braucht es auch Unternehmen auf der anderen Seite, die sich um eine qualitativ hochwertige Lehrlingsausbildung annehmen. Doch viele Betriebe können sich die Ausbildung der Fachkräfte von morgen nicht mehr leisten. z.l.ö. warnt daher vor einer drohenden Finanzierungslücke bei der staatlichen Basisförderung, also jener finanziellen Unterstützung, die Betriebe für die Ausbildung von Lehrlingen erhalten.
„Unternehmen übernehmen die Ausbildung für mehr als 38% unserer Jugendlichen. Gleichzeitig sind Lehrlinge bereits Teil unseres Sozialsystems: Sie zahlen Lohnsteuer, Sozial- und Pensionsbeiträge. Deshalb müssen auch jene Betriebe, die ausbilden, gezielt unterstützt werden“, verdeutlicht Robert Machtlinger.
Wenn diese finanzielle Förderung wegbricht, können sich auch größere Unternehmen die Ausbildung nicht mehr leisten und müssen ihre Lehrlingsprogramme reduzieren. Ausbildungszentren, Lehrwerkstätten und qualifizierte Ausbildner:innen kosten Geld – und sind zugleich unverzichtbar für die Zukunft unserer Wirtschaft.
„Wir fordern jetzt eine Evaluierung der Förderprogramme und eine faire Unterstützung für jene, die die Ärmel hochkrempeln und die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt anpacken. Es braucht jetzt mehr denn je Anreize, um auch Unternehmen wieder zu bekräftigen, dass ausgebildete Fachkräfte unsere Zukunft sind“, erörtern Georg Knill und Robert Machtlinger unisono.
Die Initiative z.l.ö. appelliert daher weiterhin an die Politik, zentrale Unterstützungsleistungen und Förderungen zu leisten, um keinen Rückschritt in der Ausbildungspolitik zu riskieren.
Koordination verbessern
Ein weiterer Appell an die Politik lautet, die Installation einer österreichweiten Stabstelle, die die Verantwortung trägt.
„Aktuell sind vier Ministerien für die Lehre zuständig – das kann nicht effizient funktionieren. Wir setzen uns für eine zentrale Stabstelle für Lehre auf Bundesebene ein. Nur wenn Zuständigkeiten klar gebündelt sind, können alle Akteure wirkungsvoll zusammenarbeiten“, konstatiert Robert Machtlinger.
Der IV-Präsident ergänzt um das umfassende Anliegen einer Fachkräftestrategie:
„Die vielen guten Ansätze zur Fachkräftesicherung in der Lehrausbildung, aber auch im schulischen Bereich, z.B. bei den HTL, in der Weiterbildung oder in der Fachkräftezuwanderung müssen aufeinander abgestimmt und mit einem klaren gemeinsamen Zielbild versehen werden.“
Fazit
Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll: Wenn Politik, Wirtschaft und Bildung gemeinsam handeln, kann die Lehre ihre volle Wirkung entfalten – als Bildungsweg, als Karrierechance und als Innovationsmotor für den Standort.
