Nur einmal Chef sein. Dies wünschen sich viele und sind nach ihrer Berufung überrascht, ob der vielen Herausforderungen, die unabhängig der fachlichen Kompetenz auf einen darnieder prasseln. Ich durfte bereits in jungen Jahren erfahren, was es damit auf sich hat: Bereits mit 27 Jahren wurde ich in die Geschäftsführung von BIOGENA berufen, dies sogar nach relativer kurzer Betriebszugehörigkeit.
Heute, 9 Jahre später, ist der Erfahrungsschatz ein reicher und ich werde gerne exemplarisch für einen nahbaren Führungsstil, der unter dem Namen Female Leadership firmiert, herangezogen. Tatsächlich hat er Potenzial, Unternehmen mit Stärken wie emotionaler Intelligenz, Klarheit und Empathie, zu neuen Erfolgen zu verhelfen.
Female Leadership
Dieser vielklingende Terminus beschreibt die Art wie Menschen Führung übernehmen und sie in Einklang mit ihren weiblichen Fähigkeiten bringen. Es beschreibt aber auch einen Appell zur persönlichen Entfaltung, Skalierung des eigenen Potenzials sowie zum Abgleich von Theorie mit Praxis – und ist höchst politisch. Denn: Female Leadership speist sich aus der Mitte des Gender Gaps, der sich noch immer in markanten Zahlen manifestiert: Obwohl Frauen mit 48,4 % nahezu die Hälfte aller unselbständig Beschäftigten in Österreich stellen, sind nur 32,9 % der leitenden Positionen mit Frauen besetzt. In Vorstandspositionen sind es sogar nur 7,6%.
Female Leaderhip postuliert ein „Need“, gerade in Österreich, weil Frauen in Führungskräften nicht state-of-the-art sind, sondern noch immer eine Randerscheinung mit wenigen Identifikationsschablonen. Auch ich war am Anfang im (auch persönlich geprägten) Vergleich mit meinen männlichen Führungskollegen und habe schnell festgestellt, dass dieser nicht hält.
Ein Umstand, der viele Frauen in Führungspositionen begleitet, aber nur wenige klar aussprechen und auch ich muss eingestehen: Ich habe zwar auf diesen Karriereweg hingearbeitet, war aber doch überrascht in so jungen Jahren, diese herausragende Chance zu erhalten. Eines meiner ersten Learnings war: Ist man eine Führungskraft oder wird man zu einer Führungskraft? Die Erkenntnis für mich: Weder noch. Man muss unterscheiden zwischen Führungskraft und Persönlichkeit. Ich sehe mich als eine Führungspersönlichkeit, die viel über die diversen Kommunikationskanäle arbeitet, einen kooperativen Stil pflegt, aber mit klaren Zielvorgaben arbeitet und hohe Eigenverantwortung einfordert.
Gerade die Motivation zur Eigenverantwortung ist Typfrage. Man lernt in Trainings zwar viel über Organisation und Zeitmanagement, aber nichts zum Thema Führungspersönlichkeit, die man sein muss, um sich selbst und andere zu führen, zu inspirieren und mit der eigenen Empathie zu berühren. Genau diese Eigenschaften sind es, die einen definitiv zur Führungspersönlichkeit machen – und auch die Idee von Female Leadership widerspiegeln.

Eigenschaften, die nicht jede:r in die Wiege gelegt werden, die man aber dank intensiver Auseinandersetzung, Selbstreflexion und entlang geführten Coachings und Mentorings lernen kann. Passende Lektüre, gelungene echte Vorbilder und Praxiserfahrung supplementieren die professionelle Feedbackschleife wie ich aus Eigenerfahrung weiß: Feedback ist ganz wichtig, nicht nur vom eigenen Team oder Freunden und Familie, sondern von ganz Außen – etwa von Coaches, die selbst Führungserfahrung mitbringen.
Selbstreflexion ist ein aktiver Part, der manchmal mühsam, aber oft heilsam ist und viel Produktivität einbringt. Dies ist allerdings ein aktiver Prozess, der Achtsamkeit bedarf und eine bewusst gelebte Politik.
Open Door Policy …
… klingt in der Theorie oft leichter, als die gelebte Praxis es darstellt. Denn die Vorstellung, dass Mitarbeiter:innen einfach durch sinnbildliche „offene Türen“ spazieren, greift zu kurz. Ein Learning, welches viele Führungskräfte oft schmerzlich erfahren müssen. Ich erleichterte mir den persönlichen Start mit einer klaren Priorisierung meiner Agenda in diese Richtung und investierte vor allem, am Anfang meiner Karriere, als Geschäftsführerin der BIOGENA Stores, sehr viel Zeit vor Ort, um den Status quo zu erheben und die Menschen kennenzulernen. So habe ich ein Gespür für sie und ihre Bedürfnisse bekommen. Aktiv zuhören, eine angenehme Atmosphäre schaffen und offene Fragestellungen sind dabei der Schlüssel, zu einem vertrauensvollen, respektvollem Miteinander und beschreiben die Kernkompetenzen von Female Leadership.
Persönlichen Herausforderungen
Female Leadership birgt demnach viel Potenzial, aber auch Untiefen, die durch einen empathischen, offenen Zugang entstehen, der missinterpretiert werden kann. Eine offene wie wertschätzende Art kann schnell mit Freundschaft oder Samthandschuh-Kurs verwechselt werden. Auch dies ist eine persönliche Erfahrung, die sich zu einer Empfehlung verallgemeinern lässt: Man muss klar kommunizieren und klare Grenzen setzen.
„Der wichtigste Wert in meiner Führung ist Respekt.“
Beinhaltet dies auch Klarheit vor Schonung? Unbedingt! Immerhin geht es hier nicht nur um die persönlichen Grenzen als Führungskraft, die von Mitarbeiter:innen immer wieder ausgelotet werden, sondern auch um das Gesamtwohl des Teams. Denn: Die Teamkultur orientiert sich immer am schwächsten Glied. Jenes Teammitglied, das am schwächsten performt wird zum Vorbild für alle anderen, wenn es um die Thematik Fairness geht. Diese Dynamik schafft Raum für persönliche Schieflagen, vor allem als weibliche Führungspersönlichkeit. Frau beginnt zu „überperformen“, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Das konnte ich an mir selbst stark beobachten, deshalb habe ich heute eine andere Gangart gewählt:
Als nahbare Führungspersönlichkeit bleibe ich amikal, aber ich schaffe mir auch Raum – mit ausgestreckter Hand, die ich meinen Mitarbeiter:innen reiche.
Autor: Julia Hoffmann