Kurt Seinitz: Was macht Putin ohne Krieg – er braucht schlicht den nächsten Konflikt

Ukraine-Frieden ist für sein Regime gefährlicher, als die Kriegsmaschine einfach weiterlaufen zu lassen.
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Kurt Seinitz: Was macht Putin ohne Krieg – er braucht schlicht den nächsten Konflikt
Kurt Seinitz, österreichischer Journalist und Buchautor.

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Wenn Putins russische Seele ins Schwärmen kommt, bekommen Russlands Nachbarn Gänsehaut. Im Interview zur großen Reportage des Regime-TV „25 Jahre Putin“ stellte der Kremlchef die Privatkapelle seiner Residenz vor: „Russen denken mehr an das Ewige, Grenzenlose, Höherstehende“ (im Unterscheid zu den Westlern), philosophiert der Kremlchef. Aus Kiew kommt die Antwort: „Betet Putin dort auch, wenn er Raketen gegen Frauen und Kinder schickt?“

Es gibt gute Gründe, weshalb Putin das Ende seines Kriegs in der Ukraine in die Länge zieht. Das Land steckt heute fest in der Kriegswirtschaft, finanziert durch den Export von Öl und Gas. Anfangs wollte die EU die Gasimporte aus Russland bis 2027 auf null herunterfahren. Stattdessen ist der Gasimport aus Russland 2024 im Vergleich zu 2023 sogar um 18 Prozent gestiegen. Zu Beginn des Krieges rechnete der Westen mit einem Rückgang des russischen Nationalprodukts (GDP) um 15 Prozent durch die Sanktionen, aber es wurden nur 1,4 Prozent.

Krieg oder Frieden?

Die Rüstungsindustrie ist gigantisch hochgefahren. Russland steigerte die Kriegsausgaben laut des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri 2024 um weitere 38 – 53 Prozent (Großbritannien um 2,4 Prozent). Ein Abbremsen oder gar Rückbau würde in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft Russlands schwere Bremsspuren verursachen. Etwa 200.000 Russen sind heute in der Rüstung tätig. Wegen Arbeitskräftemangels durch militärische Einberufungen zahlte die Industrie 2024 um nominal 18 Prozent höhere Löhne.

Wenn Frieden „ausbricht“ beginnen Putins Probleme. Heimkehrende Frontsoldaten verlieren nicht nur ihren hohen Sold, es droht ihnen auch Arbeitslosigkeit. Das gleiche Los trifft die Arbeiter der Rüstungsindustrie, wenn die Förderbänder auf Friedenswirtschaft umgerüstet werden sollen. Solche heiklen Strukturänderungen können autoritäre Systeme destabilisieren.

In der Geschichte waren Kriegsenden stets auch mit Konjunkturkrisen verbunden. So war als Folge der napoleonischen Kriege das „Peterloo Massaker“ 1819 der schwerste Gewaltausbruch im England des 19. Jahrhunderts. Die Massenproste gegen die Arbeitslosigkeit wurden in Manchester von der Kavallerie niedergeschlagen. Die USA erlebten nach den Kriegen ähnliche Krisen.

Überlebenswichtige Kriegswirtschaft

Im Zweiten Weltkrieg hatte die Bombenproduktion der Alliierten 1944/45 noch den Höchststand erreicht, aber e waren langsam die strategischen Ziele ausgegangen. So kamen Städte ohne militärischen Wert wie Dresden ins Fadenkreuz.

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Eine Möglichkeit, die russische Kriegswirtschaft am Laufen zu halten, ist der Export von Waffen. So ist Nordkorea ein Großkunde militärischer Hochtechnologie aus Russland und zahlt mit Blut, mit Hilfstruppen an der Front. Russland liefert Nordkorea Atomtechnologie – welche China seinem Nachbarn tunlichst nicht liefert – für die erste nordkoreanische Interkontinentalrakete, deren Atomsprengköpfe den amerikanischen Kontinent erreichen können.

„Russische Welt“ noch nicht an ihren Grenzen

Revanchistische Gelüste können Putin überall dort zugeschrieben werden, wo Russen leben. Es ist die „russki mir“ (die russische, orthodoxe Welt). 20 Prozent der Russen haben ihren Wohnsitz außerhalb Russlands – Raum genug für das „Sammeln russischer Erde“ (ein Begriff seit Zar Iwan III.).

Putin sammelt wieder wie die alten Zaren etwa mit der Krim, den besetzten ostukrainischen Gebieten, der Ukraine selbst oder künftig in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kasachstan. Die Weißrussen in der Ex-Sowjetrepublik Belarus sind in seinen Augen ohnehin echte Russen und es stellt sich die Frage, was mit dieser Satellitenrepublik nach dem Hinscheiden des langsam alternden Putin-Freundes Lukaschenko wird.

Zum Thema Ukraine muss man sich die Frage stellen, ob man wirklich von einem Sieg Putins durch die Besetzung der Krim und der vier Ost-Provinzen sprechen kann, wo er doch 2022 durch einen dreitägigen Blitzkrieg die ganze Ukraine „heimholen“ wollte. Die durch den Abwehrkampf zusammengewachsene vereinte ukrainischen Nation, die damals geboren wurde, bleibt auf Putins Wunschzettel. Dieses Fernziel wird er sicherlich nicht aufgegeben, zumal die Demokratie in der Ukraine ein gefährlicher systemischer Rivale für das Kreml-Regime ist.

Großrussisches Zarenreich

Putins Traum ist nicht die Wiederherstellung von Lenins Sowjetunion, sondern darüber hinaus des Zarenreiches in seinen damaligen Grenzen. Dazu zählen auch die drei baltischen Republiken von heute.

Brennpunkt ist die estnische Stadt Narwa an der Grenze zu Russland. Auf der anderen Seite des gleichnamigen Grenzflusses steht die historische russische Festungsstadt Iwangorod.

Narwa ist zu 95 Prozent das Zentrum der russischsprachigen Minderheit in Estland, in der Regel aus Russland angesiedelte Industriearbeiter. Viele haben auch nach 35 Jahren kein Estnisch erlernt, was die kleine Republik aber zur Voraussetzung der Einbürgerung macht. Sie blieben lieber eine Fünfte Kolonne Russlands und dort wird jetzt von Moskau auch kräftig gezündelt. Der Volkstumszwist kann jederzeit zu Hilferufen aufgeblasen werden.

Schon 1946 hatte der US-Diplomat und Russlandkenner George Kennan in seinem berühmten „langen Telegramm“ aus Moskau unter anderem geschrieben: „Sowjetische Führer müssen die Außenwelt als Feinde behandeln, denn es ist die einzige Grundlage für ihre Diktatur, ohne die sie nicht zu regieren wissen.“

Putin braucht Siege, keinen Frieden.

Erstveröffentlichung Kronen Zeitung

Autor: Kurt Seinitz

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